Geschichte als Comic
Ein Porträt des Comic-Zeichners Karel Jerie
„Mythen, Legenden und Märchen haben mich schon immer interessiert. In diesen Geschichten ist etwas Archetypisches. Warum muss man sich krampfhaft und um jeden Preis immer neue Geschichten ausdenken?“ fragt der 35-jährige Comic-Zeichner Karel Jerie. Er ist der Überzeugung, dass es unzählige alte Geschichten gibt, die auch dem heutigen Leser etwas zu sagen haben. So hat er zahlreiche große Erzählungen der Vergangenheit in Comicform verarbeitet.
Karel Jerie wohnt in einer Wohnung ein Stück außerhalb von Prag. Dort entstehen auch die meisten seiner Comics. Skizzen füllen die Schubladen seines Schreibtisches. In sein Atelier in der Stadt fährt er dennoch regelmäßig. Dort widmet er sich allerdings vor allem der freien Malerei. Die Kunst, ob nun Malerei oder Comic-Zeichnen, ist sein Beruf, und der macht ihm wirklich Spaß. „Die Themen suche ich mir selbst aus, dann wähle ich die Form, die ein bestimmtes Thema dem Leser am besten näher bringt“, erklärt er und legt Wert darauf, dass er sich an keine Aufträge anpassen muss. „Ich orientiere mich an meinem Gefühl: ich versuche den Stoff in einen Comic zu packen, den ich selbst gern lesen würde. Wie wenn man in einer Buchhandlung in einem Heft blättert und sich sagt: Ja, das ist es, so etwas habe ich noch nicht gesehen!‘“
Häufig gibt er historischen und mythologischen Geschichten den Vorzug. „Einige davon sind nämlich dermaßen gut! Wenn ich sie lese, fallen mir die Bilder dazu ganz von alleine ein“, begründet Jerie. So hat er sich beispielsweise auch das Gedicht Jaroslav aus den Handschriften als Comic-Stoff ausgesucht. „Das ist wie ein Filmdrehbuch, der Comic ist dadurch in meinen Kopf ganz automatisch entstanden“, beschreibt er die Wirkung der nationalbewegten Poesie aus dem 19. Jahrhundert. Das ist das Grundprinzip seiner Arbeit: auch in den alten Erzählung findet er den Bezug zur heutigen Zeit. Wenn man sich zum Beispiel bei der Ödipus-Geschichte, die Jerie auch als Comic verarbeitete, die Togen und die übernatürlichen göttlichen Fähigkeiten wegdenkt, dann könnte sich diese Story auch in der Gegenwart abspielen.
Jerie ist davon überzeugt, dass sich Vergangenheit und Gegenwart gegenseitig durchdringen. „Weder Geschichtslehrbücher noch Archiv-Vermerke wurden von Augenzeugen geschrieben, auch da muss immer ein wenig die Phantasie mitspielen“, glaubt Jerie. „Es macht mir Spaß mir vorzustellen, was genau in den im Detail unbekannten historischen Momenten passierte, was die Menschen sich erzählten. Damit spiele ich gerne“, erklärt er. Deshalb bringt er in die Comics auch eigene Ideen ein, anstatt sich sklavisch an den Text zu halten. „Es ist wichtig, das Grundgefühl des Buches zu vermitteln, gleichzeitig muss man aber mehr leisten. Die Grundlinie beibehalten, aber sich nicht im letzten Detail an den Text ketten, nicht versuchen, alles erfassen zu wollen.“ Manchmal inspirieren ihn Passagen zu längeren Ausarbeitungen, die im Original eher kurz ausfallen. So lässt sich Voltaire über Candides Militärausbildung nur kurz aus. Karel Jerie hingegen widmet gleich mehrere Seiten seiner Vorstellung, wie diese Ausbildung ausgesehen haben könnte.
Bis es heranreiftWenn den Zeichner ein bestimmtes Buch oder eine Legende inspiriert, dann entstehen bereits beim Lesen in seinem Kopf Bilder. „Die trage ich dann solange mit mir herum, bis mir nichts anderes mehr übrig bleibt, als daraus einen Comic zu machen“, fasst er die übliche Vorgehensweise zusammen. Dies kann oft mehrere Monate oder Jahre dauern. „Die Stoffe suchen eher mich, als dass ich sie suchen würde“, lacht er und stellt sich vor wie es wäre, wenn er sich selbst eigene Themen ausdenken müsste.
Die Hauptsache, mit der Jerie die Erzählungen bereichern kann, sind seiner Ansicht nach die Bilder. Deshalb überlegt er sich in der Regel zunächst die Komposition der Seite, die Bildabfolge und die Größe der Textblasen. Die Dialoge schreibt er häufig ganz zuletzt. Wenn er mit anderen, unerfahrenen Autoren zusammenarbeitet, besteht seiner Meinung nach die größte Gefahr darin, dass der Text die Bilder dominiert. „Viele Geschichten können ganz einfach durch das alleinige Bild ausgedrückt werden, und ich denke, dass das besser zu einem Comic passt als überflüssiger Text“, so Jerie.
Übersetzung: Ivan Dramlitsch