Wer will Jessie umbringen?
Der erste tschechische Film mit Comic-Elementen
Der Comic regiert die Welt. Das amerikanische und das europäisch-asiatische Kino und alle anderen Kinematographien werden überschwemmt von Comic-Adaptionen. Allerdings wurden schon früher viele Superhelden, sexy Heldinnen und kriminelle Gestalten aus Comicheften auf der Leinwand zum Leben erweckt. Auch die Tschechoslowakei trug noch während der kommunistischen Herrschaft ihren Teil zu dieser Sammlung bei.
Den ersten Film mit Comiceinschlag konnte sich die Tschechoslowakei noch vor der Ära der Normalisierung gutschreiben, im Jahr 1966. Es handelte sich zwar nicht um die Adpation eines konkreten Comics. Regisseur Václav Vorlíček war aber der erste, der dem tschechoslowakischen Publikum ein Abenteuer servierte, das sich aus der Poesie des amerikanischen Comics bediente: Superhelden, spärlich bekleidete Femme fatales und geheimnisvolle Gegenstände, die von Guten und Bösewichtern gleichermaßen begehrt werden. In Wer will Jessie umbringen? ist dieser Gegenstand ein Paar Anti-Schwerkraft-Handschuhe.
In dem Film entwickelt die Wissenschaftlerin Beránková (gespielt von Dana Medřická) eine Substanz, die Träume beeinflussen und unangenehme, negative Elemente aus diesen entfernen kann. Als Nebenwirkung materialisieren sich jedoch diese Elemente in der „realen“ Welt. Das stellt Beránková allerdings erst fest, nachdem sie ihrem Ehemann Beránek (Jiří Sovák) das Serum verabreicht hat. Der träumte von der sexy Comic-Heldin Jessie (Olga Schoberová), die gegen einen bösartigen Superman (Juraj Višný) um die Anti-Schwerkraft-Handschuhe kämpft. Direkt am nächsten Morgen entdeckt Beránková im Bett ihres Mannes Jessie. Den „Superman“ findet sie im Badezimmer. Von diesem Moment an entspinnen sich halsbrecherische Eskapaden unter Beteiligung aller Figuren. Denn es geht hier nicht nur um den Kampf zwischen Jessie und dem Superman-Schurken, sondern auch um die Beziehung der Wissenschaftlerin Beránková zu ihrem Mann Beránek und die Gefühle, die in Jessie für diesen erwachen. Aber haben Comic-Figuren überhaupt Anspruch auf eine Existenz in der wirklichen Welt?
Vorlíček ging nicht den Weg eines klassischen Abenteuers mit Verfolgungsjagden (auch wenn die natürlich trotzdem nicht fehlen dürfen). Er schuf vor allem eine deftige, verrückte Komödie voller Wortgefechte, Gags, Situationskomik und schierer Improvisation. Zur Entstehungszeit von Wer will Jessie umbringen? wurde schon lange auf farbigem Filmmaterial gedreht. Vorlíčeks Comic-Film ist jedoch schwarz-weiß. Die Filmemacher selbst erklärten später in einigen Interviews, dass die technisch anspruchsvollen Tricks eine Realisierung in Farbe unmöglich machten. Gedreht wurde dann in Cinemascope, also im Breitbildformat.
Vorlíčeks Spiel mit dem Comic-Genre war für das tschechoslowakische Kinopublikum eine unerwartete Invention. Um überhaupt zu verstehen, was der Comic überhaupt ist, engagierte Vorlíček den bekannten Zeichner Kája Saudek. Der gestaltete das Plakat und vor allem den fiktiven Comic Technický svět (deutsch: Technische Welt), der dann im Film auftaucht und aus dem heraus die Figuren Jessie und Superman in die wirkliche Welt treten. Vorlíček erzählte, dass er zur Entstehungszeit des Films keine Comichefte zur Verfügung hatte und dass er eigentlich gar nicht genau wusste, woraus er schöpfen und an was er anknüpfen sollte. Er baute dann zum Beispiel Sprechblasen in die Handlung ein, mithilfe derer sich Jessie und der „Superman“ mitteilen konnten, und gab der Figur des „Supermans“ einen anderen Charakter. Der verkörpert normalerweise das Gute, die Wahrheit und die Liebe. Hier ist er jedoch ein Bösewicht, der alles zerstört, was ihm in den Weg kommt, und sogar fast nackte Blondinen foltert. Und noch eine weitere Parallele ist beachtenswert: die Figur der Wissenschaftlerin Beránková, diese übertrieben pragmatische, berechnende, gebieterische, harte und dogmatische Person, die „gegen das Träumen“ agiert, scheint eine Verkörperung des damaligen kommunistischen Regimes darzustellen, auf das ähnliche Charakteristika zutreffen.
Originell ist die Idee Comic-Figuren mit der „realen“ Welt zu konfrontieren. Vielleicht gerade deshalb begann man unmittelbar nach der Premiere mit den Vorbereitungen für ein amerikanisches Remake. Dann allerdings kam das Jahr 1968, das Ende des Prager Frühlings, und von dem Vorhaben wurde Abstand genommen. Schade.