Lesetipps für den Sommer

Drei Lesetipps von Ela Meyer - drei Bücher, die sich alle wunderbar leichtgängig lesen, auch wenn sie sich auf unterschiedliche Weise mit dem Thema Gewalt auseinandersetzen:
Tijan Sila schreibt in „Radio Sarajevo“, wohl über die drastischste Form der Gewalt, über den Krieg, den er selbst als Kind und Jugendlicher in Sarajevo miterleben musste. Terézia Mora lässt uns mit ihrer Protagonistin Muna in dem Roman „Muna oder die Hälfte des Lebens“ in die Tiefen einer toxischen Beziehung blicken. In Verena Güntners Roman „Power“ begleiten wir die elfjährige Kerze in den Wald auf der Suche nach einem Hund, während sich im Dorf die bisher eher subtil zu Tage tretenden Hierarchien und Aggressionen Bahn brechen.
Ela Meyer ist Autorin des Romans Es war schon immer ziemlich kalt. Sie lebt in Barcelona.

Radio Sarajevo

Der zehnjährige Tijan lebt mit seiner Familie in Sarajevo, als dort im April 1992 der Krieg ausbricht.

Während die Welt um ihn explodiert, muss er lernen, mit dem Horror und den Einschränkungen, die der Krieg mit sich bringt, umzugehen. Die Lebensmittel werden immer knapper, Tijan hört gern Musik, doch gibt es weder Strom noch Batterien für sein Radio. Nachdem die Schule schließt, hat er kaum noch Gelegenheit, der Enge der Familie und des Wohnblocks zu entkommen. Überall lauert die Gewalt: in Gestalt von Heckenschützen und Luftangriffen, zu Hause beim schlagenden Vater, in der improvisierten Schule. Der neue Lehrer entpuppt sich als Sadist, was niemanden interessiert, denn gemessen am Grauen des Krieges ist die Gewalt des Lehrers in den Augen der Eltern banal. Statt zur Schule zu gehen, sucht Tijan gemeinsam mit seinen Freunden in den Ruinen nach Tauschwaren, um sie bei den Uno-Soldaten gegen Batterien, Süßigkeiten und Zigaretten einzutauschen. Schließlich gelingt der Familie die Flucht nach Deutschland.

Mit einfachen Worten zeigt Tijan Sila die Gräuel des Krieges aus der Sicht eines Kindes und verdeutlicht dabei, dass ein Krieg für jene, die ihn erleben mussten, niemals wirklich beendet ist.

Cover © Hanser

Muna oder die Hälfte des Lebens

Muna steht kurz vor dem Abitur, ihr Vater ist vor einigen Jahren gestorben und ihre Mutter eine alkoholkranke Schauspielerin. Muna sucht Halt und den hofft sie bei Magnus zu finden. Beide leben in einer fiktiven Kleinstadt in der DDR. Magnus, Lehrer und Fotograf, ist viele Jahre älter als Muna. Gleich bei ihrer ersten Begegnung 1989 ahnt man, dass ihre gemeinsame Geschichte keinen guten Lauf nehmen wird. Im Zuge der Wende verschwindet Magnus - doch kein Grund, aufzuatmen. Muna studiert in London, Berlin und Wien, wird Literaturwissenschaftlerin und interessiert sich für feministische Themen. Und dann trifft sie Magnus wieder und verfällt ihm komplett. Sie löst sich auf, klammert sich an ihn und sucht immer wieder die Schuld für seine Gewaltausbrüche bei sich.

Die Geschichte dieser toxischen Beziehung wird aus Munas Perspektive erzählt. Terézia Moras Sprache reißt die Lesenden in einen emotionalen Wirbel, zieht sie hinein in die Handlung und in Munas Leben. Dabei verhelfen auch die vielen spannenden Nebenfiguren dem Roman zu seiner Lebendigkeit.

Cover ©Luchterhand

Power

Kerze, die elfjährige Protagonistin dieses Romans, hält immer, was sie verspricht. Und so verspricht sie Hitschke, einer alten, alleinstehenden Dorfbewohnerin, deren verschwundenen Hund Power wiederzufinden. Um ihre Mission zu erfüllen, versetzt sich Kerze in Power hinein, streift durch den Wald und sieht sich Youtube-Videos über Hunde an, um deren Verhalten zu analysieren. Dabei wird sie selbst immer mehr zu einer Hündin, bellt anstatt zu sprechen, läuft auf allen Vieren und knurrt, wenn sich ihr wer nähert. Immer mehr Kinder folgen Kerze in den Wald, bis keine mehr im Dorf zurückbleiben. Sie werden zum Rudel mit Kerze als Anführerin und verwildern zusehends, während die Eltern verzweifelt versuchen, sie zum Zurückkommen zu bewegen, und der Hitschke die Schuld am Verschwinden ihrer Kinder geben.

Ein radikaler, dystopisch anmutender Roman über Gruppendynamiken und Hierarchien, über Mobbing, Ausgeschlossen- und Eingeschlossensein und das harte Leben auf dem Land.

Cover ©Dumont

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