Fragen an Dirk Sorge
„In Deutschland halten wir diese Dinge für selbstverständlich“
Gefördert vom Residenzprogramm des Goethe-Instituts China und der Kulturstiftung des Freistaates Sachsen in Kooperation mit dem Cache Space absolviert der bildende Künstler Dirk Sorge einen dreimonatigen Aufenthalt im Kunstquartier 798. Im Interview mit dem Goethe-Institut China spricht Sorge über seine Erfahrungen während des Aufenthalts, seine Beobachtungen der Stadt und ihrer Bewohner*innen und auch darüber, was er gerne von Peking in Deutschland übernimmt.
Was hat dich dazu motiviert, an einem Residenzprogramm in China teilzunehmen?
Ich interessiere mich schon länger für das Thema Regeln und für Mensch-Maschine-Interaktion. Ich habe nach einer Möglichkeit gesucht, das künstlerisch-praktisch zu erforschen und als ich von der Residenz in Peking erfahren habe, dachte ich, es könnte als Ort für die Arbeit gut passen. Weil ich 2010 schon für ein Semester in China war, hatte ich auch einen persönlichen Bezug und wollte erfahren, was sich seitdem verändert hat.
Was war dein erstaunlichstes Erlebnis in China?
Als ich mit einer Freundin durch ein Hutong in der Nähe des Lama-Tempels gelaufen bin, haben wir eine sehr alte Dame getroffen. Was sie gesagt hat, verrate ich hier nicht, aber die Begegnung war sehr schön und erstaunlich.
Welche ist deine chinesische Lieblingsspeise? Warum?
Baozi zum Frühstück. Das passt auch gut zu Espresso. Ansonsten: Nudeln in allen Variationen. Zum Beispiel Zha Jiang Mian.
Welcher Moment während deines Aufenthalts in China hat dich bei deiner Arbeit als Künstler*in / Schriftsteller*in besonders inspiriert?
Ich habe eine Ausstellung gesehen, die nicht ganz öffentlich war – quasi in einem halbprivaten Raum – und deshalb kritischer sein durfte als andere. Um die beteiligten Personen nicht zu gefährden, möchte ich nicht mehr darüber sagen. Es hat mir gezeigt, wie wertvoll Kunst- und Pressefreiheit ist. In Deutschland halten wir diese Dinge für selbstverständlich. Wir müssen aufpassen, dass wir sie nicht verlieren, wenn sich z.B. Politiker*innen oder Behörden in die Inhalte von Kulturveranstaltungen einmischen.
Welchen Ort in China würdest du deinem*r Nachfolger*in unbedingt empfehlen?
Auf jeden Fall Qingdao. Gerade aus deutscher Perspektive ist er historisch spannend und wichtig, dass es nicht vergessen wird. Die Kolonialgeschichte ist z.B. im ehemaligen deutschen Gefängnis gut dargestellt, das heute ein Museum ist. Die Zugverbindung ist schnell genug für eine Wochenendreise, aber man kann da auch gut vier Tage verbringen. Shanghai ist gerade für zeitgenössische Kunst sehr wichtig und etwas offener als Peking.
Inwieweit hat das Residenzprogramm deine Vorstellung von China verändert?
Meine Vorstellungen wurden aktualisiert und präzisiert. Ich habe erlebt, wie im Alltag Freiräume gesucht und geschaffen werden. Man sollte die Bevölkerung eines Landes nie mit der jeweiligen Regierung verwechseln. Das gilt für alle Länder.
Welche Gewohnheit oder Idee aus China würdest du gerne in Deutschland übernehmen?
Auf jeden Fall manche Aspekte der Digitalisierung. Und die Fähigkeit zu improvisieren und auch in stressigen Situationen cool zu bleiben, könnten wir in Deutschland auch gerne übernehmen. Der Respekt vor der älteren Generation ist (zumindest theoretisch) sehr wichtig und könnte in Deutschland vielleicht manche Konflikte entschärfen. Diese Gewohnheiten müssten aber angepasst werden und können nicht einfach eins-zu-eins übernommen werden.