Läppli – der Schweizer Švejk
Im Film „HD-Soldat Läppli“ hat Alfred Rasser 1959 seine schweizerische Version des braven Soldaten Švejk auf der Leinwand präsentiert und damit den bis dahin grössten Schweizer Filmerfolg gelandet. Rasser blieb dabei auffällig nahe am tschechischen Original und beweist: Der Švejk holt seine Lacher auch als Läppli. Vielleicht ist die Schweizer Adaption sogar lustiger – hat dafür weniger Tiefe.
Die Abenteuer des braven Soldaten Švejk (Osudy dobrého vojáka Švejka, 1921-23) von Jaroslav Hašek sind eines der erfolgreichsten und umstrittensten Werke der tschechischen Literatur. Der Roman des umtriebigen Prager Schriftstellers sorgte nicht nur in der Tschechoslowakischen Republik für Echo, sondern war auch über die Landesgrenzen hinaus ein Hit. So schrieben Hans Reimann, Max Brod, Erwin Piscator und Bertold Brecht deutsche Bühnenfassungen. Über Alfred Rasser gelangte der Stoff schließlich in die Schweizer Kulturlandschaft.
Bereits mit sechzehn Jahren hatte sich Rasser 1923 eine kindliche, naive, einfältige und dennoch glückliche Figur ausgedacht, die er Seppli und später Läppli nannte. Diese Figur tauchte wiederholt in Rassers Nummern auf. Den größten Erfolg brachte sie ihm aber erst ab 1945, als er sie mit dem Švejk-Stoff vermengte.
Der K.u.K.-Švejk wird zum helvetischen Läppli
Theophil Läppli wird 1939 in die Schweizer Armee eingezogen. Über die Psychiatrie und die Krankenabteilung kommt Läppli zum Hilfsdienst (abgekürzt HD, daher HD-Soldat Läppli). Läppli wird Oberleutnant Clermont als Ordonnanz zugeteilt. Als Läppli einen geheimen Liebesbrief zu Clermonts Angebeteter bringen soll, kommt es zu einem Skandal und Läppli und Clermont werden versetzt. Auf der Zugfahrt zum neuen Einsatzort muss sich Läppli auf halbem Weg beim Bahnhofvorstand wegen einer gezogenen Handbremse verantworten. Während er dies tut, fährt ihm der Zug davon. Da er weder Geld noch Ausweispapiere bei sich trägt, macht er sich zu Fuß auf die Reise an den neuen Standort seiner Einheit. Über einige Irrwege gelangt er zu seiner Kompanie, amtet als tollpatschiger Telefonist und bringt seine Vorgesetzten fast um den Verstand. Auch das Strafexerzieren (siehe Video) verfehlt seine Wirkung. Läpplis ewiges Grinsen, sein unschuldiger Blick und sein endloses Gerede sind stärker als die Befehlsgewalt und Strenge aller Offiziere.
Die Handlung des Originals spielt in der Habsburgermonarchie während des Ersten Weltkriegs. Rasser machte daraus die Geschichte eines Schweizer Hilfsdienstlers im Zweiten Weltkrieg. Wer Hašeks literarische Vorlage kennt, wird sich bei der obigen Inhaltsangabe zum HD-Soldat Läppli stark daran erinnert fühlen. Ein großer Teil der Szenen ist dem Original entnommen. Teilweise werden Anekdoten und Textpassagen gar wortwörtlich übernommen. Rasser ersetzt lediglich Orte und Namen des Originals durch Schweizer Orte und Namen. Der Karlsplatz wird zum Schützenmattpark und Oberleutnant Makovec zu Oberleutnant Hasenfratz. Der Irrweg, der im Original als „Budweiser Anabase“ von Tábor über Putim und Písek nach Budweis führt, führt bei Läppli von Delémont über Moutier und Laufen nach Porrentruy.
Um dem Schweizer Kontext und Publikum gerecht zu werden, reichen Rassers Änderungen jedoch oft weiter und beginnen bei der Hauptfigur. Während man bei Švejk immer mutmaßen kann, ob er dumm und naiv oder aber schlau und hinterlistig handelt, ist bei Läppli fast durchgehend keine böse Absicht auszumachen. Švejk kämpft gegen ein marodes Staatsgebilde an, in dem sich die Tschechen benachteiligt fühlen. Läppli auf der anderen Seite kämpft „nur“ gewaltlos gegen den Militarismus in der Schweiz an und dies meist zum Amüsement des soldatischen Umfelds – und des Zuschauers. Die politische Dimension des Originals fällt hier weg. Die Schweizer Adaption birgt deutlich weniger Brisanz und Schärfe als das tschechische Original. Dies schlägt sich auch in der Sprache nieder. Die ist bei Hašek etwa in der direkten Rede oft von Beleidigungen geprägt. Die Vorgesetzten beschimpfen Läppli zwar auch, doch die von Hašek verwendete harte Militärsprache mit den obligaten, teils rassistischen Beleidigungen würde dem lustigen, unschuldigen Schweizer Film zuwider laufen.
Läppli als zahme Variante des Švejk
Man kann Theophil Läppli aufgrund der fehlenden bösen Absichten im Gegensatz zum stets zweideutigen, verdächtigen Švejk als „zahme“ Ausgabe der Originalfigur ansehen. Dies trifft allerdings nicht nur auf die Figur, sondern auf das Werk als Ganzes zu. Dem Schweizer Film fehlt im Vergleich zum Original eine ganze „Eskalationsstufe“. Bei Švejk wird geflucht, beleidigt, gesoffen, geprügelt und gestorben. Bei Läppli hingegen laufen die Episoden in einem gezügelten Rahmen ab. Ein Beispiel dafür findet sich in der „Briefmission“:
Die Hauptfigur bringt einen geheimen Brief von seinem Vorgesetzten zu einer Frau, die einem anderen Mann versprochen ist. Švejk geht mit seinem Freund Vodička zu einer Ungarin. Vodička hasst die Ungarn. Am Ende kommt es zu einer riesigen Schlägerei auf offener Straße, wo Tschechen und Ungarn ihrem gegenseitigen Hass freien Lauf lassen. Läppli unternimmt die Briefmission mit seinem Freund Myslin zu Alice Brodbeck, die einem Tessiner versprochen ist. Rasser ersetzt hier die Ungarn als Ethnie durch die Myslin verhassten italienischsprachigen Südschweizer. Schließlich kommt es im Hauseingang zur Konfrontation, die allerdings sehr gesittet von statten geht. Man sieht kindliche Drohgebärden aber keinen echten Kampf. Außer Läppli, Myslin und dem Tessiner ist niemand in den Konflikt involviert. Aufgelöst wird die Szene durch das Eintreten des Vaters von Alice Brodbeck, einem hohen Offizier, der Läppli und Myslin in den Arrest steckt, ohne dass es zu ernstzunehmenden Handgreiflichkeiten gekommen wäre. Die Szene erinnert bei Hašek an Straßenkampf, bei Rasser an einen Streit um Süßigkeiten.
Der Krieg ist weit weg
Und die Konsequenzen? Oberleutnant Lukáš und Švejk werden nach Budweis versetzt, wo die Marschbataillone für die Front gebildet werden. Die Folgen, die diese Versetzung beinhalten kann, sind offensichtlich und beängstigend. Die Versetzten scheinen dem Tode geweiht. Oberleutnant Clermont und Läppli hingegen werden lediglich nach Porrentruy versetzt, damit sie die Tochter des hohen Offiziers nicht mehr belästigen. Der Krieg ist weit weg, die Angst vor Front und Tod, die im Švejk mitschwingt, fehlt völlig. Die Androhung von Frontdienst funktioniert in der neutralen Schweiz des Zweiten Weltkriegs nicht und wird daher weggelassen. Der Krieg bildet den Hintergrund zur Handlung und ist dennoch kaum spürbar. Nur das Militär, seine Strukturen und Standesregeln sind vorhanden.
Mit all diesen abschwächenden Elementen funktionierte und funktioniert HD-Soldat Läppli in der Schweiz wunderbar als unschuldige Militärsatire, die sich nicht wie im Original gegen eine Staatsform stemmte, sondern sich gegen den Militarismus und das überhebliche Gehabe einiger Offiziere aussprach, indem es diese lächerlich machte. Das Publikum war begeistert und machte den Film nicht nur zu Rassers größtem Erfolg, sondern zum größten Erfolg des damals noch jungen Schweizer Kinos überhaupt.