Brich das Pferd!

Foto: © David KonečnýFoto (Ausschnitt): Marcus Pink, CC BY 2.0
Foto (Ausschnitt): Marcus Pink, CC BY 2.0

Kann man mit Schachkünsten Frauen beeindrucken? Der leidenschaftliche Schachspieler Pavel Tomeš erklärt den Zauber seines Sports und räumt mit Vorurteilen gegenüber den „stillen Wahnsinnigen“ auf.

Es heißt, Schach sei das Spiel der Könige. Aus eigener Erfahrung kann ich aber sagen, dass man nicht gerade für einen King gehalten wird, wenn man beim ersten Date ein Schachbrett auspackt und sich mit dem toll geführten Matt-Angriff aus der letzten Partie brüstet. Es gibt zwei Arten von Reaktionen, wenn man jemandem sagt, man sei Schachspieler. Entweder geht das Gegenüber weg (meistens tun dies gerade Frauen), oder aber die Augen beginnen zu leuchten und es kommen Fragen. Seitdem ich Schach spiele, habe ich von denen, die es nicht spielen, viele Fragen gestellt bekommen. Es sind immer wieder dieselben, also werde ich sie nun ein für alle mal beantworten.

• Was, du spielst echt Schach? Ich kenne ja nur die Grundregeln. Machen wir ein Spielchen?

Nein.

• Schach, ja? Dabei kommst du wohl nicht wirklich außer Atem, oder?

Vorsicht! Schach ist ein körperlich anstrengender Sport. Nie habe ich so sehr geschwitzt, nie hat mir so das Herz geklopft, nie habe ich es länger ausgehalten, nicht aufs Klo zu gehen, nie habe ich einen größeren Teamgeist erlebt, nie habe ich bei etwas eine größere Euphorie empfunden, nie habe ich mich so sehr aufgeregt wie beim Schachspielen.

Foto (Ausschnitt): Liam McHenry, CC BY 2.0
Vorsicht! Schach ist ein körperlich anstrengender Sport. Foto (Ausschnitt): Liam McHenry, CC BY 2.0

• Sport? Du machst Witze?!

Schach ist ein Sport, der seine eigene Olympiade hat und bei dem sich ein 80-jähriger Opa und ein 10-jähriger Junge einen ausgeglichenen Zweikampf liefern können. Einen Kampf um Leben und Tod, der mit Kindertränen oder einem Infarkt endet.

• Was macht dir daran Spaß?

Eine Frage, die nur jemand stellen kann, der nie Schach gespielt hat. Aber gut: Was gefällt mir daran? Dass du dir jemanden, der dir schon vom Anblick her unsympathisch ist, allein durch die Kraft deines Gehirns langsam zurechtlegen und dann vollkommen in Stücke reißen kannst, ihn so in die Pfanne hauen, dass er das einen Monat lang nicht vergisst.

• Was ist an diesem Sport das Schwierigste?

Dass du von jemandem, der dir schon vom Anblick her unsympathisch ist, allein durch die Kraft seines Miniarturgehirns langsam zurecht gelegt und dann vollkommen in Stücke gerissen wirst, so in die Pfanne gehauen, dass du das einen Monat lang nicht vergisst. Und dann lacht er dich auch noch aus, weil du angeblich spielst wie ein Nachtwächter. Oder dass dir irgendein kleiner Junge, ein sogenanntes „Talent“, eine schallende Niederlage beibringt. Oder ein scheußliches, dickes Mädchen.

Foto (Ausschnitt): Club de ajedrez Linex Magic, CC BY 2.0
Sogenannte „Talente“? Foto (Ausschnitt): Club de ajedrez Linex Magic, CC BY 2.0

• Gehören zu diesem Sport auch irgendwelche Verletzungen?

Manchmal „stolpern“ diese kleinen, frechen Talente, die ältere Schachspieler besiegen, irgendwo auf dem Weg zum Klo und flennen dann. Die meisten Verletzungen erfahrener Schachspieler passieren aber erst nach dem Turnier oder nach der Partie: in der Kneipe, bei sogenannten Blitzpartien. Meistens handelt es sich dabei um verstauchte Handgelenke vom Hauen auf die Schachuhren, Schnitten in den Händen von zerbrochenen Bierkrügen oder um Alkoholvergiftungen.

• Wofür sind die Schachuhren gut?

Es sind spezielle Uhren, die die Zeit für eine Partie messen und die unter Schachspielern viel verliehen, aber selten zurückgegeben werden. Jeder Schachspieler hat zu Hause ungefähr 15 davon, verschiedenen Typs, mit verschiedenen Namensschildchen und Wappen von Schachvereinen und Aufklebern mit der Aufschrift „Nicht klauen!!!“.

Foto (Ausschnitt): Ludovic Bertron, CC BY 2.0
Verletzungsgefahr: verstauchte Handgelenke vom Hauen auf die Schachuhren, Foto (Ausschnitt): Ludovic Bertron, CC BY 2.0

• Wie lange dauert so eine Schachpartie?

Eine Schachpartie kann einige Sekunden, aber auch einige Jahre dauern. Letzteres zum Beispiel im Fall des sogenannten Fern- oder Korrespondenzschachs, das per Post gespielt wird und bei dem jeder Spieler etwa eine Woche Zeit haben kann, um seinen Zug zu machen. Der Gegenspieler kann also während einer Partie zweimal seinen Job wechseln, sterben oder sogar heiraten, was meistens das definitive Ende der Schachkarriere bedeutet.

• Das ist schade, dass wir hier kein Schachspiel haben, um eine Partie zu spielen.

Wenn du Schach spielen kannst, brauchst du weder ein Schachbrett noch Figuren. Jeder durchschnittliche Schachspieler ist in der Lage, Schach auch „blind“ zu spielen. Beim Blindschach sagt man seine Züge dem Gegner nur, ohne dass man auf ein Schachbrett schaut. Die Partie stellt man sich nur vor. Im Zug haben wir damit manchmal vor Mädchen geprahlt, die davon so beeindruckt waren, dass sie erschrocken das Weite gesucht haben. Schachgroßmeister sind in der Lage mehrere Blindschachpartien gleichzeitig zu spielen.

Foto (Ausschnitt): Lloyd Morgan, CC BY-SA 2.0
Der Springer: die wertvollste Figur im Schach, Foto (Ausschnitt): Lloyd Morgan, CC BY-SA 2.0

• Welches ist die wertvollste Figur im Schach?

Überraschenderweise ist dies weder der König noch die Dame. Es ist das Pferd: der Springer. Genauer gesagt der Springer in einem Stück. An dieser Figur bricht nämlich oft etwas ab. Schachspieler bringen die zerbrochenen Springer aus ihren eigenen Figurensätzen mit auf Turniere, wo sie sie in einem günstigen Moment unbemerkt gegen unbeschädigte Springer austauschen. Am seltensten ist ein Springer aus Massivholz. Den zu zerbrechen, schaffen nur die erfahrensten Schachspieler.

Den Springer hat auch der Internationale Schachverband FIDE in seinem Logo. Darunter steht der Leitspruch aller Schachspieler: „Gens una sumus“. Das übersetzen Schachspieler frei mit „Brich das Pferd | Brich den Springer!“.

• Über Schachspieler sagt man, sie seien stille Wahnsinnige...

Einem stillen Wahnsinnigen bin ich unter Schachspielern noch nie begegnet. Wohl aber vielen lauten Wahnsinnigen, die mehrere Stunden über die Analyse einer Partie streiten können, oder die eine Blitzschachpartie bis in die frühen Morgenstunden spielen, dabei mehrere Schachuhren und Stühle zerstören, viel trinken, lachen und singen. Quartiert euch mal im Hotel neben dem Zimmer eines Schachspielers ein, und ihr werdet sehen, ob ihr neben einem solchen stillen Wahnsinnigen Schlaf findet.

Pavel Tomeš kommentiert eine Schachpartie.

• Was ist die größte Qual für einen Schachspieler?

In Filmen jemanden Schachspielen zu sehen. Meistens stehen die Figuren auf dem Schachbrett in völlig unsinnigen Stellungen, über die sich die Schauspieler dramatisch den Kopf zerbrechen während sie gleichzeitig über den Sinn des Lebens philosophieren. Dann macht einer von beiden mit pathetischem Gesichtsausdruck einen völlig unsinnigen Zug und sagt: „Schach!“ Und der zweite schaut nur verächtlich, macht mit dramatischer Geste einen weiteren völlig unsinnigen Zug und sagt: „Matt!“ Das ist ungefähr so, als würde beim Fußball jemand statt des Balls seinen Mitspieler treten, woraufhin dieser sich sein Trikot vom Leib reißt und „Tooooor!“ schreit.

• Woran erkenne ich eigentlich einen Schachspieler?

An der Plastiktüte, die er auf dem letzten Turnier gewonnen hat. Darin sind ein Kugelschreiber, ein angebissener Apfel, eine Schachuhr mit der Aufschrift „Nicht klauen!!!“ und ein nagelneuer Springer.

Pavel Tomeš
Übersetzung: Patrick Hamouz

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Juli 2016

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