German-Aussie Stories
„Nichts ist jemals vergeudet“

"Fghting spirit" von der deutsch-australischen Künstlerin Kathrin Longhurst
Foto (Detail): © Kathrin Longhurst

Von ihrer Kindheit im ehemaligen Ostdeutschland über eine erste Karriere im Marketing hatte die in Deutschland geborene Kathrin Longhurst einen ungewöhnlichen Weg zum diesjährigen Gewinn eines der prestigeträchtigsten Kunstpreise Australiens.

Von André Leslie

Die Künstlerin Kathrin Longhurst schrieb kürzlich Schlagzeilen, als sie für ihr Porträt der beliebten australischen Sängerin Kate Ceberano den Archibald Packing Room Prize erhielt. Nach dem Archibald Prize selbst handelt es sich dabei um einen der bedeutendsten Kunstpreise Australiens, der sie in der Kunstszene dieses Landes als fest etabliert ausweist. Aber ihr Weg dahin, sich einen Namen zu machen, hatte zahlreiche Wendungen.
 
Vor dem Fall der Berliner Mauer im ehemaligen Ostdeutschland geboren, gelang Longhurst im Alter von 15 Jahren zusammen mit ihrer Familie die Flucht nach Schweden. Sie studierte Marketing an der Universität Lund und war, wie sie selbst erklärt, fest entschlossen, eine „brave kleine Kapitalistin“ zu werden.
 

Die deutsch-australische Künstlerin Kathrin Longhurst im Atelier
Kathrin Longhurst zog im Jahr 2000 endgültig nach Australien | © Greg Weight
Nach ihrem Umzug nach Australien im Jahr 2000 ließ sie die Unternehmenswelt jedoch schließlich hinter sich, um sich hauptberuflich auf ihre Kunst zu konzentrieren, und hat das auch nie bereut. Von ihrem heimischen Atelier aus sprach sie während Sydneys jüngstem COVID-19-Lockdown mit dem Goethe-Institut.
 
Ihre Kunst weist eine innere Anziehungskraft auf, die sie sehr zugänglich macht. Ist es möglich, dass das Ihrer Zeit im Marketing geschuldet ist?
 
Es ist lustig, dass Sie das sagen, denn tatsächlich ist das tief im sozialistischen Realismus verwurzelt. Die Kunst, mit der ich aufwuchs, war bildhafte und politische Propagandakunst. Diese Kunst wurde natürlich mit dem Ziel gemalt, für die Massen zugänglich zu sein und zu indoktrinieren und zu erziehen. Mein erstes abstraktes Kunstwerk sah ich erst, als ich schon in Schweden lebte. Ich besuchte das Louisiana Museum of Modern Art in Dänemark, und dort sah ich zum ersten Mal im Leben abstrakte Malerei, weil abstrakte Kunst, als ich jung war, in Ostdeutschland immer als bürgerlich und als etwas für reiche Leute galt.
 
Offensichtlich spiele ich heute mit diesem Malstil, dem Propagandaaspekt und all dem, und ziehe ihn ein Stück weit ins Ironische, aber gleichzeitig befördere ich damit meine eigenen Ziele. Sprich, die Stärkung der Position von Frauen und das Propagieren einer anderen Art, Frauen in der Kunst als Subjekt zu betrachten. Wir haben im Laufe der Geschichte reihenweise historische Gemälde mit männlichen Protagonisten gesehen. Frauen werden vorzugweise nackt und irgendwo im Hintergrund abgebildet. Ich versuche, diese Darstellung ein Stück weit zu verändern. Denn viele starke weibliche Rollenmodelle zu sehen, verändert meiner Meinung nach wirklich die Vorstellung in der Gesellschaft dahingehend, dass Frauen als gleichwertig, kompetent und ebenbürtig angesehen werden.
 
Was hat Sie ursprünglich dazu motiviert, als Künstlerin tätig zu werden?
 
Ich habe schon immer gezeichnet und gemalt, aber ich denke, meine Aussichten, im Osten hauptberuflich Künstlerin zu werden, wären ziemlich düster gewesen, insbesondere weil es passieren konnte, dass man für die Regierung arbeitete und eine Menge staatliche Auftragsarbeiten und politische Arbeit erledigte. In Schweden hatte ich immer mit dem Gedanken gespielt, Künstlerin zu werden, Abendkurse zu nehmen, Mitglied in Vereinen zu werden und so weiter. Aber ich wollte nicht als die arme Verwandte aus dem Osten gesehen werden, die der Gesellschaft auf der Tasche liegt. Also dachte ich, ich müsste eine brave kleine Kapitalistin werden, und machte schließlich einen Master-Abschluss in Marketing. Und die Arbeit in Corporate Sales und bei großen Firmen war einfach schrecklich. Ich denke, es laugte mich einfach emotional aus und machte mich auch körperlich krank, ich hatte jede Menge gesundheitliche Probleme.
 
Ich wollte diese Arbeit einfach nicht machen und habe 2003 schließlich alles hingeschmissen. Mein ganzes Leben zielte darauf ab, es in der Unternehmenswelt zu etwas zu bringen, und dann habe ich das alles einfach hingeworfen. Allerdings bin ich überzeugt, dass nichts jemals vergeudet ist. Diese Kompetenzen waren mir später sehr nützlich, denn Künstlerin zu sein ist, als würde man sein eigenes Unternehmen führen.
Kathrin Longhurst während ihrer Jugend in der DDR
Kathrin Longhurst (mitte) während ihrer Jugend in der DDR | Privat
Ihr Gemälde der australischen Sängerin Kate Ceberano hat kürzlich den Archibald Packing Room Prize gewonnen, eine prestigeträchtige Auszeichnung in der australischen Kunstszene. Was bedeutete es für Sie, diese Anerkennung zu erhalten?
 
Das war eines der fantastischsten Dinge, die mir in meiner Karriere je passiert sind, denn ein Preis wie dieser erweitert deine Reichweite enorm und gibt dir eine Plattform, um über das zu sprechen, was dir am Herzen liegt. Ich spüre eine riesige Verantwortung, meinen Status sinnvoll zu nutzen. Ich bin in der australischen Kunstszene schon länger eine bekannte Künstlerin, aber mit der größeren Reichweite, die ich jetzt habe, fangen die Leute an, einem auch wirklich zuzuhören. Ich werde der Art Gallery of New South Wales auf ewig dankbar sein, dass sie Kunstschaffenden diese unglaubliche Plattform bietet, um ihre Arbeit einem breiteren Publikum bekannt zu machen. Außerdem war es einfach fantastisch, mit Kate zu arbeiten. Sie ist so ein liebenswerter Mensch und ich habe unglaublich viel von ihr gelernt. Für sie ist das Wichtigste, die Menschen um sie herum zu fördern und sich gegenseitig zu helfen. Sie ist unglaublich solidarisch, obwohl sie es in diesem letzten Jahr selbst sehr schwer hatte. Ich habe sehr viel über Menschen in der Unterhaltungsbranche, in der Musikindustrie gelernt und wie extrem dieses Jahr für sie war. Ich meine, für mich hat sich nicht wirklich viel geändert. Ich bin nach wie vor in meinem Studio, ich verkaufe nach wie vor meine Werke. Ausstellungen sind jetzt online, man geht nicht mehr persönlich hin, aber ich verdiene nach wie vor Geld. Wohingegen man bei Auftritten keine Alternative hat, niemand zahlt für eine Konzertkarte auf Zoom. Es ist einfach nicht dasselbe.
 
Würden Sie sagen, die COVID-Lockdowns in Sydney haben Ihnen das Arbeiten erleichtert? Ich nehme an, Sie haben einen ziemlich störungsfreien Arbeitsalltag, wenn man mal von den ganzen Interviewanfragen absieht.
 
Nicht wirklich. Die meisten Kunstschaffenden, die ich kenne, sind sehr emotionale Menschen. Wir nehmen die Dinge sehr persönlich. Man absorbiert Dinge, das macht gute Künstler*innen ja auch aus. Wer viel Empathie hat, kann Dinge sehr intensiv ausdrücken, und das führt zu guter Kunst, weil die Menschen einen Draht dazu finden können und es Emotionen auslöst. Aber es macht einen auch sehr verletzlich, wenn es nicht gut läuft. Man lädt sich die Last der Welt auf die Schultern und internalisiert vieles von dem Schmerz, den die Gesellschaft spürt.
"In Orbit" von der deutsch-australischen Künstlerin Kathrin Longhurst
"In Orbit" von der deutsch-australischen Künstlerin Kathrin Longhurst | Photo (detail): © Kathrin Longhurst
Obwohl ich mehr Zeit habe, weil ich nicht zu schicken Dinnerpartys oder zu Veranstaltungen in Galerien gehe, weil das alles gestrichen ist, stelle ich deshalb fest, dass ich wirklich mit meiner Motivation kämpfe. Das macht es sehr schwer, etwas gebacken zu kriegen, weil man von der Negativität und den Angstgefühlen so eingenommen wird, die einfach jede*r spürt. Man macht sich Sorgen um seine Freund*innen, man macht sich Sorgen um seine Familie, und das wirkt sich auf die Arbeit aus.
 
In diesem Jahr hat die Aufmerksamkeit für Ihre Werke jedoch zugenommen, und jetzt, mit dieser zusätzlichen Auszeichnung, haben Sie sich endgültig in den Mainstream vorgearbeitet. Was kommt als nächstes?
 
Ich denke, wir alle träumen davon, auf dieser Welt unsere Spuren zu hinterlassen. Für die meisten Menschen ist es das Wichtigste, etwas zu verändern. Und ich denke, für mich geht es darum, an Projekten beteiligt zu sein, die wirklich etwas bewegen. Im Moment arbeite ich zusammen mit zwei weiteren Künstler*innen an einer Ausstellung zu Flüchtlingsthemen. Sie soll in der Manly Art Gallery and Museum an den Northern Beaches gezeigt werden, hat sich aber wegen COVID verschoben.
 
Ich habe Porträts von weiblichen Flüchtlingen gemalt, weil diese Frauen buchstäblich die unglaublichsten Menschen sind, die ich je kennengelernt habe. Ich bin voller Ehrfurcht und Bewunderung davor, wo sie herkommen, was sie durchgemacht haben und wie sie durch diese Erfahrungen zu diesen unglaublichen Menschen geworden sind, die so mitfühlend, großzügig und voller Dankbarkeit sind. Ich habe enormen Respekt vor ihnen. Es sind Projekte wie dieses, die mich morgens zum Aufstehen motivieren. Das ist es, wofür ich meinen „Status als Berühmtheit“ nutzen möchte. Wenn ich Kunst wie diese machen kann, macht das für mich alles wett.
 
Die Ausstellung Settled/Unsettled mit Werken von Kathrin Longhurst, Mehwish Iqbal, Penny Byrne und Angus McDonald soll jetzt ab Juni 2022 stattfinden. 

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