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Zorn und Stille

Ein autobiographisch gefärbter Roman, der das Auseinanderfallen einer Familie im Kontext des auseinanderfallenden Jugoslawien beschreibt. Ein Roman über weibliche Emanzipation, deutsche Familienbiografie und illegitime Erben. Und ein außergewöhnlicher Psychothriller, der da beginnt, wo andere enden: bei der Flucht einer jungen Frau.

Von Isabella Caldart

Buchcover Zorn und Stille © Hoffmann und Campe Sandra Gugić – Zorn und Stille

Ein Land, das zerbricht, eine Familie, die zerbricht. Nach vielen Jahren der Funkstille ist Billy Bana jetzt, da der Vater in Serbien verstorben ist, mit ihrer Familiengeschichte konfrontiert. Billy heißt eigentlich Biljana Banadinović, einen Namen, den sie lange abgelegt hat. Doch während es leicht ist, in einen neuen Namen zu schlüpfen, kann sie dadurch noch lange nicht der eigenen Vergangenheit entkommen. Diese Vergangenheit, das sind ihr kleiner Bruder und ihre Eltern Sima und Azra. Zunächst aus der heutigen Sicht Billys, später auch aus der von Azra im Jahr 2008 und der von Sima im Jahr 1999 geschildert, setzt sich die Geschichte mosaikartig zusammen, zeigt durch die verschiedenen Perspektiven, wie viel Schaden Missverständnisse, Misskommunikation und die daraus resultierende Enttäuschung anrichten können und dass es nicht die eine Wahrheit gibt.

Zorn und Stille von Sandra Gugić ist ein Buch über innerfamiliäre Konflikte, erzählt vom Unverständnis, aber auch von der Liebe, die überdauert. Ebenso wie ein Familienroman ist Zorn und Stille auch ein politischer Roman. Denn diese auseinanderfallende Familie ist nicht zu verstehen ohne das auseinanderfallende Jugoslawien, den Krieg, der alles durchzieht, und die Frage, was Heimat eigentlich ist. Nicht nur Serbien, auch Österreich spielt dabei eine wichtige Rolle, indem Gugić mehrere Jahrzehnte politische und gesellschaftliche Ereignisse subtil in die Handlung einfließen lässt. Trotz einer leisen Wut ist dieser poetische Roman frei von Anklage. Der Zorn verblasst, die Stille bleibt.

Sandra Gugić – Zorn und Stille, Hoffmann und Campe, 2020, 240 Seiten in der Bibliothek und in der Onleihe

Buchcover Junge Frau, am Fenster stehend... © dtv Alena Schröder – Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid

Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid steht auf einem auf 1950 datierten Schriftstück, das Hannah in der Hand hält, ein Schriftstück, das auf ein verschollenes Kunstvermögen verweist, Hannahs potentielles Erbe. Ihre letzte lebende Verwandte, ihre 94-jährige Großmutter Evelyn, will nicht über die Vergangenheit reden, auch nicht über die Kunstwerke. Hannah recherchiert: Die Gemälde, die von den Nazis enteignet wurden, gehörten einst Evelyns Mutter Senta und ihrem Mann Itzig. Itzig allerdings war Sentas zweiter Ehemann, Hannahs leibliche Familie ist nicht jüdisch. Somit steht sie vor der Frage: Wie umgehen damit, dass sie die Erbin dieser Bilder ist, selbst aber keine jüdischen Wurzeln hat?

Parallel zu Hannahs Handlungsstrang wird in Alena Schröders Debütroman die Geschichte von Senta geschildert, die ihre Tochter Evelyn in Mecklenburg zurücklässt, um im Berlin der 1920er- und 1930er Jahre ein unabhängiges, freies Leben zu führen. Evelyn wächst bei ihrer Tante auf, die privat zwar liebevoll und fürsorglich ist, sich aber zu einer glühenden Anhängerin der Nazis entwickelt. Ein Konflikt, den Evelyn ihr Leben lang mit sich tragen wird. Multiperspektivisch und mit Anklängen an Autorinnen wie Irmgard Keun erzählt Schröder von weiblicher Emanzipation, deutschen Familienbiografien und illegitimen Erben, exzellent recherchiert und warmherzig geschildert – alles, was man sich von deutschsprachiger Gegenwartsliteratur wünscht.

Alena Schröder – Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid, dtv, 2021, 368 Seiten in der Bibliothek und in der Onleihe

Buchcover Liebes Kind © dtv Romy Hausmann – Liebes Kind

Nach einem Autounfall wird eine junge Frau wird ins Krankenhaus eingeliefert. Die Unbekannte hat eine erstaunliche Ähnlichkeit mit der vor 14 Jahren verschwundenen Lena, sie nennt sich auch so. Doch schnell stellt sich heraus: Das ist nicht Lena. Aber wer ist diese anonyme Frau dann? Und was hat sie mit Lena zu tun? Jasmin, wie diese „falsche Lena“ heißt, lebte bis dato mit ihren zwei Kindern in einer abgeschotteten Waldhütte, deren Fenster vernagelt sind, der Toilettengang ist überwacht, die Kinder werden, wenn sie schlafen, in Zimmer eingeschlossen – ein Mann kontrolliert das gesamte Leben dieser kleinen Familie.

Erzählt in vielen Rückblenden wird die Handlung von Romy Hausmanns Liebes Kind aus der Perspektive von Jasmin, ihrer Tochter Hannah, erstmals der Waldhütte entkommen, und dem Vater der echten Lena, der um sein Kind trauert, aufgerollt. Ein außergewöhnlicher Psychothriller, der da beginnt, wo andere enden: Bei der Flucht der jungen Frau. Die Geschichte in Liebes Kind ist dabei ein raffiniertes Spiel mit Realität und Illusion. Was ist die Wahrheit, was stellen sich Kind und Mutter vor und wer behaupten sie zu sein? Ein packender Krimi, der wochenlang auf der Spiegel-Bestsellerliste stand und auch international Erfolg feierte: Liebes Kind wurde auf Englisch übersetzt, was bei deutschsprachiger Literatur selten geschieht. Und sogar die Filmrechte sind verkauft!

Romy Hausmann – Liebes Kind, dtv, 2019, 432 Seiten in der Bibliothek und in der Onleihe

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