Journalismus statt Urlaub
In der journalistischen Sommerschule geht es nicht nur ums Lernen und den Journalismus
Ende August, das sind für die einen die letzten freien Tage bevor die Schule wieder ruft, für andere signalisiert diese Zeit schon das unvermeidliche Nahen der nasskalten Jahreszeit. Ich reise dann schon seit zwei Jahren nach Havlíčkův Brod, wo zu dieser Zeit immer die journalistische Sommerschule stattfindet. Anstatt in einen spätsommerlichen Urlaub zu fahren, verbringe ich eine Woche in der Gesellschaft von Leuten, die so sind wie ich.
Als ich zum ersten Mal zur Sommerschule aufbrach hatte ich widersprüchliche Gefühle. Ich wollte das Altbekannte hinter mir lassen, hatte aber keine Lust auf ein fremdes Umfeld. Ich wollte neue Leute kennenlernen, aber das Unbekannte machte mir Angst. Kurz gesagt: Ich wollte und wollte auch wieder nicht. Nach all den wunderbaren Erfahrungen, den neuen Freunden und dem vollen Programm war mir aber klar: Im nächsten Jahr bin ich auf jeden Fall wieder dabei.
Und so machte ich mich dieses Jahr zum zweiten Mal auf zur journalistischen Sommerschule. Dieses Mal ganz ohne Angst oder Bedenken. Stattdessen war da Vorfreude, alte Bekannte zu sehen und wieder an die Grenzen meiner Kräfte zu stoßen (im positiven Sinne). Einige Gesichter kannte ich, andere sah ich zum ersten Mal. Diese altneue Mischung von jungen Hüpfern und alten Hasen war für mich die Garantie für eine weitere fantastische Woche.
Erste Medienerfahrungen
Die journalistische Karl-Havlíček-Borovský-Sommerschule ist ein einwöchiges Camp für alle, die sich für Medien, Zeitgeschehen, Politik, Geschichte und andere tolle Sachen interessieren. Hier treffen nicht nur Tschechen aufeinander, sondern auch Leute aus umliegenden Staaten wie der Slowakei, Polen, Österreich oder sogar aus der Ukraine. Jeder Teilnehmer arbeitet in einer von fünf Gruppen eine Woche lang an Fernsehreportagen, Radiobeiträgen, Online-Kurzportraits, Reporter-Auftritten oder an einer Reklame.
Dieses Jahr habe ich mich für die Gruppe PR und Marketing entschieden und es keine Sekunde bereut. Wir hatten nicht nur hervorragende Mentorinnen, sondern auch ein interessantes Programm. Die ersten beiden Tage erwartete uns eine theoretische und praktische Vorbereitung im Schreiben von Pressemitteilungen, der Arbeit mit dem Mikrofon, Marketing, der Entwicklung von Reklame und so weiter. Dazu gehörten auch Zungenbrecher, die jeder professionelle Sprecher beherrschen muss – bei mir dauert das noch eine Weile bis ich einer bin.
Der interessanteste Teil war aber auf jeden Fall der praktische. Wie jedes Jahr hatten wir in der Gruppe PR und Marketing die Aufgabe, eine kurze Reklame zu drehen. Das Thema lautete diesmal: Wohltätige Organisation. Dazu hatten wir viel zu sagen, aber wo anfangen? Da hieß es in unserer sechsköpfigen Gruppe Brainstorming, gegenseitige (konstruktive) Kritik und kreatives Schaffen. Jeder fand eine Rolle, die am besten zu ihm passte. Einer war Drehbuchschreiber, einer Regisseur, ein anderer Fotograf, auch ein paar reizende Schauspielerinnen fehlten nicht. Wir gaben uns gegenseitig Ratschläge und halfen uns, damit unser gemeinsames Werk so gut wie möglich würde. Wir hatten auch viel Spaß, zum Beispiel als wir durch den Park dort liefen und die ahnungslosen Passanten verständnislos die Köpfe darüber schüttelten, „was die Jugend sich da wieder ausgedacht hat“.
Die Teamarbeit hat uns auch bei der Entwicklung einer öffentlichen Umfrage begleitet. Zuerst liefen wir durch die Straßen und versuchten ein paar Leute zu finden, die unserer Zielgruppe entsprachen. Dann folgte die „kreative“ oder auch mühsame Aufgabe, alle Daten zusammenzutragen. Aus diesem unvorstellbaren Chaos von Zahlen, Antworten, statistischen Angaben und unlesbaren Buchstaben (mein Fehler) sollten wir eine Präsentation erstellen. Diese sollte für die anderen Teilnehmer der Sommerschule verständlich und interessant sein. Ich muss zugeben, dass das keine leichte Aufgabe war. Wir haben uns aber wacker geschlagen und waren am Ende mit dem Ergebnis zufrieden.
Um auch alleine etwas zu bewältigen, sollten wir politische Werbeplakate für die anstehenden Kommunalwahlen gestalten. Das hatte nur einen Haken. Die Parteien suchten wir uns nicht selbst aus, sie wurden verlost. Einige verdrehten bei der KDU-ČSL (Christdemokraten) die Augen, andere (wie ich) begegneten der Hnutí Ostravak (Bewegung der Bewohner von Ostrava) mit Argwohn und wieder andere klagten über die KSČM (Kommunistische Partei). Ein Teil der Erstellung der Plakate war auch ihre Präsentation, bei der wir viel Spaß hatten. Die größte Show veranstaltete die „Kommunistin“ Nina. Nachdem sie allen versichert hatte, das sie für diese Partei keinerlei Sympathie hege und alles nur Teil der gestellten Aufgabe sei, schloss sie ihre flammende Rede mit den Worten: „Wer nicht arbeitet, soll nicht essen!“
Es ist der Mühe wert
Die Arbeit war anstrengend, sowohl zeitlich, als auch physisch und psychisch. Ständig liefen wir in der Stadt herum. Die ablehnenden Blicke der Einheimischen, wenn man sich ihnen mit einem Mikrofon nähert, oder – Gott bewahre! – mit einer Kamera, gehören zum weniger angenehmen Teil. Die Aufarbeitung des Materials wie zum Beispiel das Niederschreiben der stundenlangen Interviews, das Schneiden der unerschöpflichen Menge von Ton- und Bildaufnahmen oder die grafische Aufbereitung der Umfragen erfordert ebenfalls starke Nerven. Die Lektoren wiederum versuchen, innerhalb einer vergleichsweisen kurzen Zeit das Beste aus Euch herauszuholen. Ihre Kritik kann aber manchmal auch einen wunden Punkt treffen. Was ist an der Sommerschule also so toll?
Arbeit, Plackerei, Kritik und wieder Plackerei. Wer aber all diese Mühen auf sich nimmt und am Ende der Woche die ersten Früchte seines Schaffens sieht – ein gedruckter Zeitungsartikel oder einer in digitaler Form, eine komplette Reportage oder ein kompliziertes Schaubild, das nur ihr versteht, – das ist der wahre metaphysische Orgasmus. Und dafür lohnt sich die Arbeit allemal.
Alle Ergebnisse der Gruppe Web und Print, die den geforderten Standard erfüllten, wurden ständig auf dem lokalen Nachrichtenportal vysocinanews.cz oder in der Tageszeitung Deník Havlíčkův Brod veröffentlicht. Bis auf ein paar Ausnahmen veröffentlichen die Gruppen Radio und Fernsehen ihre Produktionen nicht. Diese sind aber auf der Webseite der journalistischen Sommerschule zu sehen, genau wie die der Gruppe PR und Marketing.
Während einer Woche hatte ich die Möglichkeit, sowohl im Team als auch alleine zu arbeiten. Ich konnte die Arbeit mit der Technik und mit Menschen ausprobieren. Ich habe interessante Vorträge über die Medienarbeit von der „anderen Seite“ gehört. Ich fand meine Ansicht bestätigt, dass nichts nur schwarz oder weiß ist. Es ist sehr einfach, aber dumm, die Herangehensweise oder Fehler von anderen zu verurteilen. Das gilt besonders für die PR-Leute. Es sind nämlich Menschen wie du und ich.
Kulturschock
Wie ich schon vorher erwähnt habe, ist die journalistische Sommerschule als internationales Camp für junge Leute konzipiert. Dieses Jahr kamen nicht nur journalistisch Interessierte aus der Tschechischen Republik zusammen, sondern auch aus Polen und der Ukraine. Die meisten der ausländischen Teilnehmer waren schon einmal mit der tschechischen Sprache in Berührung gekommen, zum Beispiel in der Schule oder durch Familie und Freunde. Die Mädchen aus Polen genossen den Kontakt mit dem Tschechischen im wahrsten Sinne des Wortes, und plapperten über alles Mögliche und Unmögliche. Man muss noch hinzufügen, dass ihr Tschechisch fast perfekt war!
Die Mädchen aus der Ukraine hatten dieses Jahr jedoch mit der Sprachbarriere zu kämpfen. Ihre Kenntnisse des Tschechischen gingen eher gegen Null, und ihre Englischgrundkenntnisse reichten für eine ernsthafte Kommunikation nicht aus. Das erschwerte die Arbeit im Team und die Integration unserer Kolleginnen in die Gruppe ein wenig. Auch wenn wir und die Lektoren ihnen so viel wie möglich vermittelten, wurde während der gemeinsamen Arbeit und in den Vorträgen einzig und allein Tschechisch gesprochen. Ich fand es etwas schade, dass wir sie wegen dieser Sprachbarriere nicht besser kennenlernen und mit ihnen nicht über die aktuellen Probleme in der Ukraine sprechen konnten. Der kulturelle Austausch wäre für beide Seiten eine Bereicherung gewesen.
Szczygieł, Durnová, Matyášová
Während der Woche in Havlíčkův Brod ging es aber nicht nur ums Arbeiten. Es war auch eine Gelegenheit, die eigenen Ansichten zu überprüfen und zu neuen zu gelangen, interessante Menschen oder sogar berühmte Gesichter zu treffen. Wo sonst hätte ich die Möglichkeit gehabt, den Autor von Gottland Mariusz Szczygieł kennenzulernen. Der Schriftsteller selbst sagte, er habe seinen ersten veröffentlichten Artikel als metaphysischen Orgasmus erlebt. Wo sonst könnte mir ein Nachrichtenredakteur des Tschechischen Fernsehens aus eigener Erfahrung von den Anfängen der Unruhen auf dem Maidan-Platz in der Ukraine erzählen? Wo sonst hätte ich mit diesen und vielen anderen Leuten sprechen, diskutieren oder sogar Interviews führen können?
Der interessanteste Gast war für mich der polnische Schriftsteller und Publizist Mariusz Szczygieł. Er spricht fast fehlerfrei und souverän Tschechisch, was ich bei Ausländern sehr bewundere. Seine Ansichten, sein ganz eigenes Auftreten und der Zauber seiner Persönlichkeit, der ihn beständig umgab, begeisterten mich. Es war inspirierend, die Meinung über die Tschechische Republik von einem Polen zu erfahren, der behauptet, er sei eigentlich ein „heimlicher Tscheche“. Der Vergleich der polnischen und tschechischen Kultur und Mentalität ist meiner Meinung nach sehr bereichernd. Deshalb empfehle ich jedem die Lektüre seines neuen Buches 20 let nového Polska (20 Jahre neues Polen).
Ein weiterer lohnenswerter Vortrag wurde von der Politologin Anna Durnová gehalten, die an der Universität Wien arbeitet. Wieder ging es um kulturelle und soziale Vergleiche, diesmal jedoch zwischen Tschechien und Österreich. Dieses Thema ist mir zum einen persönlich sehr wichtig, da Österreich bald meine neue Heimat wird, zum anderen, weil das tschechische Volk immer noch hartnäckig an seinen Vorurteilen festhält. Weder die Medien, noch die Touristen oder die Möchtegern-Kenner der österreichischen Kultur schauen unter die Oberfläche. Sie suchen nicht die Ursachen und Gründe dafür, wie Österreicher mit Tschechen umgehen. Anna Durnová konnte mir diese Einsicht vermitteln, die mir sonst oft selbst bei intelligenten und vernünftigen Menschen fehlt. Dafür kann ich mich nur bedanken.
Der letzte meiner Top-3-Vorträge in diesem Jahr war das Treffen mit der Journalistin Judita Matyášová. Auf den ersten Blick eine sympathische und fröhliche Dame, die sich nicht sehr von mir oder irgendjemandem anderen unterscheidet. Solange, bis sie damit beginnt, von ihrer Arbeit während der letzten drei Jahre zu erzählen. In diesem Zeitraum suchte sie nämlich Menschen auf, die als Kinder während des Zweiten Weltkrieges nach Dänemark geschickt wurden, um sie vor dem Konzentrationslagern zu bewahren – im Unterschied zu ihren Familien und Freunden. In diesen anderthalb Stunden konnte Judita Matyášová bei Weitem nicht alles berichten, was sie erlebt hatte, mit welchen Leuten sie während ihrer Suche zusammengetroffen war, welche Geschichten sie gehört hatte. Dennoch gehört sie zu den Menschen, die mich bisher am meisten inspiriert haben.
Der wahre Wert der Sommerschule
Das Besondere an der journalistischen Sommerschule ist das Zusammentreffen mit Leuten, die genauso verrückt nach Journalismus sind wie man selbst. Die Möglichkeit, sich als Redakteurs oder Werbefachmanns auszuprobieren ist unbezahlbar. Der tägliche Kontakt mit Gleichaltrigen, die dasselbe Ziel im Leben haben, aber ist der größte Gewinn, den die Sommerschule bringt. Hier kann man junge Leute treffen, die gerade vor der Entscheidung stehen, wie es nach der Mittelschule weitergehen soll. Es gibt dort aber auch Ältere, die bereits Journalismus studieren.
Nur hier und jetzt kann man sich mit den Bedenken, Ängsten, Träumen und Vorstellungen von der Zukunft auseinandersetzen. Nur hier werden die Anderen zuhören. Und vielleicht bekommt man genau hier die Antwort auf die Frage: Wie geht es weiter? Vielleicht erfahrt ihr etwas Neues über euch selbst, vielleicht zeigt ihr einem Anderem den richtigen Weg, vielleicht helft ihr jemandem, die Sprachbarriere zu überwinden. Nach einem anstrengenden Tag gibt es nämlich nichts Besseres, also gemeinsam in die nächste Kneipe zu ziehen und über Gott und die Welt zu diskutieren.
Übersetzung: Hanna Sedláček