Populärwissenschaftliche Texte sind eine wichtige Quelle für neue Erkenntnisse. Deswegen sollten die Deutschlernenden im Kurs „Deutsch mit der Digitalen Kinderuniversität“ Erfahrungen mit Informationsextraktion aus solchen Texten auf Deutsch sammeln. Unten werden mögliche Arbeitsweisen dargestellt, wie man am Beispiel des Textes über Louis Braille (Lektion 2) arbeiten kann. Zu den Rückmeldungen von Lehrern, die an dem Pilotkurs teilnahmen, gehörten solche Meinungen über den Kurs: „Für die Schüler der vierten Klasse war es schwierig, den Text schnell und selbständig zu verstehen, an manchen Stellen musste man helfen. Die Kinder können es ohne eine Übersetzung nicht tun.“ Alle Texte, die im Unterricht der „Kinderuniversität“ verwendet werden, sind etwas komplizierter als Lehrbuchtexte und liegen im Bereich der nächstgelegenen Entwicklung der Schüler/innen. Dies liegt daran, dass spezielle Texte in einer Fremdsprache, mit denen sich unsere Schüler/innen in ihrem Berufsleben befassen müssen, mit großer Wahrscheinlichkeit komplexe grammatische Konstruktionen und einen großen Anteil an unbekanntem Vokabular enthalten werden. Der Erfolg bei der Informationsextraktion aus solchen Texten wird direkt davon abhängen, wie gut der Leser eine kompensatorische Kompetenz gebildet hat, einschließlich der Fähigkeit, den Inhalt durch Schlüsselwörter zu vervollständigen, der Fähigkeit, die Bedeutung unbekannter Wörter im Kontext zu erraten (durch die Ähnlichkeit mit anderen Sprachen oder durch Wortbildungselemente), der Fähigkeit, unbekanntes Vokabular, das für das Verständnis des Inhalts nicht wesentlich ist, zu ignorieren, usw. „Lernen ist nur dann gut, wenn es der Entwicklung vorausgeht. Dann erwacht es und bringt eine Reihe von Funktionen zum Leben, die sich im Stadium des Heranreifens befinden und in der Zone der nächsten Entwicklung liegen“, sagte L.S. Wygotskij. Es besteht kein Zweifel, dass der Text über Louis Braille für die Schüler/innen der 4. Klasse schwierig ist, und der Lehrer den Schülern helfen muss. Aber was bedeutet in diesem Fall „zu helfen“? Helfen heißt keineswegs, unverständliche Wörter und Sätze aus dem Text ins Russische zu übersetzen. Im realen Leben werden unsere Schüler/innen höchstwahrscheinlich auf Texte stoßen, bei denen sie nicht alle Wörter kennen, und man soll sie in der Schule nicht auf den Gedanken bringen, „zu verstehen“ heiße „zu übersetzen“. Es ist nicht notwendig, die Texte zu übersetzen. Die Hauptaufgabe des Lehrers ist es, den Kindern beizubringen, Kompensationsstrategien in Situationen von Lerndefiziten anzuwenden.
Anstatt zu übersetzen, ist es sinnvoll, die Schüler/innen zu bitten, alle Wörter im Text, die sie verstehen, mit einem Textmarker zu markieren. Der erste Absatz des Textes über Louis Braille würde so aussehen: „Louis Braille wurde am 4. Januar 1809 in Coupvray geboren. Coupvray ist eine kleine Stadt nicht weit von Paris. Louis hatte einen älteren Bruder und zwei Schwestern. Oft halfen (das wird im Spiel vor der Arbeit mit dem Text semantisiert) die großen Geschwister ihrem Vater in der Werkstatt (es gibt eine Illustration). Louis spielte gern in der Werkstatt. Aber eines Tages verletzte sich der dreijährige Louis am Auge. Nach einer Infektion wurde das Kind mit 5 Jahren blind.“
Nach einer solchen Arbeit wird den Lernenden klar, dass sie fast alles in diesem Text verstehen. Weiter ist es notwendig zu besprechen, ob man den Textinhalt verstehen kann, ohne jedes einzelnes Word zu übersetzen. Die Bedeutung des ersten Satzes (Louis Braille wurde am 4. Januar 1809 in Coupvray geboren) ist leicht zu erraten, wenn man weiß, dass dieser Text eine Biographie ist. Die Biographie beginnt immer mit dem Geburtsdatum und dem Geburtsort des Helden. Aus den verständlichen Wörtern des zweiten Satzes geht klar hervor, dass es sich um eine kleine Stadt irgendwo in der Nähe von Paris handelt. Aus dem dritten Satz erfahren wir die Anzahl der Brüder und Schwestern von Louis Braille. In den Sätzen vom 4. bis 6. ist fast alles klar. Selbst wenn das Wort „blind“ im letzten Satz des ersten Absatzes nicht klar ist, ist es möglich, durch logische Schlussfolgerungen („beschädigt das Auge - Infektion - blind“) die Bedeutung eines unbekannten Wortes anzunehmen.
Schüler/innen, die Deutsch als zweite Fremdsprache lernen, können auf die gleiche Weise mit dem Text arbeiten, achten aber zusätzlich zu den oben genannten Wörtern, die dem Englischen ähneln (geboren – born, Bruder – brother, Schwester – sister, helfen – to help, Vater – father, blind – blind usw.).
Es genügt, im ersten Absatz die Anwendung von Kompensationsstrategien aufzuzeigen und dann die Aufmerksamkeit der Schüler/innen darauf zu lenken, dass sie nach bestimmten Informationen im Text suchen müssen (nach den Antworten auf Quizfragen).
Um diese Aufgabe zu erleichtern, kann man die Bedeutung der Fragewörter (Der wievielte / In welchem / Wie viele / Wann / Welche / Wo / Woher / Wie lange) ggf. wiederholen, ihre Übersetzung an die Tafel schreiben und die Schlüsselwörter in jeder Frage hervorheben (1. Der wievielte Geburtstag; 2. In welchem Land … gelebt; 3. Wie viele Geschwister; 4. Wann … blind; 5. Welche Musikinstrumente; 6. Wo … lesen und schreiben gelernt; 7. Woher … die Idee … Blindenschrift; 8. Wie lange … gelebt). Die ersten vier Fragen werden im ersten Absatz des Textes beantwortet, den die Schüler/innen und der Lehrer bereits diskutiert haben. Um die Antwort auf die fünfte Frage zu finden (Welche Musikinstrumente spielte Louis Braille?), muss man nicht jeden Satz Wort für Wort lesen. Man braucht nur den Text durchzusehen und die Namen aller Musikinstrumente darin zu finden. Den Satz, in dem die Schüller/innen die Wörter Musik, Cello (Violoncello) und Orgel gefunden haben, müssen sie versuchen zu verstehen. Das Gleiche sollte mit der sechsten und siebten Frage gemacht werden. Bei der Suche im Text nach Schlüsselwörtern aus den Frageformulierungen finden Kinder das Wort Blindeninstitut neben lesen, lernen und Armee und Soldaten neben dem Wort Schrift). Bei der Suche nach einer Antwort auf die letzte Frage müssen die Deutschlernende daran denken, dass sie es mit einer Biografie zu tun haben, deswegen können Angaben zum Todesdatum im letzten Satz enthalten sein.
Wenn die Schüler/innen, die Deutsch als Zweitsprache lernen, nicht wissen, wie man Wörter auf Deutsch ausspricht, hindert das sie nicht daran, etwas Ähnliches mit dem Englischen im Text zu verstehen. Es ist nicht nötig, die Schüler/innen zu zwingen, den gesamten Text laut vorzulesen und sie durch eine detaillierte Analyse des Textinhalts zu „erschöpfen“. Die Quiz-Aufgabe setzt die Verwendung einer Suchlesestrategie voraus. Genau auf diese Strategie muss man die Schüler/innen anzielen und ihnen Aufgaben wie „Findet im Text Informationen über ...“ geben.
Lassen Sie uns ein weiteres Fragment aus den Berichten der Teilnehmer des Pilotkurses über die durchgeführten Unterrichte präsentieren und kommentieren: „Das Quiz über Louis Braille war besonders schwierig, weil die Schüler/innen nicht lesen können. Zusammen haben wir den Text gelesen, ihn aufgrund einer linguistischen Vermutung übersetzt. Die Fragen haben wir auch mit dem Lehrer zusammen übersetzt. Die Schüler/innen haben selbst nach den Antworten gesucht. Nach einer solchen Arbeit mit dem Text haben die Schüler/innen alle Fragen des „Wettrennens“ richtig beantwortet.“ Ja, die Kinder haben alle Fragen richtig beantwortet. Aber sie haben die Freude an der Teilnahme an dem Wettbewerb verloren. Der Eifer wurde verloren. Es handelt sich nicht mehr um ein „Wettrennen“, wenn alle Pferde im gleichen Tempo rennen und zur gleichen Zeit das Zielband erreichen. Wenn alles im Detail übersetzt wird (sowohl der Text als auch die Fragen), wird die Aufgabe völlig bedeutungslos, und das Entwicklungspotenzial der Aufgabe wird nicht genutzt. Die Hauptaufgabe des Lehrers bei der außerschulischen Tätigkeit besteht darin, die Schüler/innen zu interessieren, anstatt ihnen um jeden Preis ein Maximum an „vorgekauten“ Informationen zu geben. Es besteht die Gefahr, dass dieser Preis der Wunsch von Kindern nach außerschulischem Unterricht sein könnte.