Auf der Suche nach dem Heilmittel gegen Antiziganismus in den Medien
Radmila Mladenova während der Media Incubator Seminar in Sofia
| ©Nevena Rikova
Vorurteile und Diskriminierung gegenüber ethnischen Minderheiten sind in den europäischen Gesellschaften tief verwurzelt. Doch die COVID-19-Pandemie scheint dieses Problem weiter zu verschärfen. Dies gilt insbesondere für die Roma, die größte ethnische Gruppe in Europa.
Daher beschloss das Goethe-Institut Bulgarien, die diesjährige Ausgabe des Media Incubators auf das Thema Antiziganismus in audiovisuellen Medien zu konzentrieren. Im Laufe von vier Tagen, vom 4. bis 7. Oktober, veranstaltete das Institut einen exklusiven Workshop für zehn junge, angehende Journalisten*. Das Bildungsprojekt zielte darauf ab, die Kontinuität antiziganistischer Konstruktionen in den audiovisuellen Medien und die Instrumente der visuellen Darstellung zu untersuchen, die zur Marginalisierung und Diskriminierung von als "Zigeuner" bezeichneten Personen und/oder Gemeinschaften eingesetzt werden.
Welche Rolle haben die Medien bei der Entstehung und Zementierung der jahrhundertelangen Intoleranz gegenüber den Roma gespielt? Kann ethischer Journalismus der negativen Darstellung von Roma in den Medien ein Ende bereiten und die Krankheit des Antiziganismus heilen? Wie genau kann dies gelingen?
Dies sind nur einige der Fragen, die es zu klären gilt. Das Programm des Workshops orientierte sich an der kürzlich veröffentlichten Forschungsarbeit von Radmila Mladenova, die an der neu eingerichteten Forschungsstelle für Antiziganismus an der Universität Heidelberg arbeitet. Für ihr Dissertationsprojekt hat sie über 120 Spielfilme und 35 Dokumentarfilme von den Anfängen des Kinos bis heute analysiert. Sie wollte herausfinden, mit welchen Instrumenten und Bildern die nationalen Mehrheiten dazu beigetragen haben, Stereotypen über Roma in die Welt zu setzen, zu verfestigen und sie so von der Gesellschaft zu entfremden. Neben den theoretischen Kenntnissen gab Mladenova den Workshop-Teilnehmern auch praktische Leitlinien für die Darstellung von Minderheiten in audiovisuellen Medien an die Hand.
Ihre Vorträge wurden durch Beiträge von Filmemachern – bulgarischen und solchen mit Roma-Hintergrund - , von erfahrenen Journalisten, Schauspielern und Experten ergänzt, darunter die einzige Roma-Fernsehmoderatorin in Bulgarien, Kremena Budinova, die erste diplomierte Schauspielerin mit Roma-Herkunft, Natalia Tsekova, und die erste Roma auf dem Regiestuhl des Landes, Ljudmila Zhivkova. Zu den Mentoren gehörten auch die Mitbegründerin der bulgarischen Sektion der Vereinigung Europäischer Journalisten Maria Cheresheva, die Videojournalistin der Deutschen Welle Maria Milkova, die Mitbegründerin des bulgarischen Helsinski-Komitees und Chefredakteurin von Marginalia.bg Yuliana Metodieva. Auf dem Programm stand auch eine anregende Diskussion mit Peter Nestler, einem der wichtigsten Dokumentaristen der deutschen Nachkriegszeit.
"Jede Demokratie muss sich mit Rassismus und Extremismus auseinandersetzen, um als Demokratie überleben zu können", sagte er, als er mit den Seminarteilnehmern das Thema Antiziganismus in den audiovisuellen Medien diskutierte.
Damit das Thema ein breiteres Publikum erreicht, wurde das Seminar von einem speziell kuratierten Filmprogramm im nahegelegenen Programmkino begleitet. Zu den vorgestellten Titeln gehörten "Afferim!" von Radu Jude, "Zigeuner sein" von Peter Nestler, "Merry is the Gypsy Life" von Lyudmila Zhivkova, "Willkommen zuhause" von Eliza Petkova und Alina Serban war als Hauptdarstellerin des Films "Gypsy Queen" und mit ihrem Kurzfilm "Letter of Forgiveness" vertreten. Jede Filmvorführung wurde von einer Fragerunde im Kino mit einigen der Filmemacher sowie von Networking-Möglichkeiten für die Teilnehmer begleitet.
(L-R) Nataliya Tsekova, Radmila Mladenova und Hristo Hristozov am Dom na Kinoto
| ©Nevena Rikova
Inspiriert von der Kreativität der Teilnehmer und ihrem Wunsch nach Veränderung im Journalismus veranstaltete das Goethe-Institut am Ende des Workshops einen Wettbewerb unter den Teilnehmern. Es ging darum, ein Medienprodukt zum Thema "How To Overcome Labels" zu konzipieren, das in der Lage wäre, ein breiteres Publikum erreichen und das Bewusstsein für das Thema Diskriminierung zu schärfen. Als Ergebnis haben die Teilnehmer eine Vielzahl von Ideen für Podcasts, Radiosendungen, interaktive Kunstinstallationen, Ausstellungen, Artikel und audiovisuelle Shows entwickelt. Fünf davon werden derzeit mit finanzieller Unterstützung des Instituts produziert und sollen bis April 2022 veröffentlicht werden.
Das von dem Journalistik-Studenten Stanislav Petrov entworfene Projekt ist ein soziales Experiment, das verschiedene Gesprächspartner in imaginäre Situationen zu diskriminierenden Themen versetzt. Der Titel selbst, "S.U.P.E.R", ist eine bulgarische Abkürzung für alle Themen, die während der Show diskutiert werden sollen - Sexualität, Behinderung, Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit und Religion. "S.U.P.E.R." wird auch einen karitativen Charakter haben: Der Gewinner des Experiments erhält die Möglichkeit, 1000 BGN an eine Organisation, Initiative oder bedürftige Person zu spenden.
Unter dem Titel "The Undocumented" (Die Undokumentierten) arbeitet ein Team von zwei Teilnehmern an einem Multimediaprojekt, das die Geschichten der Flüchtlinge in Bulgarien erzählen soll, die sich in einer undokumentierten Situation befinden. Die Autoren - die erfahrene Journalistin des bulgarischen Nationalradios Eleonora Tropankova und das junge Talent im investigativen Journalismus Kristiyan Yulzari - werden eine Kombination aus Audioinhalten für das Radio sowie einen Artikel und eine Reihe von Dokumentarvideos erstellen, die auf der nationalen Studentenplattform für Journalismus sCOOL Media präsentiert werden sollen.
Eine weitere preisgekrönte Idee stammt von Magdalena Tsaneva und Viktor Bonzholov, die einen interdisziplinären Ansatz zum Thema "How To Overcome Labels" verfolgen, indem sie Magdalenas Kenntnisse als Kulturwissenschaftlerin mit Spezialisierung auf Kommunikationsforschung und Viktors Fähigkeiten in der Entwicklung eigener Online-Medien kombinieren. Sie wollen Schülern beibringen, wie man Podcasts macht und dabei das Thema "Menschen jenseits von Etiketten" behandeln. Der Schwerpunkt liegt dabei auf dem Bild und der Rolle der Frau in unserer Gesellschaft und ihre Darstellung in den Medien. Um die breite Öffentlichkeit zu erreichen, sollen die Ergebnisse des Workshops in Form einer interaktiven audiovisuellen Installation präsentiert werden, die in Veliko Turnovo zu sehen sein wird. Die Autoren werden gemeinsam mit den Schülern an der Installation arbeiten und die Ergebnisse verwenden, die während des Workshops entstanden sind - Podcast-Aufnahmen, Texte, Artikel und andere Informationsmaterialien.
Das Projekt des Journalismus-Studenten Rossen Tzakovski sieht ebenfalls einen Podcast "Menschen jenseits von Etiketten" vor, der das Bewusstsein für die soziale Stigmatisierung verschiedener gesellschaftlicher Gruppen (Frauen, Roma, LGBTQ+, Menschen mit Behinderungen) erhöhen soll. Ihr Ziel ist es, in zehn Episoden zu untersuchen, ob die Stigmatisierung im Laufe der Pandemie zugenommen hat. Bis heute gibt es keinen solchen Podcast für das bulgarische Publikum. Daneben plant Rossen für 2022 auch eine Kunstausstellung, deren Erlös für einen guten Zweck (Bildung oder Gesundheit) gespendet werden soll. "Das Ziel ist es, durch die Kunst zu zeigen, dass wir angesichts einer globalen Pandemie alle gleich sind", heißt es in der Erklärung von Rossen.
Last but not least wird die Idee von Pavel Bozhilov für einen Podcast gefördert, der die Roma in den Mittelpunkt stellt. Mit "Conversations from the Neighborhood" will Pavel, ein angehender Filmregisseur, die Hörer für ihre eigenen Vorurteile sensibilisieren und sie dazu anregen, darüber nachzudenken, wie sie entstanden sind.
Um dies zu erreichen, wird der Autor Raum für die Stimmen und Geschichten der Roma schaffen, die im Sofioter Stadtviertel Fakulteta leben; denn sie kommen aufgrund der vorherrschenden Vorurteile in den Medien oft nicht vor. Die Moderatorin des Podcasts ist selbst eine Romni, die 29-jährige Emilia Dimitrova, die Gespräche mit ihren Freunden, Verwandten und Nachbarn führen wird, um die Perspektive und die Lebenserfahrungen von Menschen aus der Roma-Gemeinschaft in der Nachbarschaft vorzustellen.
Die Teilnehmer des diesjährigen Seminars Media Incubator
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Wir sind nun gespannt auf die Endergebnisse. Im Jahr 2022 werden wir unsere Arbeit zur Förderung eines ethischen und sozial verantwortlichen Journalismus fortsetzen.