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Interview
Lisa Schweiger und Bouton Kalanda

Lisa Schweiger und Bouton Kalanda, Kinshasa 2022
Lisa Schweiger und Bouton Kalanda, Kinshasa 2022 | ©Festival Pianos de Kinshasa

Auf Einladung des Goethe-Instituts Kinshasa hat die deutsche Clavichord-Spielerin Lisa Kokwenda Schweiger im Rahmen des Festivals „Pianos de Kinshasa“ drei Wochen in Kinshasa verbracht. In Zusammenarbeit mit dem kongolesischen Likembe-Spieler Bouton Kalanda ist dabei ein experimentelles Konzertformat entstanden, das die beiden Instrumente verbindet. In diesem Interview erzählen die Musiker*innen mehr über ihre Instrumente, ihre musikalische Praxis und ihre Zusammenarbeit in Kinshasa.

Lisa, du spielst Clavichord, Bouton, du spielst Likembe. Beides sind Tasteninstrumente, die seit Jahrhunderten in eurem jeweiligen kulturellen Kontext gespielt werden. Könnt ihr uns mehr über eure Instrumente erzählen, über ihre Geschichte und ihre zeitgenössische Verwendung?

Lisa Schweiger: Das Clavichord ist im Jahr 1440 entstanden und sozusagen die Ur-Oma vom modernen Klavier und eines der ältesten Tasteninstrumente der zentraleuropäischen Musikkultur, bzw. das älteste Tasten-Saiten-Instrument. Heutzutage wird das Clavichord gespielt von Leuten, die sich auf Alte Musik und historische Aufführungspraxis spezialisiert haben, also im Rahmen der klassischen, meist akademischen, europäischen Musizierpraxis (woher auch ich komme – ich habe Cembalo und Alte Musik am Konservatorium studiert). Ab und zu gibt es auch ein paar ungewöhnliche Projekte, wenn andere Musiker oder zeitgenössische Komponisten dieses Instrument entdecken. Oder eben, wenn es plötzlich in einer anderen Musikkultur landet, wie zur Gelegenheit des Festivals de Pianos in Kinshasa. Ich fand es spannend mit dem Instrumentarium so weit in die Vergangenheit zu gehen und gerade ein Clavichord mit nach Kinshasa zu bringen, wo es dann auf ein anderes Instrument treffen würde, das wahrscheinlich von ähnlich weit her in der Zeit kommt. Für mich ist das Clavichord in dem Sinne ein exotisches Instrument, weil es aus einem fernen/vergangenen Land, aus einer fremden Zeit kommt, die in meiner aktuellen Lebenswelt nicht (mehr) existiert. Das Clavichord erinnert fast an manche afrikanische Instrumente, Bouton meinte, es klinge beinahe wie eine Kora. Jedenfalls hat die Klangmischung super funktioniert. Das Clavichord klingt ohne elektronische Verstärkung sehr leise – das Likembe auch. Und beide Klänge kommen irgendwie von ganz weit her.
 

Lisa Schweiger spielt das Clavichord, Kinshasa 2022 ©Festival pianos de Kinshasa

Bouton Kalanda: Das Likembe ist ca. 1000 Jahre v. Chr. in Zentralafrika entstanden. Es ist also ein sehr altes Instrument, was aber bis heute gespielt wird, besonders in den kongolesischen Dörfern. Ich selbst komme aus Kinshasa, in der Großstadt ist das Likembe eher selten. Ich bin als Kind aber viel mit meiner Familie im Landesinneren gereist, und habe Musiker*innen in den Dörfern das Likembe spielen hören. Mit zehn Jahren habe ich dann selbst angefangen, das Instrument zu lernen. Ich war damals noch Tänzer, wollte aber gerne ein Musikinstrument lernen und habe das Likembe gewählt. Ich habe zuerst in traditionellen Musikgruppen gespielt und getanzt. Erst später habe ich angefangen, mit dem Instrument zu experimentieren. In Kinshasa habe ich moderne Musik gehört und angefangen, das Likembe zu dieser Musik zu spielen. Erst nur für mich, später dann in verschiedenen Projekten im Theater und modernen Musikgruppen wie beispielsweise dem Theater KVS in Brüssel.
  Bouton Kalanda spielt Likembe, Kinshasa 2022 ©Festival pianos de Kinshasa

Im Rahmen der Künstlerresidenz des „Festivals Pianos de Kinshasa“ habt ihr zwei Wochen gemeinsam geprobt und experimentiert. Bei euren beiden Konzerten in Kinshasa wurde sehr deutlich, dass ihr euch eine gemeinsame Spielweise erarbeitet habt. Wie seid ihr bei der Komposition (Auswahl) eurer Stücke vorgegangen, wie kann man sich eure gemeinsame Vorbereitungszeit vorstellen? Von welchen Musikrichtungen sind eure gemeinsamen Stücke inspiriert? Und sind Teile davon improvisiert?

Bouton Kalanda: Bevor Lisa nach Kinshasa kam, haben wir uns schon gegenseitig Aufnahmen über Whatsapp geschickt. So kannten wir schon die Spielweise des Anderen, bevor wir uns getroffen haben. Erst als wir uns dann persönlich in Kinshasa getroffen haben, konnten wir einen gemeinsamen Stil finden. Die Zeit war sehr kurz, daher haben wir Stücke überarbeitet, die wir schon hatten, haben uns gegenseitig bestehende Stücke beigebracht, haben aber auch improvisiert und die Stücke erweitert. Für mich war die Arbeit ein musikalischer Dialog, aus dem ein gemeinsames Werk entstanden ist. Wir haben uns dabei durch verschiedene Musikrichtungen inspirieren lassen, unter anderem durch traditionelle Musik aus unserer jeweiligen Kultur, aber auch durch Klassik, Jazz, Reggae und Rumba. Es war sehr wichtig, sich persönlich zu treffen, über die Distanz hätten wir eine solche Zusammenarbeit nicht machen können. Ich denke, dass es auch für Lisa eine große Herausforderung war, sich in Kinshasa einzufinden und in so kurzer Zeit etwas Neues zu entwerfen....

Lisa Schweiger: Der Kreationsprozess war eigentlich sehr intuitiv und spontan. In den ersten Tagen mussten wir uns und das Instrument des anderen natürlich erstmal kennen lernen. Erst habe ich Musik von Bouton gelernt. Ich war ja auch der Gast und es war interessant, seine kongolesischen, traditionellen Rhythmen auf dem Clavichord zu spielen. Dabei habe ich viel über Timing gelernt und viel auch nicht verstanden, aber das macht gerade die Magie einer solchen Zusammenarbeit aus. Dann ist ziemlich schnell ein echter Austausch entstanden. Ich habe ostinate (also sich wiederholende) Bassfiguren aus der Barock-Zeit vorgeschlagen, die er auf dem Likembe spielen kann (er spielt diatonisch) und über die man gut improvisieren kann. Somit sind diese historischen Tanz-Bässe gar nicht mal so weit weg von der kongolesischen Musik, die auch mit kurzen repetitiven Mustern funktioniert. Gegen Ende der Kreations-Phase haben wir richtig Fahrt aufgenommen und konnten kaum aufhören uns gegenseitig Musik beizubringen und haben bis zum Tag vor dem Konzert noch neue Sachen hinzugefügt. Bouton hat sogar einige bayrische Volksmelodien gelernt (von bei mir daheim), was besonders viel Spaß gemacht hat. Das Schöne an dem Austausch war, dass er total vorurteilslos passiert ist. Einfach nur mit sehr viel Neugierde und Freude am Mischen. Wir haben jeden Tag viele Stunden gespielt. In Europa hätte es von dem Programm vielleicht Noten gegeben und dann geht das Proben in einem anderen Tempo voran. Bouton spielt aber nicht mit Partitur, deswegen haben wir alles auswendig gelernt, was viel wiederholen und viel einfach spielen und ausprobieren bedeutet.

Ihr habt einmal im öffentlichen Raum gespielt im Rahmen der „Nganda Pianos“ (Pianos auf Terrassen), und einmal im Centre Culturelle Aw'art. Wie habt ihr die Reaktionen des Publikums erlebt, wie war das feedback? Gab es Unterschiede zwischen den beiden Spielorten?

Lisa Schweiger: Das Publikum war sehr enthusiastisch. Ich würde sagen, dass es für viele unerwartet war, dass wir gemeinsam so ein Fusion-Programm spielen, in dem ich, die Mundele*, Musik von Bouton spiele und er europäische Musik, die ich mitgebracht habe.
Leider waren die technischen Bedingungen in beiden Konzertsituationen nicht ideal. Unsere beiden Instrumente klingen akustisch sehr leise, weshalb eine gute Verstärkung nötig ist, wenn man draußen und für viele Leute spielen möchte. Im Aw’art haben die Techniker das doch noch gut hinbekommen, so konnte das Publikum wirklich mitgehen. Auf der Terrasse waren die Umstände noch schwieriger. Es war eine intensive Erfahrung, die ich sicher nicht missen möchte. Mit einem besseren Sound hätten wir die Straßenpassanten, -verkäufer*innen und -Kinder noch mehr in unser Universum mitreisen können, denke ich. Ich hoffe, dass wir in der Zukunft noch eine Chance kriegen. Und ich kümmere mich bis dahin um eine gute Verstärkung von meinem Instrument, so dass man es nur noch einstecken muss und gleich loslegen kann.

Bouton Kalanda: Ich würde sagen, dass Likembe-Clavicorde ein Projekt ist, das von allen Seiten geschätzt wird und von jedem Publikum, dem es begegnet, Anerkennung erhält. Die Mischung der beiden Instrumente wurde positiv aufgenommen, wir hatten ein tolles Feedback von unserem Publikum. Im Kulturzentrum Aw'art hatten wir ein sehr spezialisiertes Publikum, also hauptsächlich Künstler*innen und Kulturpublikum. Leider hatten wir dort Probleme mit der Tontechnik. Als in sich geschlossener Ort hat das Aw'art eine detaillierte Einstellung des Sounds erfordert, der Soundcheck hat deshalb auch sehr lange gedauert. Zum Glück war unser Publikum geduldig. Im Öffentlichen Raum, den Nganda Pianos, hatten wir dann ein sehr diverses Publikum. Neben dem Kulturpublikum, das regelmäßig an Musikveranstaltungen teilnimmt, hatten wir ein zufälliges Publikum, bestehend aus Passant*innen, Verkäufer*innen und Barbesucher*innen. Ich finde diesen Aspekt des Projektes sehr wichtig, da wir ein sehr breites Publikum erreichen und auch neue Fans gewinnen können.
  Lisa Schweiger und Bouton Kalanda, Kinshasa 2022 ©Festival pianos de Kinshasa

Das „Festival Pianos de Kinshasa“ beschäftigt sich ja auch mit historischen Aspekten von Tasteninstrumenten und ihren repräsentativen Rollen in der Gesellschaft. Das „klassische“ europäische Piano wird oft als elitäres Instrument verstanden. Welche Rolle spielen eure Instrumente in der Gesellschaft, und hat sich diese Rolle über die Zeit verändert?

Bouton Kalanda: In unserer Gesellschaft waren Instrumente immer Werkzeuge, die dazu dienten, Nachrichten zu übermitteln, ein Kommunikationswerkzeug... und das ist auch in der modernen Gesellschaft, also ist es geblieben oder ich würde sagen, gleichzeitig hat sich die Nutzung mit der Zeit entwickelt. Früher wurde das Likembe vor allem in einem spirituellen Sinne genutzt, um sich mit der Welt der Vorfahren zu verbinden. Im traditionellen Sinne wurde es bei Ritualen gespielt, bei Sterbefällen und als Überbringer von Nachrichten. Das Instrument hat sich mit der Zeit weit verbreitet, im Zentralafrikanischen Raum, aber auch in asiatischen Ländern. In jedem Kulturraum wurde das Likembe an die jeweiligen Gesellschaftsformen und kulturellen Praktiken angepasst, seine Form und Bedeutung hat sich dadurch auch mit der Zeit verändert. Heute wird das Likembe auch für moderne Musik eingesetzt, dafür wird auch die Tontechnik an moderne Musikstile angepasst, das Likembe wird beispielsweise oft elektronisch verstärkt. Seit etwa 10 Jahren finden wir Likembe-Spieler*innen in der kongolesischen Rumba. Das Likembe ersetzt hier die Bassgitarre.

Lisa Schweiger: Wie bereits erwähnt, ist das Clavichord eher ein Instrument für „Nerds“, historische Musik-Spezialist*innen und einsame Kammerspieler*innen, aufgrund seiner geringen Lautstärke - oder ein Cembalo für Arme, weil es aufgrund der unaufwändigeren Mechanik billiger ist. Über die Jahrhunderte hinweg war es auch häufig ein Übe-Instrument für Orgelspieler*innen, die nicht immer in der kalten Kirche sitzen wollten, oder ein Reiseinstrument zum Üben und Komponieren in der Kutsche (wie eine Anekdote über Wolfgang Amadeus Mozart erzählt).
Daran hat sich wohl über die Zeit nicht viel geändert. Auch ich habe dieses Instrument in meiner Studentenzeit als Übe-Instrument gekauft, weil man damit die Nachbarn im Studentenwohnheim nicht stört und trotzdem Nachts um 3 noch spielen kann und weil man es auf einer kleinen Sackkarre einfach im Zug mitnehmen kann (oder sogar im Flugzeug als Sondergepäck – was ich mit meinem Cembalo nie machen würde).
Umso mehr freue ich mich, wenn ich mit diesem Projekt das Instrument aus seiner Komfort-Zone holen, es in neue Kontexte bringen kann, wo es hoffentlich anderen Leuten begegnet, die ansonsten mit diesem Instrument wenig in Berührung kommen würden.
  Lisa Schweiger spielt das Clavichord, Kinshasa 2022 ©Festival pianos de Kinshasa

Könnt ihr euch vorstellen, auch in der Zukunft zusammenzuarbeiten, und wenn ja, wie stellt ihr euch die gemeinsame Arbeit vor?

Bouton Kalanda: Ich persönlich würde sehr gerne weiter mit Lisa spielen. Wir haben beide gemerkt, dass die gemeinsame Zeit sehr kurz war. Wir haben das Beste daraus gemacht, aber um wirklich die künstlerische Qualität zu erreichen, die wir von uns erwarten, bräuchten wir ca. 3 Monate gemeinsame Zeit zum Proben, Entwickeln und Experimentieren. Wir bräuchten auch bessere Arbeitsbedingungen, die nötige technische Ausrüstung... Wir müssten am gleichen Ort sein, vielleicht eine Künstlerresidenz. Vielleicht in Deutschland, da Lisa ja schon hier in Kinshasa war. Ich würde mich sehr freuen, wenn wir diese gemeinsame Arbeit fortführen könnten, und bleibe offen für die Zukunft und die Möglichkeiten, die sich bieten können...

Lisa Schweiger: Es wäre toll, wenn wir weiterhin gemeinsam spielen könnten. Es ist immer schade, wenn eine Kreation, die so toll läuft, nur ein one-shot bleibt. Wir versuchen auch schon, unser Network in Bewegung zu bringen und weitere Spiel- oder Tour-Möglichkeiten zu erschaffen – in Afrika, aber auch in Europa. Das bedeutet natürlich viel organisatorischen und finanziellen Aufwand. Der Wille ist da, heutzutage müssen aber eben auch viele pragmatische und bürokratische Hürden überwunden werden – wir leben immerhin auf zwei verschiedenen Kontinenten und müssten uns unbedingt sehen und gemeinsam Zeit verbringen, in der wir weiter spielen und üben können. Die Zukunft wird’s weisen. Ich hoffe, sie lässt sich damit nicht allzu viel Zeit.

*Mundele: Bezeichnung für weiße Menschen auf Lingala
 
Hier können sie einen Auszug aus den Aufnahmen aus Kinshasa hören:
 
 
 

 

 

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