Im August 2024 ist Yevgeniy Breyger als Stadtschreiber in Helsinki. Im Rahmen seines Aufenthalts wird Breyger vor Ort kurze Texte veröffentlichen und bei Literaturveranstaltungen in Helsinki und Tampere auftreten.
Die Residenz ist eine Kooperation des Goethe-Instituts Finnland mit Nuoren Voiman Liitto.
Yevgeniy Breyger wurde 1989 in Charkiw in der Ukraine geboren und siedelte mit seiner Familie 1999 nach Deutschland über, wo er Kulturjournalismus, Literarisches Schreiben und Curatorial Studies studierte. Er arbeitete als freier Schriftsteller und freiberuflicher Lektor für Lyrik, Kunstbuch und Wissenschaft. Seit 2023 lebt und arbeitet Breyger in Wien. Er veröffentlichte mehrere Gedichtbände, zuletzt "Frieden ohne Krieg" bei kookbooks, 2023. Seit 2021 Gastdozenturen für Literarisches Schreiben und Übersetzen an der Universität Hildesheim, an der Ruhr-Universität Bochum, am Deutschen Literaturinstitut Leipzig und seit 2024 an der Sprachkunst Wien.
Auszeichnungen
Leonce-und-Lena Preis 2019
Werkstipendium des Deutschen Literaturfonds 2019
Stipendium im Herrenhaus Edenkoben 2020
Lyrikpreis München 2021
Stipendium der Deutschen Akademie Rom – Casa Baldi 2022
Nach Sonnenuntergang komme ich an und erlebe mein erstes Helsinki bei Nacht, ein dunkles, anziehendes Etwas. Der Töölö Tower begrüßt mich bei der Ankunft im Dunkeln wie ein Ausblick auf den kommenden Winter. Am Tag darauf feiert meine finnische Freundin Kirsti ihren 60sten Geburtstag. Wir fahren auf eine Insel, natürlich gehen wir in die Sauna, diejenigen, die schwimmen können: schwimmen. Danach bereitet uns Jyrki Tsutsunen ein unerklärlich gutes 6-Gänge Menü aus im Wald gesammelten Zutaten. Kirstis finnische Freund*innen sind charmant und klug, meine positiven Vorurteile über das Land verfestigen sich immer mehr. Nicht umsonst habe ich im letzten halben Jahr über 60 Stunden finnischen Pop gehört und auf das Beste gehofft. In den nächsten Tagen gehe ich spazieren, besuche das Kiasma, abends wieder Freund*innen, bald fahren sie ab. Wieder dreht sich Helsinki abends in eine andere, fremde Richtung. Am Hafen ein armenischer Imbiss, ich freue mich, dass auch das Finnland ist. Nach dem Essen nehme ich die Tram und fahre im Dunkeln heim.
Seit der Kindheit dieses seltsame Bedürfnis, auf einer Insel zu sein. Ich nehme die Fähre und fahre von Insel zu Insel, besuche die kleineren Inseln zu Fuß, das Freilicht-Architekturmuseum, wo ich das erste Mal, seit ich in Helsinki bin, Pilze finde und mit nach Hause nehme, genauso wie die Hundeinsel, die ich erfreulicherweise auch ohne eigenen Hund betreten darf. In wenigen Tagen mehr Inseln als ich an zwei Händen zählen kann und die Frage: Ist doch genau das das größte Kapital dieser Stadt? Die Insellandschaft? Zumindest für jemanden wie mich. Als ich mit der Fähre zurück Richtung Festland überfahre, denke ich daran, wie Kirsti mir am Tag der finnischen Kultur erzählt, dass es zwar ein Fahnentag sei, die Fahnen aber am Ende des Tages wieder eingeholt werden müssten. Wer das vergäße, gelte als schlampig. Für öffentliche Institutionen ist es eine Kriminaltat, höre ich später. Der Fahnenmast auf der Fähre bleibt leer.
Immer und immer ein Versuch, die Gelbtöne von Helsinki einzufangen, die sich entweder mit Himmelblau, Blattgrün oder Blütenrot mischen. Die Inselstadt ist auch eine Blumenstadt. Das Meerwasser scheint nicht nur den Himmel zu spiegeln, sondern auch der Himmel im Gegenzug das Meer. Was Wolke ist, und was Welle – verliert Bedeutung. Vor dem Oodi treffe ich eine Möwe, die mehrmals probiert, sich in eine Gruppe von Gänsen einzuschmuggeln. Jedes Mal, sobald sie den Kreis der größeren Vögel betritt, findet sich eine neue Gans, die sie nach außen drängt. Aber es scheint sie nicht zu stören. Ich spaziere nah am Wasser, entlang der Blumenfelder und finde es schade, dass ich den Winter von Helsinki verpassen werde.
Die letzte Woche in Helsinki – Woche der Lesungen, Woche der Vögel. Ich reise nach Tampere, lese in Helsinki in der Deutschen Bibliothek und endlich bei Runokuu Poetry Moon. Das bedeutet auch, ich treffe endlich meine Übersetzerin, die Dichterin Suvi Valli und bin noch mehr begeistert von ihrer Arbeit als zuvor. Bald kommt der Besuch im Bokeh-Verlag, auch ein Glücksfall, dank seines kompetenten, klugen, buchliebenden Verlegers Antti Nylén. Das zweisprachige Heft finnisch/deutsch wird gedruckt und handgebunden. Die finnischen Vögel, denen ich in Meeresnähe zu gern meine Aufmerksamkeit schenke, treffe ich am letzten Tag im Naturkundemuseum wieder. Ich werde vieles an diesem Ort vermissen.