Die Entdeckung der Currywurst
Ein Film erzählt die fiktive Geschichte eines deutschen Fast Foods
Worauf in anderen Ländern niemand stolz wäre, ist in Deutschland Thema einer der berühmtesten Lokalstreitigkeiten. Mit viel Leidenschaft können die Bewohner Hamburgs und Berlin darüber diskutieren, in welcher der beiden Städte ein deutsches Nationalgericht erfunden wurde: Die Currywurst. Dabei ist der Streit keineswegs ein alter. Jahrzehntelang galt als sicher, dass die Currywurst eine Berliner Erfindung sei. Bis im Jahr 2008 Uwe Timms Novelle „Die Entdeckung der Currwurst“ verfilmt wurde.
Die Currywurst bedeutet in Deutschland so etwas wie Volksnähe. In zahllosen Filmen tritt das einzige Fast Food deutscher Herkunft auf, um die Bodenständigkeit der jeweiligen Figur zu unterstreichen. Für den schillerndsten aller Tatort-Kommissare, den Duisburger Horst Schimanski, war sie eine Leibspeise. Und auch der beliebte Kölner Tatort wäre nicht, was er ist, gäbe es nicht das Currywurst-Ritual zum Abschluss jedes gelösten Falls. Die Drehbücher des Tatort mögen also vielleicht erklären, warum neben Hamburg und Berlin noch eine dritte Region in Deutschland Anspruch darauf erhebt, die Currywurst erfunden zu haben: Nordrhein-Westfalen.
Dabei gilt es als sicher, dass es Herta Heuwer war, die zum ersten Mal das simple Gericht aus geschnittener Wurst, einer speziellen Tomatensoße und Currypulver servierte. Die Imbissbudenbesitzerin aus dem Berliner Stadtteil Charlottenburg ließ sich das Rezept in den fünfziger Jahren patentieren. Alle kommerziellen Versuche, das Originalrezept und damit das Patent zu erwerben, sind bislang gescheitert. Die offizielle Version bleibt also: Die Erfinderin der Currywurst war eine Berlinerin.
Eine Geschichte der letzten Kriegstage
Anders die Darstellung in dem Spielfilm Die Entdeckung der Currywurst, der auf einem Buch des deutschen Autors Uwe Timm basiert und eine fiktionale Geschichte über die Erfindung der Currywurst in Hamburg erzählt. Falsch liegt jedoch, wer wegen des Titels eine lockere Geschichte des Fast Foods erwartet.
Es sind die letzten Kriegstage, in denen der Großteil der Handlung spielt und die zunächst einmal gar nichts mit der Currywurst zu tun hat. Die von der hervorragenden Barbara Sukowa verkörperte Lena Brücker begegnet im Hamburg des Zweiten Weltkriegs dem deutlich jüngeren Marinesoldaten Hermann Bremer (Alexander Khuon). Zwischen den beiden entwickelt sich eine Liebesgeschichte, die aus Bremer einen Deserteur macht. Was in Uwe Timms Novelle Hauptthema ist, wird im Film allenfalls subtil angedeutet: Während ihr Mann und ihr Sohn (im Buch sind es zwei Kinder) als Soldaten an der Front kämpfen, erlebt Lena Brücker den Krieg an der so genannten Heimatfront. Essensausgabe, Schutzmaßnahmen vor Bombardierungen und sich als Sittenwächter aufspielende Nachbarn sind Alltag, die propagandistische Wochenschau dessen Höhepunkt. Größer noch als die Angst vor dem, was nach dem Krieg kommt, ist Lena Brückers Einsamkeit. Bremer bietet ihr eine willkommene Ausflucht – und so hält sie bis nach der deutschen Kapitulation das Kriegsende vor ihm geheim.
Zum Teil sehr oberflächlich
Der Film hat viele Schwächen. So kommen kaum Nationalsozialisten vor – und wenn, dann als außerhalb der Gesellschaft stehende Elemente. Extrem problematisch ist, dass der Film den Eindruck vermittelt, die deutschen Durchschnittsbürger hätten erst nach dem Krieg von der Verfolgung der Juden erfahren. Auch die Darstellung der amerikanischen Besatzungsmacht verläuft allzu oberflächlich. Es ist aber ein schön erzählter Plot, der eine Episode der deutschen Geschichte gut einfängt: die unmittelbare Nachkriegszeit. Schlüssig zeigt der Film, wie sich eine Frau nach dem Krieg im neuen System zurechtfinden will und mit dem, was sie im Krieg gelernt hat, ein Geschäft plant: mit der Zubereitung von Essen aus den einfachsten Mitteln.
Schnell durchschaut Brücker die Mechanismen des Schwarzmarkts, der sich in den Wirren der frühen Nachkriegszeit entwickelt. Alte Luxusobjekte wie Pelze und Anzüge tauscht sie ein gegen die wenigen Lebensmittel, die in großen Mengen vorhanden sind: Würstchen, Curry und Ketchup. Wie es schließlich dazu kommt, dass Brücker das Rezept für die Currywurst „entdeckt“, mag plump erzählt sein und ein bisschen grotesk. Wenn man den Film aber als das fiktionale Produkt versteht, das er sein will, bildet die Entdeckung der Currywurst durch Lena Brücker eine schöne Pointe.
Currywurst ist nicht gleich Currywurst
Zum Schluss positioniert sich der Film noch in dem Streit, der sich um die Zubereitung der Currywurst rankt. Imbissbuden bieten im Wesentlichen zwei verschiedene Formen an: Entweder die Currywurst, die auf einer ganz normalen Bratwurst basiert, oder diejenige, die eine Wurst ohne Darm als Grundlage hat. Hinzu kommt die Zubereitung der Soße, die für Currywurstliebhaber ein heikles Thema sein kann. Während die einen es für das einzig Richtige halten, Ketchup über die Wurst zu geben und anschließend Currypulver darüber zu streuen, muss für andere das Currypulver schon vorher in die Tomatensoße eingekocht worden sein. Der Film liefert dafür eine Antwort: Lena Brücker kocht zuerst die Tomatensoße zusammen mit dem Currypulver und gibt sie dann über die Wurst – mit Darm.