Bicultural Urbanite Brianna
Liebe auf den zweiten Blick
Fiona Laughton ist eine Geschichtenerzählerin, deren eigene Geschichte aus dem Rahmen fällt. Anders als bei den vielen jungen Touristen und Kreativen, die sich in Berlin verliebt und sich geschworen haben, um jeden Preis dort zu bleiben, wurde ihre Entscheidung zum Auswandern eher von Fluchtgedanken ausgelöst. Nach mehreren Jahren im hektischen Hamsterrad von Sydney wollte die Texterin und Fotografin nur noch weg. Sie stellte fest, dass sie für ein deutsches Freiberufler-Visum in Frage kam, und plötzlich präsentierte sich Berlin als attraktive Ausstiegsstrategie.
Als Fiona mit Mitte Zwanzig als Backpackerin in Berlin war, lebte sie in einem der Wohnviertel der Stadt und stürzte sich eher auf die Museen als auf die Clubs. Damals war sie von der Schönheit und der ruhigen Atmosphäre der schneebedeckten Hauptstadt wie verzaubert. "Es war nicht so die typische Berliner Nachtleben-Erfahrung ... und ich dachte auch nie 'Oh mein Gott, hier möchte ich leben'", erzählt sie. Aber nach ihrer Ankunft im Winter 2013 wusste sie, dass sie die richtige Entscheidung getroffen hatte. Während die meisten Ausländer den langen Monaten der Dunkelheit mit Beklommenheit entgegensehen, liebt Fiona die leeren Straßen und die Ruhe dieser Jahreszeit. "Es war kalt und leer und still, und ich glaube, nachdem mir Sydney immer zu hektisch und zu heiß war, genoss ich das so richtig. Alle sagten mir, ich sollte auf den Sommer warten, da sei alles so viel besser, aber ich mochte den Schnee und den grauen Himmel. Es war völlig anders als alles, was ich je in Australien erlebt hatte."
In Sydney arbeitete die Melbournerin im Marketing und als Content Editor für einen großen Medienkonzern, für dessen Website sie redaktionelle Inhalte wie Fernseh-, Film- und Livemusik-Rezensionen erstellte. Diese Rolle eröffnete ihr die Chance, sich auch als professionelle Fotografin zu versuchen. Während man in Deutschland für so gut wie jede Art von Beschäftigung, und sei sie noch so banal, irgendeine Form von Qualifikation benötigt, hat Australien eine vergleichsweise entspannte Einstellung zu Personalkompetenzen und würdigt den Wert übertragbarer Fähigkeiten. "Ich begann, über Livemusik zu schreiben, und hatte dann die Möglichkeit, eine Fotogenehmigung zu bekommen. So konnte ich meine Lieblingsbeschäftigungen kombinieren und auch noch dafür bezahlt werden", erinnert sich Fiona. Hier in Berlin müsste sie sich um eine zusätzliche Presse-Akkreditierung bewerben, um weiterhin bei Konzerten fotografieren zu können. Abgeschreckt vom bürokratischen Aufwand, begann sie andere Formen wie zum Beispiel Porträtfotografie zu erkunden. "Ich genieße es auch, einfach nur im Publikum zu sein und nicht daran denken zu müssen, meine Kamera herauszuziehen. Und ehrlich gesagt kann man sich damit ohnehin keine goldene Nase verdienen, also gehe ich lieber einfach hin und genieße das Konzert."
DER FREIBERUFLER-TRAUM?
Sich als Freiberuflerin in einem fremden Land mit einem der kompliziertesten Steuersysteme der Welt zu etablieren, ist alles andere als einfach. Der fortlaufende administrative Aufwand ist immens, und "man muss sein eigener Projektmanager und sein eigener Boss sein, sein eigenes Marketing machen und sich selbst in den Arsch treten". Aber angesichts von Vorzügen wie seine Arbeitszeiten selbst zu bestimmen, mit Klienten zusammenzuarbeiten, die man tatsächlich interessant findet, und im Schlafanzug von zuhause aus zu arbeiten, ist es nicht schwer, den Reiz zu verstehen. Fiona genießt die Flexibilität des digitalen Nomadenlebens: "Ich kann meine Arbeit überallhin mitnehmen. Ich könnte theoretisch in einer anderen Stadt oder einem anderen Bundesland arbeiten, im Prinzip überall, wo ich Internetzugang habe."Die Berliner Start-up-Szene ist am Florieren und Fiona hat schon an Dutzenden spannenden Projekten mitgearbeitet, beklagt jedoch die häufigen Kämpfe ums Budget. "Man verschwendet viel Zeit mit Verhandeln", berichtet sie. "Viele Kunden erwarten Resultate für minimale Kosten, und das kann frustrierend sein. Manchmal wollen sie nur den Mindestlohn oder sogar noch weniger zahlen." Sie glaubt, dass die Kompetenz und die Zeit unterschätzt werden, die das Produzieren guter Texte erfordert. Zudem bedeutet Berlins stetig anwachsende englischsprachige Gemeinde, dass unter den Textern harte Konkurrenz um diejenigen Klienten herrscht, die anständige Preise zahlen. "Hier gibt es eine Menge Leute, die dasselbe tun wie ich."
UMGEKEHRTER KULTURSCHOCK
Nach viereinhalb Jahren Bratwurst und BVG beschloss die Expat-Texterin, dass die Zeit reif war für einen Besuch in der alten Heimat. Die Verlockung so vieler attraktiver Reiseziele direkt vor ihrer Haustür bedeutete, dass ihre Reisekasse zunächst für die Erkundung ihres Adoptiv-Kontinents draufgegangen war. Aber schließlich begann sich der Reiz des ungewohnten Berliner Winters doch abzunutzen, und Fiona war so weit, dass sie nachhause fahren und Freunde und Familie wiedersehen wollte. "Es gab eine ganze Reihe von Kulturschock-Momenten", lacht sie. "Ich fand es beim Ausgehen in Bars und Restaurants extrem laut. Ich stellte fest, dass Australier sich gerne in Gruppen zusammenscharen, vor allem in Bars, und sehr laut reden, bis sie fast herumschreien. Mir fiel zudem auf, dass alle mit mir reden wollten, von den Baristas bis hin zu den Barkeepern, und ich kam einfach nicht darauf, warum. Obwohl ich mich normalerweise gerne unterhalte und das hier in Deutschland manchmal vermisse, fand ich das in Australien richtig anstrengend." Nach all den Jahren im Ausland hatte sich etwas verändert: "Ich spürte definitiv eine Veränderung in mir selbst. Ich fühle mich zwar nicht als Deutsche, aber ich fühle mich auch nicht mehr hundert Prozent australisch, was immer das heißt. Ich stehe jetzt irgendwo in der Mitte."In kultureller Hinsicht bewundert Fiona, dass die Deutschen mit ihrer Privatsphäre um einiges zurückhaltender umgehen als der durchschnittliche Australier. Während Australier einem kurz nach dem Kennenlernen ohne weiteres ihre Lebensgeschichte erzählen, brauchten Fionas deutsche Freundinnen und Freunde länger, um etwas über ihr Privatleben und ihre Ansichten preiszugeben. Auch wenn dies zuweilen frustrierend sein konnte, bevorzugt Fiona heute das langsame Warmwerden in deutschen Freundschaften und Beziehungen gegenüber dem Mikrowellen-Tempo der gerne etwas zu offenherzigen Aussies. Fiona bewundert zudem die Fähigkeit der Deutschen, Arbeit und Privatleben getrennt zu halten: "Ich hatte hier in Berlin einen Vollzeitjob und die Bürokultur war ganz anders als in Australien, wo man sich darüber unterhält, was in irgendeiner Fernsehserie oder im Sport passiert ist oder was man am Wochenende gemacht hat. Die Deutschen sind weniger bereit, Arbeit und Privatleben zu vermischen, und ich finde, das hat etwas sehr Gesundes."