Deutsch als Fremdsprache – Neue Chancen für die Germanistik in China
Vor dem Hintergrund des gewachsenen Stellenwertes von Deutsch als Unterrichtsfach an chinesischen Mittelschulen und des starken Anstiegs von Germanistikabteilungen an chinesischen Universitäten veranstaltete das Goethe-Institut China in Zusammenarbeit mit dem Anleitungskomitee für Germanistik des chinesischen Bildungsministeriums und dem Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) vom 20. bis 22. September 2018 an der Tongji-Universität in Shanghai die erste DaF-Konferenz in China. Ziel dieses sprach- und kulturpolitisch bedeutenden Bildungsprojekts war es, die universitäre Ausbildung von chinesischen Deutschlehrenden ins Blickfeld zu rücken und gemeinsam über die Potenziale des Faches Deutsch als Fremdsprache (DaF) an chinesischen Hochschulen nachzudenken. Zu den etwa sechzig Teilnehmenden gehörten Dekaninnen und Dekane chinesischer Germanistikabteilungen, Hochschuldozentinnen und -dozenten für Germanistik sowie deutsche Expertinnen und Experten für Deutsch als Fremdsprache.
Mangel an qualifizierten Lehrkräften versus steigende Nachfrage nach Deutsch
Veränderte Rahmenbedingen in China führen zu der Notwendigkeit, über die Ausbildung von Deutschlehrkräften neu nachzudenken. Im Frühjahr 2018 hat das chinesische Bildungsministerium nationale Bildungsstandards für das Fach Deutsch an chinesischen Mittelschulen eingeführt, wodurch die Stellung von Deutsch als Unterrichtsfach an Schulen deutlich gestärkt wird. Bildungsexpertinnen und -experten erwarten, dass der bereits vorhandene Mangel an qualifizierten Lehrkräften durch eine steigende Nachfrage nach Deutschangeboten weiter zunehmen wird. Gleichzeitig ist in den vergangenen Jahren die Zahl der germanistischen Abteilungen an chinesischen Hochschulen stark gestiegen. Aktuell bieten weit mehr als einhundert Universitäten im Land Germanistik als Studienfach an. Auch diese benötigen hervorragend ausgebildete Dozentinnen und Dozenten für die Lehre. „In der Vergangenheit hat man keinen großen Wert auf die didaktische und methodische Aus- und Fortbildung der Deutschlehrenden gelegt, doch heutzutage ist die Situation anders“, sagt Prof. Dr. Li Yuan von der Universität Zhejiang. Die neuen Anforderungen an die Ausbildung von Deutschlehrenden in China und die Sicherung des Nachwuchses an qualifizierten Lehrkräften standen im Mittelpunkt der Vorträge und Diskussionen auf der DaF-Konferenz in Shanghai. Daneben wurden die Möglichkeiten zur Etablierung des Fachgebietes Deutsch als Fremdsprache innerhalb der chinesischen Germanistik und damit verbundene Entwicklungspotenziale thematisiert.
Goethe-Institut China
Zu wenig Aus- und Fortbildung für Deutschlehrkräfte
Etwa die Hälfte der Germanistikstudierenden ist nach ihrem Abschluss als Lehrkraft tätig. Im Studium werden sie bislang jedoch kaum auf diese Tätigkeit vorbereitet. Der Schwerpunkt des vierjährigen Germanistik-Bachelors liegt auf der sprachpraktischen Ausbildung der Studierenden, die zum überwiegenden Teil ohne Deutschkenntnisse an die Universität kommen. Eine systematische pädagogische oder methodisch-didaktische Ausbildung ist nicht oder nur ansatzweise vorgesehen. An einigen wenigen Germanistikabteilungen im Land wird im Masterstudium ein Modul „Deutsch als Fremdsprache“ angeboten, in dem grundlegende pädagogische und didaktische Konzepte vermittelt werden. Zusätzlich bieten das Anleitungskomitee für Germanistik und das Goethe-Institut regelmäßig berufsbegleitende Fort- und Weiterbildungen für Lehrkräfte an. „Das kann den Bedarf natürlich nicht decken“, erklärt Prof. Dr. Zhao Jin, Dekanin der deutschen Fakultät an der Tongji-Universität. „Unsere Lehrkräfte werden bisher einfach ins kalte Wasser geworfen. Es ist notwendiger denn je, Deutsch als Fremdsprache in der Praxis umzusetzen und Deutschlehrende richtig auszubilden.“ Im Rahmen der DaF-Konferenz präsentierten das Goethe-Institut mit dem Programm Deutsch lehren lernen (DLL) und der DAAD mit Dhoch3 Instrumente zur Ausbildung von Deutschlehrenden, die sich flexibel in bestehende Studienpläne integrieren lassen und an die Bedürfnisse der Universitäten angepasst werden können.
DaF als Studien- und Forschungsschwerpunkt unumgänglich
Moderne Konzepte des Fremdsprachenlehrens und -lernens wie Handlungs- und Kompetenzorientierung, Mehrsprachigkeit und lebenslanges Lernen sind im neuen Curriculum für das Fach Deutsch an chinesischen Mittelschulen verankert. Die Universitäten müssen nun Deutschlehrkräfte ausbilden, die diese Standards später in ihrem Unterricht umsetzen können. Wie im Laufe der DaF-Konferenz deutlich wurde, gibt es in China jedoch kaum Germanistikprofessorinnen oder -professoren, die sich auf den Bereich Sprachlehr- und -lernforschung, Methodik oder Didaktik spezialisiert haben. Die Gründe hierfür sind fehlende Publikationsmöglichkeiten, kaum vorhandene finanzielle Mittel für Forschungsprojekte sowie – im Vergleich zu Disziplinen wie Literaturwissenschaft oder Linguistik – geringere Entwicklungsmöglichkeiten für junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Daneben erschweren hochschulpolitische Vorgaben die Etablierung neuer Lehr- und Forschungsgebiete. Im Gegensatz dazu ist Deutsch als Fremdsprache an den Hochschulen der deutschsprachigen Länder spätestens seit den 1980er Jahren als universitäres Fach und eigenes Forschungsgebiet fest etabliert. „Ich bin DaF-lerin, keine Germanistin!“, unterstreicht Claudia Riemer, Professorin für Deutsch als Fremdsprache und Prorektorin für Studium und Lehre an der Universität Bielefeld.
Im Verlauf der drei Konferenztage gaben vier Professorinnen und Professoren von deutschen bzw. europäischen Hochschulen in ihren Vorträgen wichtige Impulse zum Stellenwert von Deutsch als Fremdsprache in der Welt, zur Verbindung von Theorie und Praxis in DaF-Studiengängen, zur Berufsorientierung innerhalb der Germanistik und zur empirischen Fremdsprachenforschung. Neben Claudia Riemer waren Karen Schramm, Professorin für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache an der Universität Wien, Ulrich Ammon, Professor Emeritus von der Universität Duisburg-Essen, und Marianne Hepp, Professorin für Deutsche Sprache an der Universität Pisa und Präsidentin des Internationalen Deutschlehrerinnen- und Deutschlehrerverbandes (IDV), nach Shanghai angereist. Die aktuelle Situation von Deutsch als Fremdsprache in China und mögliche Perspektiven wurden durch die Beiträge von Prof Dr. Zhao Jin von der Tongji-Universität, Prof. Dr. Liu Qisheng von der Fremdsprachenuniversität Guangdong sowie Prof. Dr. Li Yuan von der Universität Zhejiang dargestellt. In drei Arbeitsgruppen analysierten die chinesischen und deutschen Expertinnen und Experten anschließend gemeinsam die Karrieremöglichkeiten für junge Hochschuldozentinnen und -dozenten, die sich durch Deutsch als Fremdsprache ergeben, Instrumente zur Ausbildung von Deutschlehrenden und curriculare Entwicklungen innerhalb der chinesischen Germanistik.
Dreissig Jahre Engagement für den Deutschunterricht in China
„Wir sind mit dem Deutschunterricht und insbesondere auch mit der Germanistik in China bereits seit dreißig Jahren sehr eng verbunden“, sagt Dr. Clemens Treter, Leiter des Goethe-Instituts China. „Gegenwärtig hat das Goethe-Institut auf der Basis von Deutsch lehren lernen bereits mit fünf chinesischen Hochschulen Kooperationen zur praxisnahen Qualifizierung zukünftiger Lehrkräfte geschlossen.“ In diesem Herbst feiert das Goethe-Institut sein dreißigjähriges Bestehen in der Volksrepublik China. „Das ist ein sehr guter Anlass, um gemeinsam mit unseren Partnern über die Perspektiven und Chancen von Deutsch als Fremdsprache in der chinesischen Germanistik nachzudenken“, meint Clemens Treter. Anlässlich dieses Jubiläums stellt das Goethe-Institut China dreißig Fragen, die sich mit aktuellen und zukünftigen menschlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen beschäftigen. Die Antworten dazu sucht das Goethe-Institut gemeinsam mit seinen Partnern und dem teilnehmenden Publikum in dreißig Veranstaltungen zwischen September und November 2018. Antworten auf eine der dreißig Fragen finden Sie im folgenden Video.