Kultur

Alles ist anders

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Pavel Čech: „Das Zeichnen ist für mich eine Flucht vor der Gesellschaft.“ Foto: © privat

In seinen bitter-süßen Geschichten scheinen die Sorgen, Sehnsüchte, Träume und Ängste seiner Kindheit durch. Welchen Einfluss hatte auf den bekannten tschechischen Maler und Zeichner Pavel Čech die Zeit des Kommunismus, in der er aufwuchs? Wie hat sich seine Haltung seit der Revolution 1989 bis heute verändert? Welche Bedeutung hat für ihn die Arbeit des bildenden Künstlers und warum gibt es in seinem Werk nur selten moderne Technik zu sehen?

Zwanzig Jahre Ihres Lebens verbrachten Sie im Kommunismus. Wie sah das damals mit den Comics aus?

Lausig. Als Jungs sehnten wir uns natürlich nach ausländischen Comics, von denen wir wussten, dass sie existieren, weil sie gelegentlich jemand reingeschmuggelt hatte. Hier konnte nur Čtyřlístek (Kleeblatt) erscheinen, das war schön, aber es fehlte das Geheimnis: Darin verfolgt man die Spiele von vier Tierchen, und das sollen dann Teenager lesen. Unterbewusst ärgerte es uns, dass die Rychlé šípy verboten waren. Wir kamen nicht an die Sachen ran, die wir nachmachen wollten. Jemand brachte einen Comic aus Frankreich mit, und wir haben den ständig untereinander getauscht, bis er ganz verschlissen war. Sein Geruch, und die Gefühle die ich hatte, wenn ich so einen Comic in den Händen hielt, sind unbeschreiblich – es kam mir wunderschön vor, wie eine kristallene Schönheit. Wir spürten, das ist die Vorhut eines Ozeans an Comics, die es dort gibt.

Als ich unlängst in Frankreich war, ging ich in eine Buchhandlung und stieß auf eine Menge genialer Illustratoren. Anstatt dass man dann voller Inspiration das Geschäft verlässt, wird man depressiv und hat Lust die Pinsel wegzuschmeißen, weil das ja sowieso keinen Sinn macht. Da gibt es so viel, in diesen gelobten Ländern des Comics… Aber vielleicht wurden wir von diesen verbotenen Früchten mehr beeinflusst, als die Leute in Westeuropa, wo es das massenhaft gab. Ich habe nichts gegen Čtyřlístek. Als ich klein war, hab ich die auch gesammelt. Die älteren Sachen sind von Hand gemacht, und das sehr solide, wie ich finde. Bei den neuen Folgen schimmert der Computer durch, und meiner Meinung nach ist das Kitsch. Sicher, wir sind damit aufgewachsen, aber heute wird das eher wegen des Geldes gemacht.

© Pavel Čech
© Pavel Čech

Sie verwenden überhaupt keine Computerprogramme?

Eine Zeit lang habe ich damit kokettiert, habe dann aber festgestellt, dass es mir keinen Spaß macht zu lernen, wie man damit arbeitet. Bei den Abenteuern von Pepík Střecha wäre es vielleicht schneller gegangen, wenn ich Fonts benutzt und nicht alle Dialoge von Hand geschrieben hätte, aber mir gefällt es, wenn zum Beispiel jedes „F“ ein wenig anders aussieht oder verschieden groß ist. Das ist auch angenehmer für das Auge, wenn nicht alles gleich aussieht. Und wahrscheinlich würde das bei mir mit einem Computer sogar länger dauern, weil das, was auf meinen Bildern oder Zeichnungen so detailliert verarbeitet wirkt, ein Ergebnis von ein paar Sekunden ist, indem ich einfach ein Stück Zeitung, ein Blatt Papier abdruckte…

Das haben Sie sich alleine beigebracht?

Ja. Aber ich lerne es nach wie vor.

Warum haben Sie keine Kunsthochschule besucht?

Ich kann mich daran erinnern, dass mir am Ende der neunjährigen Grundschule die Frage, was ich gerne tun würde, was mir Spaß machen würde, regelrecht Stress bereitete. Ich hatte am meisten Freude daran, in den Wald zu gehen, dort Eidechsen zu jagen, mit Pfeil und Bogen zu schießen und zu malen. Schon ab der ersten Klasse habe ich unter der Bank auf Löschblätter Indianer oder Geister gemalt… Ich hatte die Neigung, mit Hilfe von Bildern das zu beschreiben, was ich gelesen hatte. Das war für mich etwas ganz Natürliches. Mir gefiel es auch, mit Hilfe von Bildern irgendeine eigene Geschichte zu erzählen, aber das ich tatsächlich ein richtiges Bild malen oder ein Buch schreiben würde, das verkauft werden würde, darüber habe ich überhaupt nicht nachgedacht. Weil ich gerne gemalt habe, haben mich meine Eltern auf eine Bau-Fachschule geschickt, aber dort ging es ständig um Bauskizzen, deskriptive Geometrie und Chemie. Ich erinnere mich mit Grausen daran.

Ihre Comics, Zeichnungen und Gemälde haben heute einen Wiedererkennungswert. Wie lange hat es gedauert, bis Sie ihren eigenen Stil gefunden haben?

Das hat sehr lange gedauert, weil ich illustrierte Bücher sehr gerne hatte; also imitierte ich ständig bekannte Zeichner, mal Burian, mal Nepratka, dann Fišer und natürlich Kája Saudek. Einmal rief mich ein Freund an und sagte: „Du, Pavel, ich habe irgendwo ein Bild gesehen und gleich erkannt, dass es von dir ist.“ Das war für mich ein Meilenstein, an den ich mich gerne erinnere. Für einen Zeichner ist es das Wichtigste, seinen eigenen Stil zu finden, damit man nicht der Epigone von irgendjemandem ist. Auf der anderen Seite bedauere ich es auch. Selbst wenn ich heute diesen Stil hinter mir lassen wollte, ist es nicht mehr möglich. Und deshalb probiere ich wenigstens verschiedene Techniken aus – Aquarelle, Öl, Federzeichnungen, Collagen, Schichtungen, Strukturierungen mit Sand und andere Sachen, momentan versuche ich mich am falschen Holzschnitt.

Ein großer Freund moderner Technik sind Sie also nicht, sie kommt auch in Ihren Geschichten kaum vor.

Es widerstrebt mir, meine Figuren mit Handys oder Ähnlichem auszustatten. In Pepík Střecha habe ich zumindest Autos auftauchen lassen, wenn auch ungern. Es ist wahrscheinlich normal, dass man die Inspiration in seinem eigenen Leben sucht. Ich verstehe die heutigen jungen Leute auch gar nicht mehr richtig. Wer weiß, was die nach dem Unterricht so tun. Wenn man sich mal umschaut, die Felder, die Wege, wo wir früher immer hingegangen sind, die Sport- und Spielplätze, da ist gar keiner mehr. Hunderte von Kindern strömen morgens von den Siedlungen in die Schulen, aber später sind sie nicht mehr zu sehen. Wenn ich heute die Kinder frage, was sie so machen, dann konsumieren sie meistens nur das für sie bestimmte Angebot, weil sie so eine fiktive tausendseitige Speisekarte haben, tausend Möglichkeiten, aus denen sie wählen können. Als ich klein war, gab es zum Beispiel im Fernsehen sowieso nichts. Das Programm war schwarzweiß und wirklich – es lief nichts. Wir wussten, dass irgendein deutscher Krimi am Mittwoch in einem Monat kommt, also warteten wir und freuten uns darauf.


Glauben Sie, dass der Kommunismus Ihre Arbeit beeinflusst hat?

Wenn ich im Westen gelebt hätte, hätte ich wahrscheinlich von klein auf eine stärkere Konkurrenz gespürt. Dann hätte ich vielleicht besser oder eher ganz anders gemalt, ich hätte andere Vorbilder und mein Ausdruck wäre ein ganz anderer gewesen. Aber auch ich selbst wäre ein ganz anderer gewesen, und vielleicht hätte ich gar kein Bedürfnis solche Bücher zu machen wie ich sie mache –fröhlich-bitter-süß-traurig. Das kann natürlich, ohne übertreiben zu wollen, auch daran liegen, wie ich im Kommunismus aufgewachsen bin. Diese Zeit war wirklich durchsetzt von einer Atmosphäre des Unnormalen, Verdrehten, Abscheulichen und Grauen, und obwohl ich das als kleiner Junge nicht verstand, spürte ich das so. Das Umfeld formt den Menschen ganz grundlegend.

Wie haben Sie dann die Revolution 1989 wahrgenommen, wurde Ihnen auch hier in Brno klar, dass es zu einer Veränderung kommen kann?

Das war allen jungen Menschen klar, die Leute trugen die tschechoslowakische Trikolore, ich zum Beispiel auf so einer schwarzen Maler-Baskenmütze. Beim weißen Haus habe ich mich vor Stasi-Fahrzeuge gestellt, damit die nicht passieren konnten und irgendwelche Akten vernichten, jeden Tag war ich auf dem Marktplatz und klingelte mit den Schlüsseln, völlig unausgeschlafen pilgerte ich von Diskussion zu Diskussion. Heute nehme ich meine damalige Begeisterung ganz anders wahr, diese naive Überzeugung, dass die Welt sich verändert, dass die Menschen sich verändern, dass die Gerechten und die Ehrbaren die Sache in die Hand nehmen. So eine starke Begeisterung hatte ich bis dahin noch nicht erlebt. Es herrschte eine aufgeladene Atmosphäre, es gab immer noch die Gefahr, dass eine Armee eingreift, zu schießen beginnt, dass die Russen die Regierung stützen… Mein Vater war für Veränderungen, aber nicht so überstürzt wie ich das wollte, das konnte ich nicht verstehen. Ich war 21 Jahre alt, etwas anderes war es, als Erwachsener das gesamte Leben im Kommunismus verbracht zu haben.

Wie meinen Sie das?

Mir ist alles allmählich klar geworden – dass wir getäuscht werden und in der Lüge leben. Überall diese Transparente, in jedem Schaufenster, auf jedem Dach, immer diese Feiertage. Mir wurde klar, dass das alles eine Lüge ist, aber eigentlich störte mich das nicht so, denn ich hatte meine Welt und meine Freunde. Die Vorstellung, dass der Mensch erwachsen wird, und da einfach weitermacht, in dem System Kinder erzieht; ich kann mir gar nicht vorstellen, wie deprimierend das gewesen sein muss.

Heute verstehen Sie also Ihren Vater?

Ja. Ich bin jetzt selbst viel vorsichtiger und pragmatischer, damit ich mich nicht von der Masse beeinflussen lasse. Der Einzelne verlässt leicht seinen Weg, lässt sich von der Menge forttragen und identifiziert sich mit Positionen, mit denen er sich ohne die Energie der Masse nicht identifizieren würde. Auch diese unsere Revolution wird jeder anders bewerten – der Student, der dank eines Stipendiums nach Harvard gehen kann oder der Arbeiter, den man entlassen hat. Das Positive und das Negative sind nie im Gleichgewicht. Ich passe jetzt auf, dass ich nicht in einen Strom abgleite, in eine Begeisterung und Energie, Kämpfe für irgendwelche Veränderungen und eine bessere Zukunft. Dazu bin ich nicht mehr in der Lage. Wie sagte in einer Geschichte von Jan Werich der klügste Mann im Dorf, der Rabbiner: Alles ist anders. Das ist eigentlich mein einziger Glaube. Vielleicht liegt das auch daran, dass ich kein Teamplayer bin.

Da haben Sie sich aber den richtigen Beruf ausgesucht.

Das ja. Ein bildender Künstler muss allein mit sich sein können, sonst könnte er nicht jeden Tag im Atelier arbeiten, auch wenn er malen würde wie ein Gott. Das Zeichnen ist für mich so eine Flucht vor der Gesellschaft, da kann ich mich in meinem Atelier wie in einem Versteck einschließen und dort meine Sachen machen. Diese Gesellschaft ist so reich, dass sie es dem Menschen ermöglicht, sich etwas auszudenken, zu zeichnen und Indianer zu spielen und eigentlich nicht erwachsen zu werden. Heute und jeden Tag sitze ich stundenlang in meinem Atelier und genieße es. Begeisterung empfinde ich als Geheimnis. Das ist wie Verliebtsein.

Schnelle Pfeile, ein tschechischer Jugend-Comic-Klassiker von 1938
Ester Dobiášová
Übersetzung: Ivan Dramlitsch

Copyright: Goethe-Institut Prag
November 2014

    Pavel Čech

    Pavel Čech (*1968, Brno) ist ein tschechischer Maler, Zeichner und Kinderbuchautor. Zu den bekanntesten gehören O čertovi (Über den Teufel, 2001), Dědečkové (Großväter, 2011), O zahradě (Über den Garten, 2012), Tajemství ostrova za prkennou ohradou (Das Geheimis der Insel hinter dem hölzernen Zaun, 2009) oder das Comic Velké dobrodružství Pepíka Střechy (Das große Abenteuer von Pepík Střecha, 2012), für das er 2013 mit dem Literaturpreis Magnesia Litera ausgezeichnet wurde. Er ist gelernter Schlosser, arbeitete einige Jahre als Feuerwehrmann und ist seit 2004 freischaffend tätig. Im Vorwort zum Buch Das Geheimnis der Insel hinter dem hölzernen Zaun schreibt sein Verleger über ihn: „Er mag wilde Gärten, den Blick in den Nachthimmel, Schmetterlinge und Käfer, gutherzige Menschen, den Geruch von Waldäpfeln und Kiefernwäldern, das Umherzustreifen, alte, bröckelnde Wände, Indianer, das Buch Rychlé šípy, das Lied Andělská, Drachen steigen lassen, Bücher von Michael Ajvaz, verrostete Schlüssel, alte Kinos, sauberes Wasser, Geheimnisse…. und er versucht das auf die Leinwand zu bringen oder darüber ein Buch zu schreiben und zu zeichnen.“

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