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Aus Arbeit und Leben
Erich Kastner und die Frauen

Zeichnungen von Erich Ohser für Kästners Gedichtbände Ein Mann gibt Auskunft und Herz auf Taille.
Zeichnungen von Erich Ohser für Kästners Gedichtbände Ein Mann gibt Auskunft und Herz auf Taille. | © Erich Ohser / gemeinfrei

Berühmte Schriftsteller und Frauen: Das ist immer ein großes Thema. Bei Erich Kästner war das doppelt der Fall. Ein Artikel über die Typologie der Frauen in Kästners Werk - und Leben.

Von Dr. Jürgen Eder

Ein heutiger Leser/eine heutige Leserin, sensibilisiert in Sachen Frauen- und Männerbildern, wird bei Kästner einiges finden, was unzeitgemäß scheint. Allerdings wäre es zu einfach, ihn als „Macho“ abzutun, der Frauen nur als Mittel zur Steigerung seines maskulinen Egos gebraucht hätte.

Erstens sollte man das ceterum censeo jeder Interpretation von Literatur beachten: aus der jeweiligen Zeit heraus zu verstehen versuchen. Zweitens handelt es sich bei Kästners Frauen-Figuren, im „echten Leben“ wie in seiner Dichtung durchaus nicht exklusiv um einen „männlichen Blick“. Im Gegenteil: Kästner zeichnet ein Panorama von Weiblichkeits-Formen einer Epoche, die für die Frau neue Möglichkeiten eröffnete. Kästner hat versucht, zumindest literarisch, sich gelegentlich sogar in die Frau hineinzuversetzen, aus ihrer Sicht zu urteilen, auch zu verurteilen. Er hielt den Mann weiß Gott nicht für die „Krone der Schöpfung“, wer seine Texte liest kann das nicht übersehen.

Der folgende Beitrag bietet keine Auflistung der „Verschiedenen“ in Kästners Leben, all der Ilses, Margots, Helgas, Barbaras, Friedhildes oder Luiselottes – wozu einem nur das Schiller-Zitat: „Wer zählt die Völker, nennt die Namen“ einfällt. Stattdessen wird versucht, eine Art Typologie des Weiblichen im Werk Kästners zu finden, die in Korrespondenz zwischen Biografie und Text entstanden ist. Dies wird fast ausschließlich anhand der Gedichte geschehen. Vollständigkeit ist unmöglich, aber folgende „Figurationen“ sind ins Auge gefasst: die Mutter, die Angestellte, die Frau aus der Unterschicht sowie die Damen der „Halbwelt“. Schließlich auch das Phänomen des Perspektivenwechsels, in dem Kästner Frauen „selbst“ reden lässt.

Die Mutter

Frage: War Kästner ein typisches Mutter-Söhnchen? Antwort: jedenfalls hatte Ida Kästner etwas von einer Über-Mutter, und es ist deutlich, dass sie nicht nur sein Verhältnis zum Vater bestimmte, sondern auch seine Beziehungen zu Frauen. Kästner legt zwar nicht über jede Affäre Rechenschaft ab – doch ist es mehr als Tändelei oder rein sexuelle Beziehung, dann wird die Mutter ins Bild gesetzt. Das dokumentiert der intensive, lebenslange Briefwechsel, herausgegeben unter dem Titel Mein liebes, gutes Muttchen, Du!

Wenig überraschend also, dass die Mutter, beinahe archetypisch, sich in zahlreichen Gedichten wiederfindet. Frau Großhennig schreibt an ihren Sohn, ist ein versifizierter Brief, in dem die Mutter alles wissen will, was der Sohn so treibt und erlebt: „Schreib mir nur alles und sieh Dich recht vor mit den / Mädelsgeschichten“. Auch Junggesellen auf Reisen ist ganz und gar autobiographisch – Kästner verreiste mit seiner Mutter, sie teilten sich im Hotel ein Zimmer. „Ich bin mit meiner Mutter auf der Reise. (…). Jetzt schläft man, wie dereinst, im selben Zimmer“. Psychologen mögen von einer ödipalen Konstellation sprechen - offensichtlich ist jedenfalls, dass diese Bindung eine Grundstruktur in Kästners Leben ausmacht.

Solche „Mutter“-Gedichte finden wir auch noch in den späteren Gedicht-Sammlungen, z.B. in Ein Mann gibt Auskunft, wo es ansonsten eher in Richtung politischer Zeitkritik geht. Stiller Besuch imaginiert die Mutter in Dresden, die ihm schreibt:

„Ernsthaft rückte sie an ihrer Brille
Und die Feder kratzte in der Stille.
Und er dachte: Gott, hab ich sie lieb!“

Das Gedicht Die Heimkehr des verlorenen Sohnes aus der Sammlung Gesang zwischen den Stühlen (1932) beklagt, was für Kästner dann in der Zeit des Nationalsozialismus und später auch der kommunistischen DDR immer schwieriger wurde: Besuche bei der Mutter.

„Er kaufte Blumen und fuhr nach Haus
Und sagte versteckt hinterm Blumenstrauß:
„Ich wollte dich überraschen.““

Kästners Beziehung zu Frauen, auch seine Urteile über Frauen, die gelegentlich ganz schön „kleinbürgerlich“ ausfallen, sind bewusst und unbewusst von jener „Matriarchin“ beeinflusst.

Die Angestellten / Elfriede Mechnig

Neben der Mutter gab es eigentlich nur noch eine Frau, die Kästner fast sein ganzes Leben lang begleitete: seine Sekretärin Elfriede Mechnig, die in seinen Briefen als „& Co“ firmierte, oder im Kleinen Grenzverkehr als „Kleine Tante“. Auch hier gab es eine Fixierung, allerdings einseitig: Mechnig war ihr „Chef“ der einzige Mann von Bedeutung in ihrem Leben, sie blieb unverheiratet. Kästner sah wohl nie mehr als eine – freilich nahezu perfekte – Partnerin einer Zweckgemeinschaft, die im gelegentlichen Chaos seines Lebens wie Werkes die Übersicht behielt. Insofern zählt sie beinahe auf die Seite des „Mütterlichen“, ohne je deren Autorität zu erlangen.

Elfriede Mechnig entspricht in vielem dem, was dem Berufsbild der „Angestellten“ entsprach, oft in Gestalt der Sekretärin – einer sozialen Gruppe, die sich in der Weimarer Republik ständig erweiterte. Auch diesen Typus finden wir in Kästners Gedichten. Er kennt die kleinen und großen Sehnsüchte dieser Frauen, geweckt in Medien, nicht zuletzt im Kino. Solche Träume scheitern nicht selten, wie das in Vicky Baums Menschen im Hotel zu sehen ist. Sollten bei Elfriede Mechnig solche Fantasien in Hinsicht auf den „Chef“ existiert haben – so hat er nichts davon wissen wollen.

Kästner, dem Walter Benjamin ja den Vorwurf eines „Linken Melancholikers“ machte, hatte durchaus ein Auge für das prekäre Dasein dieser Frauen, sehr deutlich kommt das zum Ausdruck im Gedicht Chor der Fräuleins:

„Wir hämmern auf die Schreibmaschinen.
Das ist genau, als spielten wir Klavier.
Wer Geld besitzt, braucht keines zu verdienen.
Wir haben keins. Drum hämmern wir.“

Der Realismus dieses Typus „Neue Frau“, die es speziell in Berlin gab, wird in folgender Strophe deutlich:

„Wir winden keine Jungfernkränze mehr.
Wir überwanden sie mit viel Vergnügen.
Zwar gibt es Herrn, die stört das sehr.
Die müssen wir belügen.“

Kästner zeigt aber auch Frauen-Schicksale „unterhalb“ dieses Angestellten-Milieus und machte sie zu Figuren seiner Gedichte: Dienstmädchen, Haushaltshilfen, Zugeherinnen. In Epistel eines Dienstmädchens namens Bertha, in Gestalt eines ungeschickten, mit zahlreichen grammatischen und rechtschriftlichen Fehlern versehenen Briefes spricht der Autor etwas von oben herab vom Glück auch solch „kleiner Leute“. Authentischer klingt das in Mädchens Klage, spricht vom Alltag einer Vierzehnjährigen aus dem „Hinterhaus. Im vierten Stock.“

Sexualität in Gestalt von Prostitution erscheint als fast einzige Möglichkeit aus solch düsterer Welt zu entkommen:

„Wir haben bloß ein Zimmer, wo wir schlafen,
und trotzdem einen fest möblierten Herrn.
Der ähnelt sonntags einem schönen Grafen.
Und gibt mir Geld. Da tut man manches gern“.

Selbst in der Familie und in der Schule, im Tagtraum über den Lehrer, ist der Verkauf, das Angebot des eigenen Körpers der einzig vorstellbare Horizont, um vielleicht doch in eine bessere Welt zu entfliehen.

Halbwelt-Damen

Diesen Traum vom Glück, wie fragwürdig auch immer der Preis dafür war – ihn träumten, ihm folgten viele junge Frauen aus diesem Milieu, und Babylon Berlin, die Glitzer- und Halbwelt der Roaring Twenties lebte in und von diesen Mädchen und Frauen. Eine Welt aus Sex, Drogen, Charleston, mit Ikonen wie Anita Berber, den Tiller-Girls oder Josephine Baker aus den USA. Kästner kannte diese Welt, wo zwischen Kunst und Kommerz immer auch ein Stück Kriminalität dabei war.

In seinem Roman Fabian, dessen ursprünglicher Titel ja Der Gang vor die Hunde sein sollte, führt er den Leser in diese Welt. Kästner, der in der Welt der Cabarets, Revuen, Theater gewissermaßen zuhause war, bewegte sich darin wie ein Fisch im Wasser. Sein Verhältnis dazu war durchaus ambivalent: einerseits lebte er darin, lebte auch davon, nicht gerade moralinsauer – andererseits bewahrte er sich einen kritischen Blick auf diese Verhältnisse, die bis zur Einfühlung in die Opfer dieser Schein-Welt reichten. Seine Gedichtsammlungen sind voll mit solchen „Sittenbildern“ aus dem Berlin der Zwanziger Jahre. Faszination und Ekel, Mitmachen und Außenstehen wechseln sich ab.

Ansprache einer Bardame offenbart im inneren Monolog eine Frau, die durch diese Welt schon abgebrüht und illusionslos geworden ist. Für Männer hat sie nicht mehr als Verachtung übrig:

„Wenn ich euch sehe, krieg ich den Wunsch,
euch mit dem Rücken ins Gesicht zu springen!“

Aber die fatale Wahrheit ist: es gibt keinen Ausweg mehr: „Ihr ekelt mich! Wer geht mit mir nach Haus?“ Im Gedicht Ballgeflüster macht Kästner anschaulich, dass Feier-Welt und Prostitution fast nahtlos ineinander übergehen:

„Morgen um Fünf hätt ich Zeit.
Da dürfen Sie mir was tun.
Mein Bett ist doppelt breit.
Um Sechs kommt Mister White“.

Diese schonungslosen, nichts beschönigenden Bilder haben Kästner auch immer wieder Zensur-Versuche eingebracht. Auch die „nackten Tatsachen“ von Gedichten wie Chor der Girls, Ankündigung einer Chansonette oder Eine Animierdame stößt Bescheid aus Gesang zwischen den Stühlen  trug zum Ruf des „Pornographen“ Kästner bei. Dort finden wir die Zeilen:

„Ich sitze nachts auf hohen Hockern,
berufen, Herrn im Silberhaar
moralisch etwas aufzulockern.
Ich bin der Knotenpunkt der Bar.“

Diese Gedichte, veröffentlicht im Jahr 1932, auf dem Höhepunkt einer wirtschaftlichen und sozialen Krise, die ein Jahr später Hitler an die Macht bringen wird – ist das nun Realismus oder Frivolität? Sind diese Frauen-Schicksale für Kästner Studien-Objekte oder gibt es so etwas wie einfühlende Empathie? Eine Antwort ist nicht ohne weiteres zu geben.  

Perspektivenwechsel

Kästner lässt Frauen-Figuren in den Gedichten immer wieder im inneren Monolog reden – er versucht den Perspektivenwechsel, indem er sich als Mann in die Frauen hineinzuversetzen versucht. Das gilt für Frauen aller Art – und es sind oft solche, mit denen er kürzere oder längere Beziehungen unterhielt. Insofern sind diese Gedichte ein Stück weit Selbstkritik.

Der Scheidebrief schildert eine Art Ur-Szene dieser Frauen: das vergebliche Warten auf den Mann, der nicht mehr kommt, sich nicht meldet:

„Zwei Stunden sitz ich nun im Caffee Bauer.
Wenn Du nicht willst, dann sag es ins Gesicht.“ Und weiter: „Du bist der erste nicht, der so verschwindet.“ Aber – „sachlich“ geworden durch Wiederholung, sagt sie auch: „Du glaubst doch nicht, daß sich kein andrer findet?“

Das Gedicht Gebet der Jungfrau setzt in seiner ersten Strophe den gleichen Ton – wir wissen, dass es nicht wenigen Frauen aus Kästners „Harem“ (Hanuschek) so erging:

„Ich könnte gleich das Telefon ermorden!
Nun hat er, sagt er, wieder keine Zeit.
Ein ganzer Mensch bin ich nur noch zu zweit.
Ach, eine Hälfte ist aus mir geworden.“

Und:

„Ich hab ihn lieb und will, daß es so bleibe.
Es bleibt nicht so, und nächstens ist es aus.
Dann weine ich. Und geh nicht aus dem Haus, 
und nehme acht Pfund ab. Das ist die Liebe.“

Das vermutlich bekannteste Gedicht von Erich Kästner, Sachliche Romanze, nimmt den Mann „mit ins Bild“ –man weiß, dass es der Abgesang auf die Beziehung zu Ilse Julius war. Hier für einmal war Kästner der Verlassene, und bei aller Sachlichkeit des Gedichts wird die Trauer, das Un-Verständnis über diesen Verlust deutlich:

Als sie einander acht Jahre kannten
(…) kam ihre Liebe plötzlich abhanden.
Wie andern Leuten ein Stock oder Hut.“
„Sie saßen allein, und sie sprachen kein Wort
und konnten es einfach nicht fassen.“

Kästners Beziehungen zum „schönen Geschlecht“ haben sich bis zuletzt kompliziert gestaltet. Die Frage ist erlaubt, ob dieser Mann zu wirklicher Liebe, außer bei seiner Mutter, überhaupt in der Lage war. Vielleicht trifft es ein Zitat Conrad Ferdinand Meyers ganz gut: „Ich bin kein ausgeklügelt Buch, ich bin ein Mensch mit seinem Widerspruch“. Kästners Frauen-Bild, in der Dichtung wie im Leben, war genau das: widersprüchlich.

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