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August 2022
Nino Haratischvili:
Das achte Leben (für Brilka)

Bucheinband: Das achte Leben
© Scribe Publications

Wem das breitgefächerte Geschichtenerzählen in Zadie Smith’s Roman Zähne zeigen gefällt, der sollte an Das achte Leben (für Brilka) von Nino Haratischvili nicht vorbeigehen.

Ich muss gestehen: Ein großer Fan von superlangen Büchern bin ich eigentlich nicht. Vielleicht ist das ein Nebeneffekt davon, dass ich oft mit Fristen im Kopf lese, aber ich liebe es, wie kürzere Bücher uns zwingen, zwischen den Zeilen zu lesen und wie sie in eine Geschichte eintauchen, um einzelne Momente ins Licht zu halten.

Manchmal gibt es aber nichts Besseres, als in einer guten Geschichte zu versinken, die einen mindestens 500 Seiten lang nicht loslässt. Zadie Smiths großartiges Debüt Zähne zeigen (übersetzt von Klaus Timmermann und Ulrike Wasel) ist einer meiner Lieblinge unter den dicken Romanen und erzählt die Geschichte von zwei Londoner Familien vor dem Hintergrund der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Es ist schwierig zu benennen, wie sehr ich Zähne zeigen wirklich liebe: den Humor, die komplexen Figuren, die Fähigkeit des Buchs, großzügig und hoffnungsvoll zu bleiben, auch in den erschütternden Momenten.

Wer das breitgefächerte Geschichtenerzählen in Zähne zeigen und Familiensagen mag, sollte sich auf jeden Fall Nino Haratischvilis opulenten Roman Das achte Leben (für Brilka) besorgen. Haratischvili folgt fünf Generationen einer georgischen Familie durch „das rote Jahrhundert“ und zeigt, wie ihre Figuren nicht bloß vor dem Hintergrund der Geschichte leben, sondern ständig darin verwickelt sind – wie Stasia, die eigensinnige Tänzerin, deren Leben aus den Fugen gerät, als der Leutnant, den sie heiratet, zwischen Weiß und Rot wählen muss, oder wie ihre Urgroßtochter Niza, die dem postsowjetischen Georgien entflieht und in Berlin landet, aber nie so richtig ein neues Zuhause findet. Niza ist die Erzählerin des Romans und berichtet die Geschichten ihrer Familie für ihre 12-jährige Nichte Brilka. Ihre scheinbare Ehrlichkeit in den Erzählungen über ihre Recherchen, aber auch über ihre Mutmaßungen ist dermaßen überzeugend, dass man meint, diese russische Musikerin oder jene Demonstrantin beim Prager Frühling muss auch in der Wirklichkeit existiert haben.

Niza beschreibt die Geschichte ihrer Familie als komplexen Teppich mit vielen ineinander verwobenen Fäden. Einer dieser Fäden besteht aus den Liedern von Kitty Jashi, Stasias Tochter, die (als eine indirekte Folge der erschütterndsten Szene des Buchs) aus der UdSSR fliehen muss und ein neues Leben in London aufbaut. Ein anderer Faden ist die berauschende, bezaubernde heiße Schokolade, die Stasias Vater entwickelte und deren Rezept stets ein Geheimnis bleibt, da einige überzeigt sind, dass das Getränk irgendwie verflucht ist.

Das achte Leben ist vielleicht v.a. eine Geschichte darüber, wie wir überleben, über die Entscheidungen, die wir treffen, um die Leute, die wir lieben zu schützen, und über die Unmöglichkeit, die Geschichte auszutricksen. Gelegentlich wünschte ich mir zwar, dass die Figuren weniger überleben müssten und mehr leben könnten – ich wünschte mir, dass Stasia weiterhin tanzen würde und dass Niza das Glück in Berlin findet. Aber trotzdem: Das ist ein beanspruchendes und bewegendes Buch, das auch lange nach der letzten Seite nachhallen wird..

Über die Autorin

Annie Rutherford macht Sachen mit Wörtern, und verfechtet übersetzte Literatur aller Arten. Sie arbeitet als Autorin, Übersetzerin und Veranstalterin, und recherchiert im Moment die Möglichkeit, eine Residenz für Schriftsteller*innen im Exil in Edinburgh zu etablieren. Sie  leitet den Buchclub der Lighthouse Buchhandlung in Edinburgh, der übersetzte Schriftstellerinnen diskutiert, und kann ein falsch gesetztes Apostroph aus fünfzig Metern Entfernung erkennen.


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