Ein Keller Tschechien in Wien
Die Wiener Kneipe Nachtasyl war Ende der 1980er Jahre der Zufluchtsort vieler Exil-Tschechen und Unterzeichner der Charta 77. Dort ließen sie den tschechoslowakischen Underground weiterleben.
„In Wien wurde die Exil-Zeitung Paternoster herausgegeben und wir brauchten einen Ort, wo wir uns treffen konnten. Ich habe die Räume gemietet und das Nachtasyl ist entstanden.“ So einfach ist laut Gründer und Besitzer Jiří Chmel die Entstehungsgeschichte eines der legendärsten Clubs in Wien. Hinter dieser Kneipe steckt jedoch viel mehr. Es ist ein Stück tschechoslowakischer Geschichte, das im Nachtasyl gelebt wurde und auch heute immer wieder auflebt.
Jiří Chmel saß 18 Monate in der Tschechoslowakei im Gefängnis. Er hatte in seiner Heimat längere Zeit im Underground gelebt und die Charta 77, die Petition gegen die Menschenrechtsverletzungen des kommunistischen Regimes der Tschechoslowakei, unterzeichnet. Als er entlassen wurde, lief gerade die Staatssicherheitsaktion Asanace. Mit dieser Aktion sollte die Bewegung der tschechoslowakischen Aktivisten zerschlagen werden. Es drohten hohe Strafen. Regimegegner mussten psychischen und zum Teil auch physischen Druck erleiden. Viele Angehörige des kulturellen Undergrounds wurden zur Ausreise gezwungen, ihr Pass wurde ihnen weggenommen.
So auch im Fall von Jiří Chmel.1982 kommt er mit seiner Familie nach Wien. Er arbeitet zuerst als Werkzeugmacher in einer kleinen Firma, ehe er am 1. September 1987 das Nachtasyl gründete und Kneipenbesitzer wird.
Für viele die wahre Attraktion Wiens
Jiří Chmel hat einen Wettbewerb in seinem Freundeskreis ausgerufen, er wollte einen originellen Namen für seine Kneipe. Gewonnen hat die Idee eines Emigranten, der in der Schweiz Zuflucht gefunden hatte. „Das ‚Asyl‘ im Namen war für unsere einfach Situation passend“, sagt Chmel. Immerhin sei die Mehrheit der Gäste nicht ganz freiwillig nach Österreich gekommen.
Das Nachtasyl entwickelte sich schnell zu einem legendären Club in Wien, zu einem Treffpunkt der Exil-Tschechen in Wien und zu einem Ort, an dem der tschechoslowakische kulturelle Underground weiterlebte. Viele bekannte Exilmusiker wie etwa Karel Kryl, Svatopluk Karásek oder Vlastimil Třešňák traten auf, Maler konnten ausstellen, Lesungen wurden abgehalten. Unter den Stammgästen waren etwa der Schriftsteller Pavel Kohout und auch der spätere tschechische Außenminister Karel Schwarzenberg. „Das Nachtasyl war bei den Exil-Tschechen in ganz Europa bekannt“, sagt Chmel. Er ist stolz darauf, dass seine Kneipe für viele die wahre Attraktion der österreichischen Hauptstadt ist. „Wer nicht im Nachtasyl spielte, existierte nicht“, brachte es Vlastimil Třešňák 2010 in einem Interview für das ZDF auf den Punkt. Třešňák selbst spielte 1987 das Eröffnungskonzert in dem Kellerlokal.
Nach der Wende 1989 kamen Bands des tschechischen Undergrounds nach Wien – und traten natürlich im Nachtasyl auf. Jiří Chmel nennt die Plastic People of the Universe, DG 307 oder Psí vojáci. Österreichische Bands aus der alternativen Szene wurden ebenso eingeladen. Nachdem in den 1990er Jahren viele Tschechen in ihre Heimat zurückkehrten, sei heute „die Mehrheit der Gäste aus Österreich, Tschechen kommen nur mehr vereinzelt“.
Manchmal ist es noch wie damals
Aus dem politischen Ort ist eine Kneipe geworden, die eine bunte Mischung aus Professor, Punk, Student und Künstler beheimatet. „Tschechische Studenten kennen das Nachtasyl oft aus Erzählungen und freuen sich über die billigen Preise“, sagt Chmel. Das Publikum hat sich zwar geändert, die Einrichtung ist noch dieselbe wie im Jahr 1987.
Für Chmel ist das Nachtasyl heute ein Ort, an dem er tschechische Kultur präsentieren kann. Im Tagasyl, das er im selben Gebäude ebenerdig 1993 eröffnete, finden regemäßig Ausstellungen statt. Tschechische (Underground-)Bands treten im Kellergeschoß noch immer auf, wenn auch in unregelmäßigen Abständen. „Das ist dann wie damals – und die Kneipe ist voller Tschechen und Freunde.“