„Den Konflikt bewahren“
Die Künstlergruppe Rafani beschäftigt sich in ihrem Schaffen bereits seit 13 Jahren vor allem mit sozialen und politischen Fragen der tschechischen Gesellschaft. Dabei geht es um Grenzsituationen, die es nicht ermöglichen, einen eindeutigen Standpunkt zu beziehen. Die Künstler selbst sagen, ihr Ziel sei „eine Zukunft mit einer höheren Qualität des Menschentums“. Marek Meduna (40) ist einer der Rafanis. Wir sprachen mit ihm über seinen Blick auf die tschechische Demokratie und einige Aktionen der Künstlergruppe.
Herr Meduna, auf welche Art und Weise äußern Sie ihren Standpunkt zur tschechischen Politik?
Jeder Rafani bekleidet mehrere Rollen, im Übrigen wie jeder von uns, da wir unsere Meinung als Bürger ganz gewöhnlich artikulieren: beispielsweise bei Wahlen, indem wir Petitionen unterschreiben, an Demonstrationen teilnehmen und so weiter. Als Künstler drücken wir uns durch Kunst aus. Diese begreifen wir implizit als politisch und konstitutiv für das Bild dieser Gesellschaft. Deshalb ist unser Ansatz verantwortungsvoll und dialektisch – wir versuchen nicht, die Kanten der einzelnen Seiten abzuschleifen, sondern bemühen uns eher, sie gegeneinander (neben, zu sich) zu stellen und diese Spannung funktional zu nutzen. Wir wollen den Konflikt bewahren und ihm gleichzeitig bestimmte Grenzen und eine Funktion geben. Wir versuchen uns frei, verantwortungsvoll und öffentlich zu äußern. Damit setzen wir Demokratie praktisch voraus und testen gleichzeitig die Gültigkeit dieser Voraussetzung.
Wie nehmen Sie den aktuellen Zustand der tschechischen Demokratie wahr, hat sich seit 2001 [In diesem Jahr fand die Ausstellung „Demokratie“ der Gruppe Rafani statt, Anm. d. Red.] etwas Wesentliches verändert?
Es ist seitdem gewiss zu einigen Veränderungen gekommen, aber wir haben nach wie vor die gleiche Verfassung – sicherlich hat sich deren Anwendung verändert, etablierte Mechanismen wandeln sich, Wertmaßstäbe ebenfalls und so weiter. Ich persönlich glaube, dass sich die Dinge im Laufe der Zeit eher zum Besseren verändern. Demokratie begreife ich als ziemlich konfliktträchtiges System, in dem der Ruf nach Ruhe und Ordnung doch recht beklemmend klingt. Mir fehlt aber immer mehr die Betonung der Ethik, ein Ethos dieser Republik – so sehr mich auch früher die Betonung moralischer Aspekte und der Verantwortung beispielsweise bei Václav Havel störte. Wenn ich von mir ausgehen kann, so hat die erhöhte Sensibilität gegenüber dem Moralisieren im großen Maße die ethischen Fragen aus dem künstlerischen, aber auch politischen und medialen Diskurs verdrängt, was oft zu Alibismus und Kleingeistigkeit führt. Wer ohne Schuld ist, der werfe den ersten Stein.
Sie sprechen von einem „konfliktträchtigen“ System. Welches andere politische System wäre ihrer Meinung nach ideal?
Das existiert natürlich nicht, genauso wenig wie es einen idealen Menschen gibt. Das Ideal ist lediglich eine Projektion, eine Sehnsucht, die uns irgendwohin weiter führt. Mit der Demokratie bin ich zufrieden, mit ihrer tschechischen Variante allerdings weniger.
Was stört Sie konkret an der gegenwärtigen tschechischen Demokratie?
Mich stört die Gleichsetzung von Republik und Nation – mich beunruhigt dieser häufige TV-Moderator-Spruch, die Sendung schaue die gesamte Nation. Ich finde es merkwürdig, dass sich das Staatliche Denkmalamt in Nationales Denkmalamt umbenennt… Ähnliches passiert beispielsweise beim Projekt der Suche nach einer tschechisch-roma-Flagge von Tomáš Rafa. Auch dort kommt es zur Vermischung und Verwechslung von Staatlichkeit und Nationalität – die tschechische Fahne ist somit nicht Symbol des tschechischen Staates, sondern auch der Nation.
Wo sehen Sie das Problem?
Mir ist eine Staatsidee unsympathisch, die sich über Nationalität, über eine Sprache definiert. Viel näher ist mir ein Konzept, dass sich über ein Territorium, über Kultur, Symbolik definiert… Ich habe das Gefühl, dass die Idee der Nation im Gegensatz zur Idee des Staates in gewisser Weise ausschließenden Charakter hat.
Worauf wollten sie bei der Ausstellung „Demokratie“ (2001) oder der Performance „Demonstration der Demokratie“ (2002) aufmerksam machen?
Ich denke nicht, dass wir auf etwas aufmerksam machen wollten. Wenn das unsere Absicht gewesen wäre, wäre das genauso, als wenn wir uns bemühen würden, die Aufmerksamkeit des älteren Bruders (der breiten – fernsehgeprägten? gleichgültigen? in der Kunst ungebildeten? – Öffentlichkeit) auf etwas zu lenken, das wir ausgesucht haben. Da wir allerdings nicht die Absicht haben, die so genannte breite Öffentlichkeit zu personifizieren, kann man wohl sagen, dass ein Merkmal dieser beiden Aktionen die Betonung der Demokratie und ihrer Grenzzonen war.
Was kann man sich unter diesen Grenzzonen vorstellen?
Zum Beispiel eine Demokratie, wo die Freiheit zynisch wahrgenommen wird oder wo der Begriff der Gleichheit von geschickten Populisten vereinnahmt wurde, wo der Sinn der Wörter inhaltlich entleert wird, wo unser alltägliches Verhalten den Blick auf das Ganze trübt.
Haben sie das erreicht, was sie erreichen wollten? Welche Resonanz hatten diese Aktionen?
Wir denken, dass wir unser Ziel nur teilweise erreicht haben – hier und dort hätte an der Choreographie der Performance oder am Begleittext gefeilt werden können; man kann also vielleicht sagen, dass beide Aktionen relativ, aber nicht absolut gelungen sind. Was die Resonanz auf unsere Arbeit angeht, so bewerten wir sie nicht. Wir sammeln weder Medienreaktionen noch versuchen wir sie irgendwie zu analysieren. Natürlich lesen wir die Rezensionen, aber aus der Position der Bewerteten fällt es uns schwer, sich auf diese Bewertungen zu beziehen. Unsere Tätigkeit reflektieren wir fortlaufend, und zwar auf der Grundlage mehrerer Einflüsse: Gespräche mit Freunden und Künstlerkollegen, das innere Gefühl, Vergleiche mit den nachfolgenden Aktionen und mit Werken von Kollegen, Berücksichtigung unserer eigenen Meinung sowie zeitgenössischer intellektueller Moden, medialer Reflexionen, Fachrezensionen und so weiter.
Wie wichtig ist Feedback für sie?
Am glücklichsten sind wir, wenn der Autor des Artikels oder der Rezension unsere Ausstellung zum Anlass nimmt, eigene Gedanken zu entwickeln, wenn sich in dem Text etwas abspielt, was über unsere eigene Betrachtung des Problems hinausgehen kann. Dabei ist es egal, ob wir in der konkreten Rezension positiv oder negativ bewertet werden. Wir sind dankbar, wenn die Rezension nicht nur eine formale Beschreibung ist oder die üblichen Medienklischees und Verkürzungen beinhaltet. Wenn sie also Position bezieht, polemisch und argumentierend ist.