Lyrik
Sergio Gareca
Von Sergio Gareca
Sergio wurde 1983 in Oruro geboren, wo er derzeit auch lebt. Er hat mehrere Gedichtbände veröffentlicht, zuletzt, Área VIP (2016), den Erzählband Tradiciones del Futuro (2015) und das experimentelle Buch Apologia de un Monstruo Diminuto (2018). 2010 wurde er von der bolivianischen Buchkammer und der Stiftung Pablo Neruda in Chile mit dem Preis für “junge Poeten Boliviens” ausgezeichnet. Er gründete das Athenäum „Semilla Cámbrica-Mundo Libre“ und gehört zur Bewegung Cultural Suyana sowie zum Organisationsteam des Internationalen Poesiefestivals von La Paz.
Interview
Goethe-Institut: Im Kontext der zeitgenössischen Literatur stechen deine Texte durch die Neigung zum Experimentellen hervor. In „Düstrung“ spielst du mit der Sprache, wobei du fast eine neue Sprache erfindest. Welche Idee steckt dahinter?
Sergio Gareca: In unserer täglichen Sprache, das heißt in unserem schlecht gesprochenen Spanisch in Bolivien, erscheinen Barbarismen und andere fremde Hybridisierungen wie „quemeimportismo“, so in einem Wort und wie ein einziger Begriff. Diese Transsprachen wecken meine Aufmerksamkeit, diese fast durchlässige Grenze zwischen einigen semantischen Konstruktionen aus dem ins Spanische adaptierten Aymara und Quechua. Diese Sprache existiert, das Einzige, was ich gemacht habe, war, ihr noch etwas mehr Aufmerksamkeit zu schenken, indem ich mit Übertreibungen hervorhebe.
In Wirklichkeit sind das ziemlich vulgäre Ausdrücke: vom Substantiv ein Verb zu machen, so wie aus Adjektiv und Verb ein einziges Wort zu schaffen. Zum Beispiel: für die Interaktion auf Facebook wählen wir „facebooken“. Oder im Falle der Adjektive erinnere ich mich an einen Freund, den wir „Klick-klack-Stiefel“ nannten, weil seine Stiefel beim Gehen wie „klick-klack“ klangen.
Schauen wir uns jetzt das erste Wort oder Verb im Gedicht an: chaospirieren. Ich nahm zwei total weit voneinander entfernte Begriffe (Chaos und Schwefelkies), ich führte sie zusammen und änderte danach die grammatikalische Kategorie. Das machen wir jeden Tag ganz unbewusst. Wir könnten sagen, das Verbrechen wechselt bei mir vom Fahrlässigen zum Vorsätzlichen.
Es ist der lebendige Teil unserer Sprache, und unser Spanisch ist eindeutig anders als das von Zentralamerika. Es sind dialektische Variationen, die uns den Raum bewusstmachen. Ich bin ein Hedonist. Es bereitet mir Vergnügen, diese Sprache zu ergreifen und zu formen.
Trotzdem taucht hier für mich eine große Befürchtung auf, weil die Gedichte ihrer großen Kontextualität nicht widerstehen können, und sicher wird man in anderen Breitengraden ein Wörterbuch benötigen. Aber gut, hier haben wir „Trilce“ von César Vallejo, das uns zeigt, dass ein Gedicht nicht immer aus einer einzigen Sprache bestehen muss.
Die aktuelle bolivianische Literatur ist nur wenig außerhalb des Landes bekannt. Warum ist das so?
Es gibt eine Grenze des Verlegens, die unsere Bücher nicht überschreiten. Trotzdem glaube ich, dass wir alle darin übereinstimmen, dass die Poesie ein sehr fruchtbarer Zweig der bolivianischen Literatur ist.
Das Internet und die Begegnungen helfen viel. Derzeit, wo Millionen von Büchern veröffentlicht werden, scheint das Einzige zu sein, das uns die Annäherung an die Literatur anderer Länder erlaubt, die Begegnungen, die Anwesenheiten, jetzt sind wir multipräsente Wesen. Wir haben einen physischen Körper, einen mentalen und virtuellen Körper. Ich glaube, dass in diesen Zeiten Begegnungen wichtig sind. Der Kannibalismus aller dieser Körper. Ich nehme an, dass von dort viele Dinge und vor allem Dialoge ausgehen.
Damit die bolivianischen Schriftsteller sichtbarer werden, fehlt vielleicht eine Modenschau. Einmal haben wir eine Buchmesse organisiert und Unterstützung durch ein staatliches Unternehmen erhalten. Dann haben sie uns plötzlich abgesagt. Viel später haben wir erfahren, dass das gleiche Unternehmen eine Modenschau mit Supermodels organisiert hat und dafür viel ausgegeben hat. Ich weiß nicht, ob der bolivianischen Poesie die Farben fehlen, aber vermutlich das Glamuröse.
„Ich bin Hedonist. Es bereitet mir Vergnügen, Sprache zu ergreifen und zu formen.“
Als Einwohner Oruros, spürst du den Unterschied zur Literaturszene von La Paz? Welches sind die Poeten, die dich inspirieren?
Ich lebe in Oruro, und das ist eindeutig anders. Ich spekuliere gerne über die psychologischen Befindlichkeiten dieser Städte. La Paz ist eine hysterische Stadt, Oruro eine psychotische. Das sind unterschiedliche Formen von Wahnsinn. Hier wird uns die Glückseligkeit töten. Mir gefällt meine kleine Stadt. Es ist eine große, sehr große Hölle. Wenn von Poesie die Rede ist, ist etwa in den Schulen die des Subtilen immer noch an der Tagesordnung. Mir gefällt es aber, ab und zu auf der Straße oder in einer Kneipe zu lesen, ohne Grund und Motivation, auf dass die Poesie helfe, in diesen Momenten besser zu leben. Aber natürlich ist es eine schmutzige Arbeit, wenngleich erfreulich. Aber so ist es, mir gefällt der Begriff der lebendigen Poesie.
In all dem entdecke ich wie meinen nächsten Vorfahren Hector Borda Leaño wieder. Und dann gibt es noch viele andere, die ich gern lese: Franz Tamayo oder Arturo Borda, aber auch Zeitgenossen wie Pamela Romano, Emma Villazón und Rodny Montoya. Es ist eine sehr lange Liste. Ich glaube, ich bin ein schlechter Kritiker. Fast alles gefällt mir. Oder ich bin ein ganz subtiler Dieb, der immer auf der Suche nach neuen zu nutzenden Ressourcen ist, und ich sehe sie überall.
Im Ohrloch ein Ohringoh
Mit talwärtsigem Kopf die INDI/ götter(lOSen)
pachamamamieren und pachacutieren
die nowy Verse Subverse
des Retromutterlands
Aus „Düstrung“