Wie sieht die Zukunft Afrikas aus? Oulimata Gueye stellt zwei Visionen über eine neue afrikanische Zukunft vor: „Afrotopia“ des senegalesischen Wirtschaftsexperten Felwine Sarr und die „technologische Demokratie“ des Kollektivs WɔɛLab aus Togo.
Oulimata Gueye
| Foto: privat
Vom Westen aus betrachtet wirkt die Zukunft wie ein obsoletes Konzept oder gar eine besorgniserregende Vision. Vom afrikanischen Kontinent aus sieht sie ganz anders aus und ist vielmehr geprägt von der Globalisierung, dem Aufschwung der digitalen Technologien und einer Jugend, die an neue Perspektiven für sich glauben will. Während eine unternehmerische Elite dem techno-kapitalistischen neoliberalen Modell auf den Fersen ist, erheben sich Stimmen, um Zukunftsideen zu entwerfen, die von den westlichen Entwicklungsmodellen und deren deutlichen Unzulänglichkeiten unabhängig sind.
Ist die Zukunft in Europa ein obsoletes Konzept? Die wiederholten Krisen des Finanzkapitalismus, der drohende Klimawandel, dessen zerstörerische Auswirkungen auf den Planeten unaufhaltsam sein sollen, die Zunahme von Konflikten und die daraus resultierenden Massenmigrationen sowie die wachsende Schere zwischen Arm und Reich lassen das Gefühl entstehen, dass das, was „kommt“, vielleicht überhaupt nicht mehr wünschenswert ist.
(c) Philippe Rey
In den USA scheint die Zukunft ganz von den Projektionen der Herren des Silicon Valley beherrscht zu sein. Im Zuge des transhumanistischen Projekts, das in den Laboren der Singularity University (gegründet von dem Futurologen Ray Kurzweil) entwickelt wird, wollen die großen Firmen der digitalen Revolution den Fortschritt wieder ankurbeln – hauptsächlich durch Forschungen im Bereich der Neurowissenschaft, die die Menschheit verändern könnten. Während wir auf die Ankunft eines neuen Wesens warten, das aus der Vereinigung von Mensch und Maschine hervorgeht, überschwemmen die Unternehmen die Welt mit immer futuristischeren technischen Gadgets, um uns zu begeistern.
Doch beide Visionen lassen die tiefgreifenden geopolitischen Veränderungen außer Acht, die im vergangenen Jahrhundert eingeleitet wurden und den Beginn des 21. Jahrhunderts prägen. Der Auftritt neuer Akteure in der internationalen Politik und Wirtschaft hat zu Machtverschiebungen geführt und alternative Kräfte emporkommen lassen. In dieser multipolaren Welt, deren Zentrum nicht mehr der Westen ist, entstehen neue Vorstellungen, die ebenso als kollektive Spekulationsinstrumente dienen und neue Möglichkeiten aufzeigen.
Mit positiven Wachstumsraten, strategisch wichtigen Rohstoffen, zunehmender technischer Ausstattung und einer zum Großteil jungen Bevölkerung – 2050 wird es auf dem afrikanischen Kontinent 2,4 Milliarden Afrikaner geben, von denen fast die Hälfte unter 18 Jahre alt sein und von denen 60 % in Städten wohnen werden – verfügt Afrika über die erforderliche Dynamik, um der Kontinent der Zukunft zu werden. Dennoch lebt heute noch jeder zweite Afrikaner in großer Armut. Die Faktoren „größtenteils junge Bevölkerung“, „hohe Arbeitslosigkeit“, „rasante Urbanisierung“ und „aktuelle Unfähigkeit der Regierungen, die Nachfrage nach Energie zu decken“ herrschen in vielen Ländern vor und ergeben eine potenziell explosive Mischung. Die in der Elektronik extrem begehrten Erze – Kassiterit, Coltan, Wolframit und Gold, die bei der Herstellung der meisten Elektroprodukte gebraucht werden – sind vor allem Konfliktfaktoren. Und seit einigen Jahren befindet sich auf dem Kontinent eine der größten oberirdischen Müllhalden für Elektroschrott weltweit.
Felwine Sarr
| Foto: Antoine Tempé
Angesichts der drastischen Gegensätze, die das Leben auf dem Kontinent prägen, wird immer wieder gefordert, dass Afrika eine tiefgreifende kulturelle Revolution vollenden muss, wenn es für sich selbst gewinnbringende Zukunftsmodelle schaffen will. Daran knüpfen zwei bemerkenswerte Initiativen an, zum einen die des senegalesischen Wirtschaftsexperten und Schriftstellers Felwine Sarr und zum anderen die des Kollektivs WɔɛLab in Togo.
Felwine Sarrs Ansatz, den er insbesondere in seinem neusten Werk Afrotopia entwickelt, versteht sich als eine „aktive Utopie“ und könnte möglicherweise der Nährboden für eine intellektuelle und künstlerische Bewegung werden. Nach Ansicht des Wirtschaftsexperten leidet Afrika vor allem an einem Mangel „des Erfindens und Produzierens von eigenen Zukunftsmetaphern“. Damit der Kontinent „sich erfinden, sich aufstellen und sich weiterdenken“ kann, spricht sich Felwine Sarr für eine Unabhängigkeit von den Entwicklungsmodellen der westlichen Mächte aus, die Afrika ungeachtet der menschlichen, kulturellen und sozialen Kosten aufgezwungen werden. Wenn der afrikanische Kontinent sich davon befreit und sich auf seine lokalen Kulturen besinnt, wird er einheimische Modelle entwickeln können, die „bewusster und sorgsamer mit dem Gleichgewicht zwischen den verschiedenen Strukturen, dem Gemeingut und der Würde“ umgehen. Darüber hinaus wird Afrika, wenn es seine eigene Stärke findet, dazu beitragen können, „die Menschheit auf eine neue Stufe zu erheben“.
Eine weitere aktive Utopie ist das WɔɛLab, das 2012 von dem Architekten und Anthropologen Sename Koffi Agbodjinou in Lomé, Togo, gegründet wurde und sich als der erste Ort für „technologischer Demokratie“ definiert. Es ist FabLab, Hackerspace, Brutkasten und Schule zugleich und fordert das Handeln „durch die Basis und für die Basis“. Es lehnt Besitz ab und verfolgt das Ziel, die Stadtbewohner durch die Wiederaneignung regionalen Wissens, digitale Technologien, die Kultur des Teilens und kollektive Intelligenz wieder handlungsfähig zu machen. Konkret besteht sein Ansatz darin, bewährte traditionelle Methoden, zum Beispiel das System der Initiationsräume (Lernräume, in denen Jugendliche eines bestimmten Alters dabei begleitet werden, ihre Fähigkeiten zu entdecken und in Know-how umzuwandeln), in das urbane Milieu zu übertragen, um dadurch nützliche und wirtschaftlich realisierbare technologische Innovationen zu fördern. Das WɔɛLab kam kürzlich zu internationalem Ruhm, weil es den ersten 3D-Drucker entwickelt hat, der quasi ausschließlich aus recycelten Hardware-Abfällen besteht.
Diese Ansätze machen deutlich, dass man, um in Afrikas Zukunft zu blicken, eine multifokale und unabhängige Perspektive einnehmen, einheimische Kompetenzen mitdenken und Überbleibseln des Kolonialismus – die von der Globalisierung und ihrem wirtschaftlichen „Erfolgsmodell“, dem Ultraliberalismus, unterstützt werden – entgegenwirken muss.