Neues Schreiben
Der Tod des Kommas
SMS, Chats, Posts – eine neue Art des Schreibens etabliert sich in unserem Alltag. Rechtschreibung und Satzzeichen spielen dabei eine immer geringere Rolle. Das ist nicht unproblematisch, findet der Schreibtrainer und Publizist Markus Reiter.
Herr Reiter, was denken Sie, wenn Sie als Sprachtrainer und ehemaliger Zeitungsredakteur Kurznachrichten oder Chat-Korrespondenzen lesen?
Ich verstehe das als eine Insider-Sprache, als eine Art schriftlichen Soziolekt. Wenn ich zum Beispiel sehe, was 14-Jährige bei WhatsApp eintippen, dann muss ich bei vielen Abkürzungen schon selber nachschauen, was das bedeutet.
Finden Sie das bedenklich?
Nein, grundsätzlich nicht. Jugendliche haben immer versucht, sich über eine eigene Art des Sprechens von der Erwachsenenwelt abzugrenzen. Sprache dient nicht nur der Kommunikation, sondern immer auch der Abgrenzung. Sorgen macht mir ein anderer Aspekt moderner Schriftlichkeit.
Mir fällt auf, dass viele Autoren – also nicht nur Jugendliche in Chats, sondern auch professionelle Schreiber – eine zunehmend laxe Haltung ihren Texten gegenüber entwickeln. Es scheint fast so, als hätte eine bestimmte Art des Schreibens, die beim Verfassen von Kurznachrichten üblich ist, Einzug in längere Texte gehalten. Sie sehen das beispielsweise am Verschwinden des Kommas.
Was ist daran so problematisch?
Wenn das Komma in WhatsApp-Nachrichten verschwindet, ist das keine große Katastrophe. Zum Problem wird es in längeren Texten, die den Anspruch haben, dem Leser komplexere Gedanken nahezubringen – also nicht nur, was man gerade zu Mittag gegessen hat. Satzzeichen wurden aus einem guten Grund erfunden: um Sätze in Sinnabschnitte zu gliedern und somit die Lesbarkeit von Texten zu erleichtern.
Comeback der Oralität?
Seit wann setzen wir eigentlich Punkte und Kommata?
Noch im frühen Mittelalter verzichtete man ganz auf Satzzeichen. Man gab sich noch nicht einmal Mühe, einzelne Worte durch Leerzeichen voneinander zu trennen. Im Laufe des 12. Jahrhunderts begannen schreibende Mönche, ihre Texte immer mehr in grammatische Einheiten wie Sätze und Nebensätze zu gliedern. Sie merkten, dass es Menschen viel leichter fällt, auf diese Weise zu lesen.
Dass das so ist, hat damit zu tun, wie unser Gehirn Texte verarbeitet. Aus der Forschung wissen wir, dass für die geläufigen Begriffe Wortbilder abgespeichert sind, die wir mit dem vergleichen, was wir lesen. Wenn die Wortbilder gut übereinstimmen, dann können wir das schnell erfassen, wenn nicht, haben wir große Schwierigkeiten.
Könnte man also sagen, wir erleben eine Art Rückschritt hin zu einer textlichen Oralität, die wir aus guten Gründen schon lange hinter uns gelassen haben?
Hier muss man differenzieren. An sich ist die Annäherung der Schrift an die gesprochene Sprache durchaus eine positive Entwicklung. In der Regel werden Texte verständlicher, wenn wir versuchen, sie so zu schreiben, wie wir sprechen. Es gibt im angelsächsischen Raum eine wunderbare Tradition, wissenschaftliche Texte mit narrativen Elementen anzureichern. Doch das ist eine hohe Kunst und setzt eine harte Arbeit am Text voraus.
Die andere Art von schriftlicher Oralität ist allerdings dadurch geprägt, sich zu wenig Mühe beim Schreiben zu geben. Wer denkt, er könnte einen Text für ein breiteres Publikum grundsätzlich genauso herunterschreiben wie einen zwischendurch geposteten Facebook-Eintrag für seine Freunde, der hat nicht verstanden, wie viel Mühe und Last er seinen Lesern damit aufbürdet.
Im Grunde wäre es doch ideal, wenn man beides beherrschen würde: den Code der Peergroup und die Standards einer möglichst verständlichen Sprache.
Leider erlebe ich in meinen Seminaren immer wieder, dass ein Umschalten vom einen zum anderen Sprachcode für viele äußerst schwierig ist. Wenn Sie Marketing- und IT-Experten bitten, ihren Sprachcode für Nicht-Insider verständlich zu machen, können viele das gar nicht. Oft fällt erst dann auf, wie stark diese Art zu sprechen davon geprägt ist, Unpräzises durch Imposantes zu überdecken. Das ist übrigens auch ein Problem für die betriebsinterne Kommunikation.
Oft höre ich: Mein Chef schickt mir ständig unverständliche Mails und wir versuchen dann herauszufinden, was er uns eigentlich mitteilen wollte. Das ist nicht nur respektlos gegenüber den Mitarbeitern, sondern kostet Arbeitszeit.
Schrift als Eliteprojekt
Wie wird sich Ihrer Meinung nach die Art, wie wir schreiben, entwickeln?
Das ist schwer zu sagen, da Sprache einer hohen Dynamik unterliegt. Eventuell entwickelt sich Schriftlichkeit wieder zu einem Eliteprojekt. Das war sie einmal und es ist meines Erachtens nicht ausgeschlossen, dass Geschriebenes erneut zur Experten-Domäne wird. Viele Menschen werden dann weniger lesen und mehr hören und Videos ansehen. Man muss schon heute viel weniger Schreib- und Lesekompetenz besitzen als früher.
Aber wird nicht immer darauf hingewiesen, dass gerade die jüngere Generation mehr schreibt denn je?
Das stimmt zwar. Aber die spannende Frage ist, wie sich Formate weiterentwickeln werden, in denen man nicht mehr über Texte kommuniziert. Nehmen Sie Vine, einen Dienst zum Versenden ultrakurzer Videos. Oder die App Snapchat, die im Wesentlichen über das Verschicken von Fotos funktioniert. Oder die Audio-Steuerung von Geräten. Vielleicht werden wir einen zunehmend oralen Sprachgebrauch erleben, der, wenn er niedergeschrieben wird, sich als eine Art schriftlicher Oralität zeigt.