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„Blutsauger“, Julian Radlmaier
Das Blut des Proletariats

Filmstill „Blutsauger“
Filmstill „Blutsauger“ von Julian Radlmaier, 2021 | © faktura film

Die „marxistische Vampirkomödie“, die in der Sektion Encounters der Berlinale 2021 Premiere feierte, ist der dritte Spielfilm des Regisseurs.
 

Von Miguel Muñoz Garnica

Eine der bekanntesten Anekdoten aus dem filmischen Werk von Sergei Eisenstein handelt vom Auftritt der Figur Leo Trotzkis in Oktober, der Auftragsarbeit, die er zum zehnten Jahrestag der russischen Revolution drehen sollte. Mitten in den Dreharbeiten fiel Trotzki beim stalinistischen Regime in Ungnade, und der Regisseur wurde angewiesen, die Figur Trotzki komplett herauszuschneiden, obwohl er bereits mehrere Szenen mit ihm gedreht hatte. So wurde der Schauspieler, der den sowjetischen Politiker verkörpert hatte und zu einem Star hätte werden können, aus dem Film herausgeschnitten, und nicht einmal sein Name wurde jemals bekannt gegeben. Laut Eisensteins Aussagen wissen wir über ihn lediglich, dass er „eine Art Zahnarzt“ war. Und in dieser mysteriösen Figur des namenlosen Schauspielers liegt nun die kreative Keimzelle von Blutsauger.

Vampire und ein falscher Aristokrat

Radlmaier war fasziniert von dieser Geschichte, als er seinen Film über einen russischen Protagonisten namens Lyovuschka (Alexandre Koberidze) geschrieben hat, in dem er sich vorstellt, was dieser ausradierte Darsteller Trotzkis für ein Mensch gewesen sein könnte. In Blutsauger kommt Lyovuschka nach Deutschland und gibt sich als ein von den Kommunisten verfolgter Adeliger aus, um Geld für ein Ticket in die Vereinigten Staaten zu bekommen und sein Glück als Schauspieler in Hollywood zu versuchen. Doch er bleibt in einem kleinen Küstenstädtchen hängen und beginnt eine Beziehung mit Octavia (Lilith Stangenberg), der Millionärin und frivolen Besitzerin einer örtlichen Fabrik. Zu allem Überfluss wird die Stadt von einer Vampirplage heimgesucht, die auf Octavia als Hauptschuldige hindeutet – obwohl der Adel darauf beharrt, dass es sich um eine Epidemie handelt, die durch die mangelnde Hygiene der Arbeiter ausgelöst wurde.

Filmstill „Blutsauger“ Filmstill „Blutsauger“ von Julian Radlmaier, 2021 | © faktura film

Gegen die „Goldenen Zwanziger“

So entsteht in Blutsauger eine markante Mischung einer marxistisch aufgeladenen Erzählung, phantastischer Vampirgeschichte, Spuren von absurder Komik und einem unkonventionellen zeitlichen Setting. Obwohl der Film in den 20er Jahren angesiedelt ist, versieht Radlmaier den Schauplatz und die Kostüme mit anachronistischen Elementen, die den Repräsentationscharakter von allem, was wir sehen, offen zur Schau stellen und jeden Anflug von nostalgischer Idealisierung vermeiden. Bei all dem geht es dem deutschen Regisseur insbesonderedarum, eine bitterböse Perspektive auf den Klassenkampf und die Desillusionierung infolge der Russischen Revolution zu vermitteln. Die Hauptinspirationsquelle sind die Texte von Karl Marx selbst. Nicht umsonst entnimmt Radlmaier den Vampiraspekt einem wörtlichen Zitat aus Das Kapital, welches den Kapitalisten als Blutsauger definiert, und behauptet, nicht einmal Bram Stokers Dracula gelesen zu haben. Daher rühren die höchst intellektuellen Züge, die sein filmischer Ansatz zum Ende hin annimmt – trotz seines trügerischen spielerischen Anstrichs.
 

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