Der brennende Busch ist Vergangenheit
Ein Gespräch mit den Produzenten des erfolgreichsten tschechischen Films des vergangenen Jahres
Pavla Kubečková (28) und Tomáš Hrubý (27) sagen es gleich zu Beginn: viel Zeit hätten sie nicht. Das liegt nicht etwa an der Prüfungszeit, die an der Prager Filmhochschule FAMU jetzt ansteht. Vielmehr sind die beiden sie von morgens bis abends mit ihrer Produktionsgesellschaft nutprodukce in mehrere Film- und Fernsehprojekte eingespannt. Gerade im Fernsehbereich sorgten sie im vergangenen Jahr für Furore. Als Koproduzenten des Fernsehsenders HBO waren sie an der Miniserie „Der brennende Dornbusch“ („Hořící keř“) beteiligt, bei dem die weltbekannte Filmemacherin Agnieszka Holland Regie führte. Das Projekt über die Selbstverbrennung Jan Palachs stellte im vergangenen Jahr alle anderen tschechischen Produktionen in den Schatten.
In gleich elf Kategorien hat Der brennende Dornbusch hat vor kurzem den bedeutendsten tschechischen Filmpreis Český lev (Böhmischer Löwe) gewonnen. Ein Rekord. Das Podium betraten Tomáš und Pavla zum Abschluss der feierlichen Preisverleihung, als sie die Löwen-Statue für den besten Film entgegen nahmen. „Die Akademie hat unseren Respekt dafür, dass sie ein Werk auszeichnete, das ursprünglich für das Fernsehen produziert wurde. Das kann durchaus als kontrovers gelten“, erklärte Pavla kurz nach der Preisverleihung. Im Kino war der Film nämlich nur 14 Tage lang zu sehen.
In der Filmbranche sind Pavka und Tomáš Neulinge. Über ihre Filmhochschule und deren Absolventen haben wir im Büro der beiden FAMU-Studenten in Prag-Holešovice gesprochen. Wenn Tomáš nicht gerade zum Telefonieren hinausging oder das Skype-Gespräch vorbereitete, das er gleich nach dem Interview führen wollte, unterhielten wir uns außerdem über Stress, Druck und neue Herausforderungen. Pavla und Tomáš sind ein perfekt eingespieltes Team, von dem man auch in Zukunft sicher noch hören wird.
An eurer Wand sehe ich Notizen zu Handlungssträngen einzelner Figuren in zwei Serienfolgen. Was ist das?
Pavla: Zusammen mit Autor Štěpán Hulík, der das Drehbuch zum Brennenden Dornbusch schrieb, arbeiten wir an einer neuen Krimiserie für HBO. Sie heißt Pustina (Ödland) und wird acht Folgen haben. Wir sind jetzt in der Phase, wo wir einen Regisseur suchen, und das dauert schon ganz schön lange. Wir sind erschöpft.
Tomáš: Es nähert sich der Casting-Termin. Da kommen eine Menge Laiendarsteller, das wird also recht anstrengend. Und wir müssen langsam wissen, wer die ersten Folgen drehen wird. Aber wir können uns einfach nicht auf jemanden einigen.
Es gibt also Interessenten, die ihr ablehnt?
Tomáš: Im Grunde genommen ja. Wir haben uns auch im Ausland umgeschaut, aber mal waren wir nicht zufrieden, mal der Sender nicht. Wir haben einfach unterschiedliche Präferenzen.
Pavla: In erster Linie haben wir in Tschechien gesucht, aber niemanden gefunden, der passen würde.
Warum ist es so schwer jemanden zu finden?
Tomáš: Das hängt mit dem Fach Regie an der FAMU zusammen und überhaupt damit, wie dort neue Leute aufgenommen werden und wie mit ihnen gearbeitet wird.
Pavla: Man kann es kaum glauben, aber ich denke, dass hier in den vergangenen 15 Jahren kein großes junges Talent aufgetaucht ist. Und falls doch ein Talent auftauchen sollte, das sich an der FAMU bewirbt, dann wird der Betreffende entweder abgelehnt oder später vergrault. Was die Regie an der FAMU angeht, so halte ich bereits die Auswahl der Bewerber für problematisch. Ein weiteres Problem besteht darin, dass lange Zeit die Zusammenarbeit zwischen den Fachbereichen Regie und Drehbuch nicht gefördert wurde. Das führt dazu, dass die Regisseure angehalten werden, ihre eigenen Bücher schreiben und reine Autorenfilme zu machen, was meiner Meinung nach nicht richtig ist. Nur wenige Regisseure sind in der Lage, selbst ein gutes Drehbuch zu schreiben. Auch das Handwerk wird vernachlässigt, genauso wie die Beschäftigung mit unterschiedlichen Genres. Folglich drehen alle nur Autorenfilme über sich selbst – und wenn man erst 20 Jahre alt ist und nicht besonders viel erlebt hat, entstehen eben oft oberflächliche Filme über Beziehungsprobleme und die Ratlosigkeit, was man mit seinem Leben anfangen soll. Und solche Filme interessieren wirklich niemanden.
Gibt es in Tschechien wenigstens Geld für Filme, wenn schon keine Talente da sind?
Pavla: Es ist nicht schlimmer als anderswo. Und mich langweilt dieses ständige Gejammer darüber, dass es kein Geld gäbe, dass im staatlichen Filmfonds eine Milliarde sein müsste und dass 50 Filme gedreht werden müssten, die jedoch nichts taugen, die niemand sehen will, die niemanden interessieren und die letztlich nur Unmengen von Geld verschlingen.
Tomáš: Im vergangenen Jahr entstand beispielsweise der Film Nepravděpodobná romance (Eine unwahrscheinliche Romanze), der ein Budget von zwölf Millionen Kronen hatte. Das ist für einen Kinofilm nicht viel, aber immerhin sind es zwölf Millionen. Den Film haben insgesamt 500 Zuschauer gesehen. Wenn man diese beiden Zahlen jetzt mal in Beziehung setzt, kommt heraus, dass eine Kinokarte mit 20.000 Kronen (etwa 740 Euro) subventioniert wurde.
Zurück zu euch und der Hochschule. Als ich ein Semester Produktion an der FAMU studiert habe, bekam ich den Eindruck, dass mich die Regisseure, die Kameraleute und die ganzen anderen lediglich als eine Art Technik-Bereitsteller, Dokumenten-Ausdrucker und Telefonisten wahrnahmen. Hätte sich das geändert, wenn ich an der Schule geblieben wäre?
Pavla: Ich denke, das liegt vor allem an einem selbst. Zumindest im ersten Jahr läuft das schon so wie du es beschreibst. Im Fach Regie werden die Leute in dem Sinne geschult, dass das Fach Produktion eine Art Service für die anderen darstellt. Mit der gleichen Perspektive werden auch die anderen Fachbereiche betrachtet. Der Kameramann ist ein Techniker, die Ton-Leute sind noch weniger als Techniker und die Drehbuchautoren am besten außen vor lassen. Es hängt dann viel davon ab, welches Verhältnis man zu den Leuten aufbaut. Dadurch lässt sich das verändern. Uns haben die Kollegen schließlich mehr zugetraut, als in den Drehpausen nur die Brote zu schmieren. Brote schmieren war übrigens nie unsere starke Seite.
FAMU-Absolventen erzählen oft, dass ihnen das Studium vor allem professionelle Kontakte gebracht hat. Wie sieht es aber mir Fachkenntnissen und -kompetenzen aus?
Pavla: Mit Sicherheit wurden uns Grundkenntnisse darüber vermittelt, wie das beim Film so läuft. Wir haben auch Basiswissen in Bezug auf praktische Angelegenheiten wie Buchhaltung und Autorenrechte. Im Übrigen wiederhole ich aber das, was alle anderen sagen. Die Kontakte sind das Wichtigste, mit den Leuten kann man dann in den nächsten Jahren an verschiedenen Projekten arbeiten. Auf der anderen Seite ist es auch eine Tatsache, dass man an der FAMU miteinander lernt und sich gegenseitig beeinflusst, weil man sich ständig über Filme austauscht und man dadurch seinen Geschmack und seine Meinung schärft.
Wie fing die Zusammenarbeit zwischen euch beiden an?
Tomáš: Das war irgendwann im dritten Studienjahr im Rahmen des Festivals Famufest. Das haben wir zusammen gemacht und zum ersten Mal eine Zusammenarbeit ausprobiert. Es war sofort klar, dass das funktioniert. Von da war es nur ein kleiner Schritt zur Gründung der eigenen Firma. Uns beiden war klar, dass wir in keine Institution wollen. Pavla hat schon währen des Famufestes ihren ersten Filmförderantrag gestellt. Ich begann an meinem Magister-Projekt Gottland zu arbeiten, das ich ebenfalls absichern musste.
Ist es schwer eine Firma zu gründen?
Pavla: Die Firma zu gründen, ist nicht so kompliziert. Man leiht sich 200.000 Kronen (etwa 7400 Euro), füllt ein paar Papiere aus und fertig. Das ist keine große Sache. Viel schwieriger ist es dann, die Firma zum Laufen zu bringen. Dazu braucht man ziemlich viel Energie und Konzentration.
Tomáš: Genau so ist es, unser Firmensitz war Pavlas Wohnzimmer, und erst beim Brennenden Dornbusch zeigte sich, dass es angebracht wäre, ein Büro zu mieten. Eine klassische Garagen-Firma eben.
Pavla: Der Firmensitz befindet sich im Übrigen immer noch in meinem Wohnzimmer.
Euer erstes Projekt unter dem Firmenlabel nutprodukce war der Dokumentarfilm „Pevnost“ („Die Festung“). Gleich danach kam „Der Brennende Dornbusch“. Habt ihr gleich nach der Lektüre des Drehbuchs gewusst, dass ihr das machen wollt?
Tomáš: Das Drehbuch lag in der FAMU, der Autor Štěpán Hulík hatte es zuvor ins Tschechische Fernsehen geschickt, bekam aber keine Reaktion. Zu der Zeit verhandelten wir gerade mit HBO wegen eines anderen Projektes, und dann meldete sich die Produzentin Tereza Polachová, dass der Sender jetzt ein eigenes Projekt machen will. Also schickten wir ihr Štěpáns Drehbuch. Ihr gefiel es, genauso wie dem HBO-Chef. Dann ging alles recht schnell. Wir sprachen Agnieszka Holland an, die ebenfalls Gefallen daran fand. Zu dem Zeitpunkt war dann ziemlich klar, dass wir das machen. Sie hatten die Mittel und den Plan, eigene Sachen zu machen. Alles ergab einen Sinn. Eine erfolgreiche Regisseurin garantiert, dass etwas Vernünftiges daraus wird und keine X-Millionen in dem Projekt verbrannt werden.
Wie war die Reaktion von Agnieszka Holland, als sie dieses Angebot von zwei jungen Produzenten ohne großartiges Portfolio bekam?
Pavla: Wir fuhren zu ihr nach Polen, und weil wir uns keinen Flug leisten konnten, nahmen wir den Zug. Als wir ihr das erzählten, fragte sie, ob der Grund Abenteuerlust oder Geldmangel gewesen war.
Tomáš: Sie erinnerte sich an ihre Studentenzeit, deshalb wusste sie, welche Qual es ist, von Warschau nach Prag zu fahren. Das ist ein furchtbarer Weg, der etwa zwölf Stunden dauert. Agnieszka hat unsere Unerfahrenheit aber sehr viel weniger nervös gemacht als die Leute bei HBO, zumindest am Anfang.
Pavla: Außerdem mag sie es, mit jungen Leuten zusammenzuarbeiten, das gibt ihr Kraft.
Was war das für ein Gefühl, als diese Riesenproduktion losging? Habt ihr nicht manchmal gedacht, das ist eine Nummer zu groß?
Pavla: Das würde ich gar nicht sagen. Das Schwierigste waren die Vorbereitungen, einen Kameramann und einen Kostümbildner zu finden, das Casting zu organisieren, die Drehorte auszusuchen und vor allem HBO zu überzeugen, dass sie keine Sorge haben müssen, mit uns zusammenzuarbeiten. Da gab es Befürchtungen, weil wir keine Referenzen hatten, das kann man verstehen.
Stress und Druck waren also keine Fremdwörter für euch?
Pavla: Wir wussten nicht, wie die Dreharbeiten eines so großen Projektes ablaufen. Aber wenn man sich mit erfahrenen Leuten umgibt, dann kann man das bewältigen. Anstrengend war auch die Postproduktion, beim Schnitt und der Musikauswahl, wo es zu Meinungsverschiedenheiten kam. Da ist der Produzent dann ausgelastet; im Übrigen waren wir für die künstlerische Seite verantwortlich.
Tomáš: Klar, stellenweise war das ein furchtbarer Druck und großer Stress, das bringt das eben mit sich. Manche Dinge klappten vielleicht nicht, dann schläft man schlecht. Ich musste dann immer vier Schnäpse trinken.
„Der brennende Dornbusch“ hat das Thema der Selbstverbrennung Jan Palachs wieder ins allgemeine Bewusstsein gebracht, die Medien berichteten viel, es gab ein großes Interesse. War das eine Genugtuung für euch?
Pavla: Ich war sehr zufrieden, dass wir etwas auf die Beine gestellt haben, dass mir persönlich gefällt und an dem ich nichts groß auszusetzen habe. Die Reaktionen der Öffentlichkeit waren in dem Moment zweitrangig. Mütter, Zeitungsausschnitte, Premiere… ich war damals relativ gelassen. Erst jetzt, ein Jahr später, nach den Preisverleihungen, nehme ich es intensiver wahr. Das war toll und angenehm, aber es ist Vergangenheit, und wir sind mental woanders. Wir haben den Brennenden Dornbusch hinter uns gelassen.
Tomáš: Ich genieße am meisten, dass man dadurch gewisse Sicherheiten im Leben und im Beruf erlangt. Auf einmal macht man die Dinge mit größerer Gelassenheit. Das kann aber natürlich auch nach hinten losgehen, wenn man aufhört, sich in Frage zu stellen.
Und die FAMU? Wurde da euer Erfolg wertgeschätzt?
Pavla: Irgendwann gab es auf der Internetseite eine Gratulation. Und dabei haben sie übrigens meinen Namen falsch geschrieben.
Was gibt es sonst für Pläne außer dem erwähnten Krimi-Projekt?
Pavla: Wir sind kein Unternehmen, das auf ein Genre spezialisiert wäre. Wir wollen Dinge tun, die uns nahe stehen. Ob nun inhaltlich oder formal gesehen. Es ist egal, ob es sich um einen Dokumentar-, einen Spiel-, einen Zeichentrickfilm oder um eine Serie handelt. Ich muss mich darüber hinaus noch mit der Abschlussprüfung und meiner Diplomarbeit beschäftigen, Tomáš muss noch ein paar Fächer abschließen. Ich hoffe, dass wir das bald hinter uns bringen, es ist wie ein Klotz am Bein. Die durchschnittliche Studiendauer an der FAMU beträgt allerdings rund zehn Jahre, also ist alles im grünen Bereich.
Tomáš: Jetzt kommt Gottland in den Verleih, eine Verfilmung des Bestsellers von Mariusz Szczygiel über die tschechische Geschichte und ihre Persönlichkeiten. Wir planen einen abendfüllenden Film mit dem Regisseur Martin Fryč und ein Projekt mit dem Titel Čekej tiše (Warte leise) über die Sängerin Eva Olmerová.