Karneval in Deutschland
Die närrische fünfte Jahreszeit
Die Deutschen mögen dem Klischee nach ernst und diszipliniert sein, aber einmal im Jahr ist zumindest ein Teil der Republik außer Rand und Band. Was Sie über das wohl verrückteste aller deutschen Feste wissen müssen.
Von Eva-Maria Verfürth
Wer sich zu Karneval nichts ahnend in eine der deutschen Narren-Hochburgen verirrt, dem mag es vorkommen, als stünde hier alle Welt Kopf – und liegt damit nicht ganz falsch. Als Clowns, Geister oder Einhörner verkleidete Narren singen und tanzen auf den Straßen, kilometerlange Umzüge schlängeln sich durch die Innenstädte und die Lokale sind zum Bersten voll. Das normale Alltagsleben steht still und so bleibt zufällig Anwesenden nur eine Option: mitzufeiern.
Drei Monate Karneval: Die fünfte Jahreszeit
Die Wurzeln des Karnevals in Deutschland sind vielfältig: Die Germanen vertrieben die Wintergeister, bei den Römern ließen es sich während der Saturnalien Herren und Sklaven an einem Tisch gut gehen. Seit dem Einzug des Christentums wollte man vor allem in den katholischen Regionen Deutschlands vor Beginn der Fastenzeit nochmal richtig feiern. Aus dieser Zeit rühren wohl auch die Begriffe „Fastnacht“ und „Karneval“ (vom lateinischen „Carne“=Fleisch und „vale“=lebe wohl). Der heutige Karneval ist ein bisschen von alledem: ein ausgelassenes Straßenfest in teils klirrender Winterkälte, eine Auflehnung gegen Autoritäten und vor allem ein Anlass, das Leben zu feiern und in vollen Zügen zu genießen.Gefeiert wird traditionell besonders im Rheinland mit den Hochburgen Köln, Düsseldorf und Mainz sowie in Südwestdeutschland in der schwäbisch-alemannischen Fastnacht. Aber auch in vielen anderen Orten von Bayern bis Brandenburg ist der Karneval aus dem Jahresverlauf nicht wegzudenken. So wichtig ist für viele der Karneval – je nach Region auch Fastnacht oder Fasching genannt –, dass sie auch von der „fünften Jahreszeit“ sprechen. Sie beginnt am 11. November und dauert bis zum Beginn der Fastenzeit sieben Wochen vor Ostern.
Als „Narren“ oder „Jecken“ bezeichnen sich alle, für die Karneval zur Lebenseinstellung gehört. Wer gerne feiert, sich selbst nicht zu ernst nimmt und ein bisschen verrückt ist, der ist „jeck“. An Karneval rufen sich die Narren lokale Feiergrüße zu: „Alaaf“ in Köln, „Helau“ in Düsseldorf, Mainz und Hessen, „Hei Jo“ in Berlin und „Ahoi“ in Bremen sind nur einige Beispiele. (Wer sich die Karnevalsrufe online anhören möchte, kann das hier tun.)
Die jecke Zahl Elf: Sessionseröffnung am 11.11. um 11:11 Uhr
Am 11.11. jeden Jahres wird in großen Open-Air-Veranstaltungen die neue Karnevalssession eröffnet. Nun beginnt die Regentschaft der Karnevalsprinzen und -prinzenpaare, die bis Aschermittwoch das jecke Treiben regieren sollen. In Köln wird sogar ein Dreigestirn gekürt: Prinz, Bauer und Jungfrau werden traditionell von Männern verkörpert und haben bis zu 400 Auftritte pro Saison.Wer in dieser Zeit Uniformierte auf den Straßen des Rheinlands sieht, muss sich nicht wundern: Sie gehören meist zu den traditionellen Corps der Karnevalsvereine. Die ersten Karnevalsgesellschaften wurden schon Anfang des 19. Jahrhunderts in Köln gegründet. Die Uniformen waren an die Kleidung der napoleonischen Truppen angelehnt, die 1801-1813 das linke Rheinufer besetzt hatten. So machen sich die Rheinländer bis heute über militärische Disziplin lustig. Mit den „Rosa Funken“ gibt es in Köln sogar ein schwules Karnevalscorps.
Die Karnevalsvereine veranstalten auch die Karnevalssitzungen, die während der ganzen Session stattfinden und zum Teil im nationalen Fernsehen übertragen werden. Hier treten lokale Musikgruppen auf – im Kölner Raum allein gibt es mehrere Hundert Bands aller Stilrichtungen, die Mundart-Musik machen – sowie sogenannte „Büttenredner“, die satirisch-politische Reden halten. Schon im Mittelalter durfte während der Fastnachtszeit „der einfache Mann“ die Obrigkeit ungestraft kritisieren, und so besteht bis heute der Kern der Sitzungen darin, die politische Führung auf die Schippe zu nehmen.
Der Bürgermeister gibt den Schlüssel ab: Der Straßenkarneval beginnt
Der Höhepunkt des Karnevals beginnt für alle Narren und Jecken aber im Februar, sechs Tage vor Beginn der katholischen Fastenzeit: An „Weiberfastenacht“ oder „Altweiber“ startet der Straßenkarneval, der erst in der Nacht zum Aschermittwoch sein Ende finden wird.An diesem Tag übernehmen die Frauen die Herrschaft: Auf der Straße, auf der Arbeit, oder in der Straßenbahn sollten Männer sich in Acht nehmen. Wer eine Krawatte trägt, muss damit rechnen, dass sie ihm von feierfreudigen Frauengruppen kurzerhand abgeschnitten wird. Auch in Unternehmen stürmen Mitarbeiterinnen um 11:11 Uhr das Chefbüro: Nun wird die Arbeit lahmgelegt; es darf gefeiert werden.
In vielen Städten übergibt der Bürgermeister um 11:11 Uhr symbolisch die Macht an das Volk und überreicht den Rathausschlüssel entweder an die Weiber oder an die lokalen Karnevalsautoritäten – nur für die kommenden sechs Tage natürlich.
AUS DEN GEWOHNTEN ROLLEN AUSBRECHEN: KOSTÜMIERUNG ALS LEBENSGEFÜHL
Während des Straßenkarnevals ist Kostümierung Pflicht; jeder darf nun für sechs Tage in eine neue Rolle schlüpfen. Der Kreativität sind dabei keine Grenzen gesetzt, außer vielleicht vom Wetter. Kostüme müssen draußen warm halten, dürfen für die Feiern in Bars und Clubs aber auch nicht zu dick sein. Gar nicht so einfach! Viele Narren haben deshalb mehrere Kostüme, und so manch einer legt sich sogar einen eigenen Kostümkeller an.Ganz anders als etwa der rheinische Karneval mutet die schwäbisch-alemannische Fastnacht an. Hier wird der Winter noch mit Gruselgestalten ausgetrieben: Teufel, Sagengestalten, Hexen und „wilde Leute“ jagen durch die Straßen. Charakteristisch sind ihre aufwendig gestalteten Masken, die meist aus Holz geschnitzt sind. Die Kostümierten – hier „Narrenhästräger“ genannt – wechseln ihre Verkleidung nicht, sondern behalten sie jedes Jahr bei.
Karnevalsumzüge: Süßigkeiten und Politik
Überall in Deutschland finden während des Straßenkarnevals bunte Umzüge statt. Jedes Dorf und jedes Stadtviertel organisiert eigene Paraden, bei denen Musik- und Tanzgruppen, Karnevalsvereine, Nachbarschaftsclubs und Schulen als verkleidete Fußgruppen oder auf eigens dafür gebauten Festwagen durch die Straßen ziehen. Ganz besonders toll für Kinder: Die Gruppen werfen den Besuchern „Kamelle“ – Süßigkeiten – zu, aber auch Blumensträuße oder Stofftiere sind unter dem Wurfmaterial.Die größten und bekanntesten Umzüge finden an Rosenmontag in Köln, Düsseldorf und Mainz statt. Mit bis zu 100 Gruppen sind sie mehrere Kilometer lang und dauern den ganzen Tag an. Bei den Rosenmontagszügen geht es nicht nur ums Feiern: Besonders die Düsseldorfer Motiv-Wagen sind für ihre bissige Satire bekannt, aber auch Köln und Mainz werfen einen kritischen Blick auf Politik und Gesellschaft. Zum Kölner Rosenmontagszug kommen jährlich rund eine Million Besucher und es werden mehrere Hundert Tonnen Süßigkeiten verteilt. Obwohl der Rosenmontag kein offizieller Feiertag ist, geben viele Arbeitgeber ihren Mitarbeitern frei.
„Am Aschermittwoch ist alles vorbei“: Geisterzug und Nubbelverbrennung
Nicht immer ist Karneval bunt: Im Eifelstädtchen Blankenheim erobern Samstagnacht Geister und Gruselfiguren die Stadt. Und auch in Köln lehren dunkle Gestalten beim „Jeisterzoch“ die Passanten das Fürchten. Dem Geisterzug darf sich jeder anschließen, der gruselig gekleidet ist. Und so ziehen am Karnevalssamstag Gespenster und Skelette, Feuerspucker und Trommelgruppen durch die nächtlichen Straßen.Ähnlich düster geht es am letzten Karnevalsabend zu. Steht der Aschermittwoch vor der Tür, sollen die Sünden der Karnevalstage schnell vergessen gemacht werden. Als Sündenbock muss der „Nubbel“ herhalten, eine Strohpuppe, die Dienstagnacht vor den Kölner Kneipen verbrannt wird. In einer mittelalterlich anmutenden Zeremonie geben als Priester, Mönche und Henker verkleidete Gestalten dem Nubbel die Schuld für alle schändlichen Treiben der vergangenen Tage. Ist der Nubbel verbrannt, sind die Sünden verbüßt, der Karneval beendet und der Aschermittwoch beginnt.
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