Köche im Krieg


Der Dokumentarfilm „Cooking History“ erzählt die Geschichte von neun Militärköchen und gewährt Einblicke in einen ungewöhnlichen, wenig „heldenhaften“ Alltag im Krieg.
Man nehme sechs Kriege, 60.361.024 gefallene Soldaten und elf Rezepte. Dazu vermenge man die Porträts von neun Militär- und Feldköchen aus Europa, die für unterschiedliche Armeen gearbeitet und Kriege des 20. Jahrhunderts miterlebt haben. Zur Abrundung verwende man die persönlichen Erinnerungen dieser Köche, die zu einer von der gängigen Geschichtsschreibung teilweise abweichenden Sicht auf historische Ereignisse beitragen. Heraus kommt der sehenswerte Dokumentarfilm Cooking History des slowakischen Regisseurs Peter Kerekes.
„Das Leben geht weiter und der Soldat muss essen. Egal, ob er Russe, Deutscher, Ungar oder Franzose ist“, erzählt ein Koch. Und so entsteht der Eindruck, das Credo aller Köche ist: Kochen und Soldaten mit Essen versorgen. Der Rest ist Nebensache.
Ein deutscher Bäcker etwa und eine russische Köchin erzählen von ihren Problemen und Aufgaben im Zweiten Weltkrieg. Währenddessen kochen sie noch einmal ihre Rezepte. Vom Krieg ist nur selten die Rede, stattdessen von der Herausforderung für viele Soldaten zu kochen und dem Mangel an Zutaten.
100.000 Hähne für Coq au vin
Die Schauplätze der Kriege und Konflikte sind vielfältig: Algerien in den 50er, Tschetschenien und Jugoslawien in den 90er Jahren, außerdem der Aufstand in Ungarn 1956 und der Prager Frühling 1968, die beide mit Waffengewalt niedergeschlagen wurden. Überall waren Soldaten im Einsatz, die auch etwas essen mussten.
Dem Krieg im damaligen Jugoslawien nähert sich Cooking History aus gleich drei Perspektiven, unterschiedliche Kochrezepte inklusive. Doch egal auf welcher Seite die Soldaten standen, zeigt der Film eine Gemeinsamkeit: Essen in gigantischen Mengen , vor allem massenhaft Fleisch. Nicht auszudenken, was geschehen wäre, hätte man die hungrigen Soldaten nicht ausreichend versorgt, lautet der Tenor. Die Arbeit der Köche stellt in Cooking History somit manche taktischen oder strategischen Manöver in den Hintergrund. Nicht nur die Liebe, sondern auch Krieg geht durch den Magen.
Peter Kerekes blickt genau hin und versucht beim Nachkochen der Rezepte die Situation im Krieg möglichst originaltreu wiederzugeben. So zeigt er, wie einer Kuh von Soldaten der Kopf abgetrennt wird oder die letzten Minuten im Leben eines Hahns, bevor er als französischer Coq au vin auf dem Feldgeschirr landet.
Cooking History ist grausam, absurd und witzig zugleich. Für die Köche spielt es kaum eine Rolle, auf welcher Seite sie stehen. Das Essen soll auch in Ausnahmesituationen schmecken. Dazu brauchen sie nicht nur Organisationstalent, um die Menge, die sie kochen, zu bewältigen. Sie müssen außerdem den verschiedensten Geschmäckern Rechnung tragen und den kleinsten gemeinsamen Nenner finden. Und aus dieser Perspektive eines Kochs birgt schließlich schon die Verköstigung bei friedlichen Verhandlungen erhebliches Konfliktpotential.
Rezepte aus dem Film „Cooking history“ (Auswahl):
Brot für 18 Millionen deutsche Soldaten
45.000 Tonnen Mehl
25 Hektoliter Wasser
54 Tonnen reguläre Hefe
157,5 Tonnen „Basisteig“
eine Prise Salz
Franz Wienhart
Wehrmachtsbäcker / Schliersee, Deutschland
Paprikasch für 74.000 serbische Soldaten
75 Tonnen Schweinefleisch
50 Tonnen Kartoffeln
3,5 Tonnen Zwiebeln
25 Hektoliter Öl
1600 Kilogramm Vegeta
1240 Kilogramm rote Paprika
eine Prise Salz
Branka Mudrenic und Ankica Pavlovic
serbische Köchinnen im serbischen Bürgerkrieg, Zvecsevo, Kroatien
Pfannkuchen für elf Millionen gefallene russische Soldaten
726 Tonnen glattes Mehl
8.800.000 Eier
5 500 Hektoliter Wasser
6 600 Hektoliter Milch
55 Tonnen Zucker
121 Tonnen Butter
eine Prise Salz
Klavdia Matveevna Lobanova
Russische Köchin während der Leningrader Blockade
Giftiges Brot für 1000 gefangene SS-Offiziere
500 Kilogramm Backmehl
360 Kilogramm Roggenmehl
40 Kilogramm Weizenmehl
265 Liter Wasser
6 Kilogramm Hefe
8 Liter Arsen
1 Prise Salz
Liepke Distel
Der jüdische Bäcker, der das Brot für Kriegsgefangene vergiftete
Gedämpfte Pilze für 500.000 sowjetische Okkupanten
25 Tonnen saubere Pilze
100.000 Lorbeerblätter
200.000 Nelkenpfefferkörner
400.000 Pfefferkörner
5,5 Tonnen Zwiebel, in dünne Scheiben geschnitten
0,5 Tonnen Rettich
440 Kilogramm Kreuzkümmel
320 Kilogramm Senfkorn
200 Hektoliter Essig
500 Hektoliter Wasser
eine Prise Salz
Liudmila Vladimirovna Korneva
Köchin in der sowjetischen Okkupationsarmee in der Tschechoslowakei
Coq au vin für 500.000 französische Soldaten
100.000 Hähne
50 Tonnen Karotten
170 Tonnen Zwiebeln
5,5 Tonnen Knoblauch
200.000 Lorbeerblätter
ein Eimer Thymian, Nelken, Pfeffer und Salz
400 Hektoliter Marc de Bourgogne
200.000 Flaschen roten Burgunderwein
eine halbe Million Baguettes
Jacques Besson und René Bianchi
französische Köche in Algerien