Eine lebende Comicfigur
Das Projekt „Karl Toon“ umgibt etwas Geheimnisvolles. Erst nach einigem Zögern willigt einer der Macher in ein Gespräch ein. Samstag nachmittag kommt der Handyanruf, über eine anonyme Nummer. Das Treffen findet in einem kleinen Cafe in der Münchener Innenstadt statt. Bei Fragen zu seiner Person runzelt der Gesprächspartner leicht die Stirn, seinen Namen möchte er nicht im Artikel lesen. „Was zählt ist der Charakter“ – das wird er im Laufe des Interviews immer wieder sagen. So entwickelt sich ein Gespräch über eine Street-Art Figur mit Eigenleben.
Was war die Motivation für den Charakter „Karl Toon“?
Der Freundeskreis von Karl Toon kam aus dem Graffitimilieu. Wir waren öfter in Berlin, Sticker und Poster waren 2002 neu und haben uns gefallen. Wir mochten allerdings nicht, dass dabei immer Personen im Fokus standen, die ihren Namen überall hin schreiben. Unsere Idee war: Es soll nur um den Charakter Karl gehen, nicht um die Macher dahinter.
Wieso wollt ihr als Künstler nicht öffentlich auftauchen?
Wir haben nie angestrebt, durch den Charakter öffentlich bekannt zu werden. Es ist ungewöhnlich, aber wir wollen nur den Charakter Karl Toon in den Mittelpunkt stellen. Er steht für Toleranz und kann Projektionsfläche für jeden sein.
Was machen die Leute hinter Karl Toon beruflich?
Das ist uninteressant. Das soll komplett ausgeblendet werden. Alles ist möglich, vielleicht sind wir Musikproduzenten oder arbeiten beim Supermarkt an der Kasse.
Wofür steht der Charakter?
Die Idee war, einen Charakter zu erschaffen, der je nach Situation auftaucht. Mit dem Fahrrad am Fahrradstand, mit der Zeitung in der Hand auf der Parkbank. Der Charakter sollte ins Stadtbild integriert werden.
Warum habt ihr den Namen „Karl Toon“ gewählt?
Das Ding braucht ja einen Namen. Der Charakter ist ja letztlich ein Cartoon, der gezeichnet wurde. Da wir den Charakter als Person sehen haben wir das Wortspiel mit „Karl Toon“ benutzt.
Auf der Website wird „Karl Toon“ als netter Nachbar beschrieben, als Symbol des Alltäglichen. Kunst im öffentlichen Raum soll aber auch auffallen und provozieren. Ist das ein Widerspruch?
Nein. Der nette Nachbar bedeutet, dass sich jeder mit Karl identifizieren kann, weil er keiner Gruppe zuzuordnen ist. Er gehört nicht den Sprühern und nicht den Hausfrauen. Ich glaube viele sehen das Plakat, finden es lustig oder freuen sich darüber. Er liest Zeitung, kauft Brötchen, schaut auf die Uhr – wie jeder von uns. Alle können an Karl teilhaben und ihn mit auf Reisen nehmen. Ein Freund von uns hat ihm sogar Kuba gezeigt...
„Kuba gezeigt“ heißt den Charakter dort plakatiert?
Sagen wir es so: Wir sind mit ihm nach Kuba gereist. Die Kubaner waren begeistert, obwohl Street-Art dort völlig unbekannt ist. Der Charakter funktioniert besonders gut in einem internationalen Kontext. Niemand verbindet Street-Art in Kuba mit Sachbeschädigung. Wenn es Ablehnung gibt, dann am ehesten in Deutschland.
Wieso ist Deutschland anders?
Weil hier sofort an Eigentum und Vandalismus gedacht wird. In anderen Ländern freuen sich die Länder mehr über die Figur und sehen das Künstlerische.
Der Charakter tritt in verschiedenen Situationen auf. Was gleich bleibt ist der Schädel in Footballform und der scheue, ertappte Blick. Spiegelt sich darin die Angst jedes Street-Art Künstlers wieder, erwischt zu werden?
Eher nicht. Der markante Kopf ist ein Sinnbild für das Anderssein. Nur der Kopf unterscheidet ihn von den anderen Menschen. Der verändert sich nicht, der Charakter ist so geboren.
Wie suchst Du aus, wo die Figur plakatiert wird?
Wir haben uns bei den Figuren früher oft auf Events bezogen. Es gab beispielsweise die Händel-Festspiele in Halle. Dann ist Karl zusammen mit Händel durch die Stadt „gelaufen“. An seinem Geburtstag hat der Charakter einen Kuchen in der Hand.
Wenn jemand den Charakter kopieren würde, mahnt ihr ihn dann ab?
Mit Abmahnungen bin ich zurückhaltend. Was mich stört ist, wenn jemand das Projekt kommerziell ausnutzen will. Es gibt keine T-Shirts, wir wollen daran nichts verdienen. Es gibt aber auch kein offizielles Copyright.
Das Bekleben von öffentlichen Eigentum ist rechtlich verboten. Hattet Ihr durch eure Aktionen Probleme mit der Polizei?
Plakatieren ist seit 2008 dann eine Sachbeschädigung, sobald man das Plakat nicht rückstandslos entfernen kann. Karl hatte immer wieder Kontakt mit der Polizei, aber es gab keine extremen Konsequenzen.
War diese Illegalität ein Reiz, mit Street-Art anzufangen?
Am Anfang war das sicherlich ein Reiz, nachts mit Karl durch die Straßen zu ziehen. Aber man ist sich bewusst, dass das als Straftat gesehen werden kann. Es bleibt immer im Kopf, aber ich würde jetzt nicht wegrennen, wenn uns jemand erwischt. Natürlich muss man trotzdem vorsichtig sein.
Was passiert in den nächsten zehn Jahren mit dem Charakter Karl Toon?
Frag mich in zehn Jahren nochmal (lacht). Karl ist nicht mehr so viel unterwegs in letzter Zeit. Aber er ist nicht depressiv und schließt sich zu Hause ein. Wenn wir zusammen ausgehen, dann reisen wir in die Ferne.
Copyright: Goethe-Institut Prag
April 2013