Nicht im Abseits bleiben
Seit 1991 arbeitet das Brünner Museum für Roma-Kultur daran, das gegenseitige Verständnis für die gemeinsame Vergangenheit und Gegenwart zwischen Roma-Gemeinschaft und Mehrheitsgesellschaft zu stärken. Mit der derzeitigen Museumsleiterin Jana Poláková sprach jádu-Autorin Ester Dobiášová darüber, wie diese Institution zu einer objektiven Sichtweise auf Roma beiträgt, aber auch über Rechtsextremismus und über die aktuelle Situation der Roma in Tschechien.
Frau Poláková, wie kann man als Museum für Roma-Kultur – außer mit Aufklärung – auf den Rechtsextremismus reagieren?
Jeder Mitarbeiter des Museums trägt ganz sicher mit seiner täglichen Arbeit zum Kampf gegen Rassismus, Extremismus und Fremdenfeindlichkeit bei. Wir nehmen an zahlreichen Diskussionen, Konferenzen, Gesprächen teil und organisieren selbst Workshops, interaktive Programme für Museumsbesucher, Wanderausstellungen und so weiter. Die Teilnahme an verschiedenen Demonstrationen, Kundgebungen und ähnlichen Aktivitäten auf der Basis zivilen Engagements ist die Sache eines jeden Einzelnen als Individuum. Als staatliche Organisation haben wir die Möglichkeit, uns zu bestimmten Aufrufen oder Petitionen zu äußern, die direkt mit unserer Tätigkeit zusammenhängen. Ich gebe aber zu, dass wir das selten tun.
Warum?
Ich überlasse die Entscheidung jedem Einzelnen von uns. Sich im Namen eines Kollektivs von 25 Menschen zu äußern, muss nicht immer bedeuten, für alle zu sprechen. Jeder hat das Recht seine Meinung zu äußern, und ich sehe kein Grund dafür, warum ich in solchen Fällen als Vorgesetzte für den Einzelnen sprechen sollte.
Gibt es eine Zusammenarbeit mit Organisationen, die sich öffentlich gegen Rechtsextremismus engagieren?
Das Museum hat sich als Institution dem antirassistischem Aufruf Nic než názor (auf Deutsch etwa: Nichts als die Meinung) angeschlossen, der vom Verein Sokol Brno I. initiiert wurde. Die Zusammenarbeit erfolgt im Rahmen von verschiedenen Aktionen und Ausstellungen. Selbstverständlich arbeiten wir mehr oder weniger intensiv mit Organisationen zusammen, die sich gegen Rassismus engagieren, zum Beispiel mit der Bürgerinitiative Romea, mit Slovo21, IQ Roma servis und vielen anderen. Gemeinsam organisieren wir unterschiedliche Aktionen und Projekte wie etwa die Feierlichkeiten zum Internationalen Tag der Roma in Brünn, das Internationale Festival der Roma-Kultur Khamoro in Prag und Ähnliches.
Welche stereotypen Vorstellungen über Roma halten sie für am bedenklichsten?
Wenn man „Roma“ sagt, stellen sich viele Leute dunkelhäutige Menschen mit schwarzen Haaren und Augen vor, die nicht arbeiten wollen, von Diebstählen leben und eine Neigung zu kriminellen Handlungen haben. Ein Rom hat demnach mindestens fünf Kinder, die er nicht in die Schule schickt. Er spricht angeblich kein vernünftiges Tschechisch, kann nur vulgär fluchen. Das Einzige, was er ganz gut kann, ist singen und tanzen. Er soll keine Regelmäßigkeit des Alltags kennen, mit Ausnahme des Bezugs der monatlichen Sozialhilfen. Das klingt wirklich unglaublich. Mehr als alle anderen werden Roma über einen Kamm geschert. Die Tschechen haben kaum ein Bewusstsein dafür, dass sie ganz leicht auch in eine solche Situation geraten könnten. Wer kurz nach der Wende in Österreich war, erinnert sich bestimmt an die Schilder in den Geschäften und Kaufhäusern – „Tschechen, klaut hier nichts!“. Ein ähnliches Problem haben die Türken in Deutschland.
Die Mehrheitsgesellschaft ahnt oft überhaupt nicht, wie viele Roma das gleiche Leben wie sie selbst führen. Es gibt hervorragende moderne Künstler, Schauspieler, Wissenschaftler, Journalisten, Schriftsteller oder Lehrer, Ärzte, Sportler… Sie alle – und nicht nur sie – sind Freunde unseres Museums, arbeiten an Ausstellungen und anderen Projekten mit, meistens unentgeltlich oder nur für ein symbolisches Honorar.
Tragen die erwähnten Stereotype maßgeblich zum Anstieg des Rechtsextremismus in Tschechien bei, oder sehen Sie den Ursprung für diese Probleme woanders?
Natürlich, vor allem wenn es nur eine Handvoll Menschen gibt, die auf die Gefahren und den Unsinn dieser Stereotype hinweisen. Die heutigen Probleme in der gegenseitigen Kommunikation und Toleranz sind nicht in den vergangenen 20 Jahren entstanden, sondern haben sich in dieser Zeit lediglich vertieft und verschärft. Anti-Roma-Stimmung und offenes feindseliges Auftreten kommt immer häufiger vor, und ein beträchtlicher Teil der Gesellschaft radikalisiert sich. Meiner Meinung nach ist das jedoch keine Reaktion auf eine Veränderung innerhalb der Roma-Gemeinschaft, sondern es geht vielmehr um einen Ausdruck von Frustration und „Depression“ als Ergebnis der politischen und wirtschaftlichen Entwicklung. Soziale Sicherheiten sind für immer weniger Menschen selbstverständlich, viele haben Zukunftsängste und suchen einfache Lösungen. Rechtsradikale bieten solche vermeintlich einfachen Lösungen an, und viele Bürger übernehmen das vollkommen unkritisch und verinnerlichen es als einzige Möglichkeit. Solange der Staat nur mit Repression reagiert und lediglich als „Feuerwehrmann“ fungiert, drehen wir uns weiter im Kreis. Dafür gibt der Staat erhebliche Mittel aus, die in sinnvoller und wirksamer Prävention viel besser angelegt wären.
Ist das in ihren Augen ein sehr ernstes Problem?
Ja, und falls dieses Problem nicht konzeptionell und gesamtgesellschaftlich gelöst wird, kann es zu Situationen kommen, wie wir sie beispielsweise im Zusammenhang mit den Demonstrationen und Unruhen in Břeclav und České Budějovice (Budweis) erlebt haben. In Břeclav kam es zu romafeindlichen Demonstrationen, als die Nachricht aufgetaucht war, dass mehrere Roma einen 15-Jährigen so verprügelt haben, dass dieser eine Niere verlor. Die Reaktion in Form einer geradezu hysterischen Kollektivschuldzuweisung entspricht genau dem Verhalten einer Masse, die es nicht für nötig hält, die konkreten Schuldigen auszumachen. Diese Masse ist zufrieden, wenn sich eine Gruppe findet, die man als Schuldige benennen und eventuell sofort bestrafen kann. Die Polizei hat dann schließlich festgestellt, dass sich der Junge den Angriff ausgedacht und sich die Verletzungen selbst durch eigenen Leichtsinn zugefügt hatte. In Budweis ist etwas sehr Ähnliches passiert. Ein ganz banaler Spielplatz-Konflikt ist in aggressive romafeindliche Angriffe und Demonstrationen ausgeartet, so dass schließlich die Polizei eingreifen musste.
Wie sähe in ihren Augen eine wirksame Prävention aus?
So viel Papier habe ich gar nicht, wie viel Dinge man aufschreiben könnte, die helfen würden, die Beziehungen zwischen den Volksgruppen zu verbessern. Ich nenne jetzt bewusst nicht nur die Roma, denn in ähnlicher Weise, wie sich die Tschechen den Roma gegenüber verhalten, verhalten sie sich gegenüber Muslimen, Ukrainern, Vietnamesen und so weiter. Ein Schlüsselfaktor ist Bildung, das ist ein ganz eigenes Kapitel. Der Staat bietet sie natürlich an und fordert sie auch ein, es geht aber um die Art und Weise wie er es tut. Wenn das System so aufgestellt ist, dass es möglich ist, dass eine Segregation stattfindet mit Schulen, die einen 95-prozentigen Roma-Anteil haben, dann stimmt irgendetwas nicht. Jede Volksgruppe richtet sich nach mehr oder weniger unterschiedlichen Regeln und Verhaltensnormen. Das Ziel von Multikulturalismus und Minderheitenintegration ist es jedoch nicht, diese Besonderheiten zu unterdrücken, sondern zu lernen, sie zu erkennen und zu nutzen. Und dazu ist unser Schulwesen bis auf Ausnahmen nicht in der Lage. Als erschwerend kommt die Tatsache hinzu, dass alle heute alles sofort haben wollen. Ein Problem, das nicht innerhalb einer Legislaturperiode zu lösen ist, wird so behandelt, als existiere es nicht. Das Problem wird sich schon irgendwie lösen – es wird sich aber nie von alleine lösen. Geduld fehlt auf beiden Seiten – bei der Mehrheit und bei der Minderheit. Und nicht zuletzt ist Aufklärung im wahrsten Sinne des Wortes notwendig. Dass die „normalen“ Menschen nichts über die Kultur und Geschichte der Roma wissen, ist traurig. Dass noch nicht einmal diejenigen davon Ahnung haben, die auf verschiedenen Ebenen den Staat oder die Verwaltung leiten, ist alarmierend. Und dabei gibt es Möglichkeiten, nicht nur in unserem Museum, man muss sie nur nutzen wollen.
Ihre neue Ausstellung „Věřtě – nevěřte“ (auf Deutsch etwa: „Glaubt es – oder auch nicht“) befasst sich mit dem medialen Bild der Roma seit dem 19. Jahrhundert bis heute. In welchem Maße beeinflussen die Medien die aktuelle Situation?
Leider fokussieren sich die Medien in der Regel auf negative Berichterstattung, die durch eine sehr enge, ethnozentristische Perspektive geprägt ist. Fakten werden nicht in ausreichendem Maße geprüft, es wird nicht tiefgehend recherchiert, vielmehr bestätigt man lediglich oberflächliche und auf den ersten Blick sichtbare Wertungen, und manchmal werden ganz bewusst falsche Informationen verbreitet. Ein Beispiel war die Manipulation des Fotos eines aggressiven chinesischen Fans, dessen Aussehen die Redakteure kurzerhand in einen Roma „verwandelten“. Das ist wohl nicht das, was mit Meinungs- oder Pressefreiheit gemeint ist!
Was ist die zentrale Idee, aus der das Museum für Roma-Kultur entstand?
Der Grundgedanke bestand darin, eine Institution zu schaffen, die auf fachkundige Art und Weise die Geschichte und Kultur der Roma dokumentiert.
Worauf wird der zukünftige Schwerpunkt ihrer Tätigkeit liegen?
Einer unserer Schwerpunkte besteht unter anderem darin, die Roma-Öffentlichkeit zu informieren. Wenn ein Mensch seine Geschichte kennt, erhöht sich das eigene ethnische Bewusstsein. Das Museum befindet sich in einem Stadtteil [Bratislavská-Straße, Anm. d. Red.], der Spuren eines Ghettos aufweist, und deshalb ist ein Teil unserer Tätigkeit auch sozialpädagogischer Art. Wir ermöglichen für Roma-Kinder individuelle Nachhilfe, die ihnen bei der Integration in das tschechische Bildungssystem hilft. Wir bieten ihnen auch Freizeitaktivitäten an, mit unseren Mitarbeitern besuchen sie Kulturinstitutionen, Ausflüge werden organisiert. Darüber hinaus bemühen wir uns, durch interessante Projekte mehr Menschen in dieses Viertel zu bekommen. Die Mehrheit hat sehr schlechte Kenntnisse über Roma, die von zahlreichen stereotypen Vorstellungen geprägt ist. Wir versuchen objektiv über die Vergangenheit, aber auch über die Gegenwart zu informieren.