Containerkultur
In der angehenden Kulturhauptstadt Plzeň stimmt man sich auf 2015 ein
Was hat ein Baucontainer mit Kultur zu tun? Auf den ersten Blick wahrscheinlich wenig. Und dennoch: Die landesübergreifende, kulturelle Veranstaltung „Kontejnery k světu“ (auf Deutsch etwa: „Container in die Welt“) ist zumindest in Plzeň ein voller Erfolg. Der Veranstalter, die Bürgervereinigung „k světu“ („in die Welt“) setzt auf den Überraschungseffekt und versucht aus dem Konventionellen, etwas völlig Unkonventionelles zu machen. Bücher auf der Baustelle? Israelischer Tanz im Container? Man könnte meinen, dass in der westböhmischen Kreishauptstadt vom 10. Mai bis zum 8. Juni so ziemlich alles möglich ist.
30 graue Baucontainer sind in dieser Zeit in der ganzen Stadt verteilt. Auch die Randbezirke der Großstadt werden nicht ausgespart. Neben der Belebung des öffentlichen Raums ist das Ziel der Aktion zu zeigen, dass Kultur in allen Lebensbereichen auftauchen kann, nicht nur in Oper und Theater. Und auch abseits gelegene Container wirklich für jeden zugänglich zu machen, können sich die Besucher in vier Containern knallrote Roller ausleihen und damit von Standort zu Standort fahren.
Für jeden etwasMobil zu bleiben lohnt sich, denn in jedem Container erwartet den Neugierigen ein anderes Programm. Da gibt es zum Beispiel den Literaturcontainer, in dem die Theatermanagement-Studentin Petra Nahlitková eine kleine Bibliothek eingerichtet hat. Im komplett mit Zeitungen tapezierten Container erinnert nichts mehr an eine Baustelle. Vom Studenten bis zum schrulligen Tschechisch-Professor trifft man dort so ziemlich jede Art von Besucher. Regelmäßig finden dort auch Lesungen von Amateuren oder etablierten Schriftstellern statt, zuletzt zum Beispiel von Literaturgröße Jiří Stránský.
Wer es aktiver mag, geht am besten auf den Marktplatz. Dort steht der Hauptcontainer. Hier kann man sich nicht nur für eine riesige Collage aus Gesichtern fotografieren lassen, sondern sogar den Marktplatz selbst umgestalten. Nach dem Motto „Lass Gegenstände sprechen“ durften die Besucher an einem Wochenende Mitte Mai Gegenstände in der Innenstadt mit riesigen Sprechblasen bekleben.
Im Multikulti-Container auf dem Mikulášské náměsti dreht sich ebenfalls alles um Sprache. Insgesamt zehn Nationen sind dort vertreten und wechseln sich in der Programmgestaltung ab. Neben Ländern wie USA, Vietnam oder Indien fällt das deutsche Team vielleicht etwas weniger auf. Über mangelnden Besuch müssen sich die Deutschen aber nicht beklagen. Oft kommen Pilsner vorbei, die deutsche Vorfahren haben, Deutsch lernen oder es gelernt haben und einfach ein bisschen plaudern wollen. Kinder bemalen Ausmalbilder mit dem kleinen Hasen Felix und puzzeln eine Deutschlandkarte, eine Studentin versucht sich am Sächsisch-Quiz. Am Abend kommen ein paar Leute zur Filmvorführung und lernen mit der Komödie Alemanya sogar noch etwas über die Kultur der großen türkischen Minderheit in Deutschland dazu.
Nicht nur positive ReaktionenEs sind vor allem ehrenamtliche Helfer, die die verschiedenen Container bis in den Abend hinein betreuuen. Finanziert wird die Aktion von der Kulturhauptstadt Plzeň 2015. Vieles wird vor Ort improvisiert. Im Multikulti-Container werden der Kaffee und die landestypischen Speisen für die Besucher entweder im Büro oder zu Hause gekocht. Der Wasserkocher kommt von einer Bekannten und der Tischkicker aus einem benachbarten Jugendzentrum.
Doch es gibt nicht nur positive Reaktionen auf die Veranstaltungart. „Als ich die Container gesehen habe, dachte ich, dass in der ganzen Stadt Müll darin gesammelt wird“, sagt ein junger Pilsner. Auch eine ältere Dame schimpft „Wie kann man nur so etwas Hässliches an so schönen Orten aufstellen?“
Doch die meisten Besucher lassen sich überzeugen, wenn sie sich erst einmal über die Schwelle in den Innenraum gewagt. Bis Plzeň im Jahr 2015 europäische Kulturhauptstadt sein wird, erwarten die Pilsner sicher noch mehr Veranstaltungen dieser und ähnlicher Art. Vielleicht ändern also auch die Skeptiker ihre Meinung noch. Und vielleicht finden sie ja auch noch Gefallen an den Containern. Bis Anfang Juni haben alle Interessierten die Chance, sich das Ganze einmal von der Nähe anzusehen. Wer es nicht nach Plzeň schafft, kann die Veranstaltung 2013 auch noch in Prag, Brno, Olomouc, Zlín, Mariánské Lázně und Ostrava erleben – dort allerdings mit weniger Containern.