Berlinale-Blogger 2019
Darum dreht sich die Berlinale 2019
Rebellionen, Abschiede, Goldglanz: Wie Sie beim diesjährigen Festival mitreden können – auch ohne dort zu sein.
Von Ula Brunner
Ein wenig Wehmut wird wohl aufkommen: Der 69. Berlinale-Jahrgang ist der letzte unter der Ägide von Dieter Kosslick. Seit 2001 leitet der unterhaltsame Selbstdarsteller mit schwäbischem Charme das wichtigste deutsche Filmfestival. Im Mai 2019 wird seine Ära definitiv enden, in der Kosslick die Berlinale zum weltweit größten Publikumsfestival ausbaute. Erstmals in der Geschichte der Internationalen Filmfestspiele Berlin übernimmt dann eine Doppelspitze die Führung: Carlo Chatrian, bisheriger Chef des Festivals von Locarno, wird künstlerischer Direktor, die Niederländerin Mariette Rissenbeek geschäftsführende Leiterin.
Hoffnungen: was der wettbewerb bringt
Bereits in den Vorjahren ist der anstehende Führungswechsel von teils heftigen Debatten über einen kuratorischen und organisatorischen Neuanfang begleitet worden. Die Hauptkritikpunkte: zu viele Sektionen mit unscharfem Profil, qualitativ nachlassender Wettbewerb. Gerade zu Zeiten wachsender Konkurrenz durch die Streamingdienste braucht ein Festival Impulse für einen Perspektivwechsel. Dass Isabel Coixets Wettbewerbsbeitrag Elisa y Marcela von Netflix mitfinanziert wurde, sorgte bereits vorab für Irritationen. Ob Carlo Chatrian der Berlinale zu neuem Glanz verhilft? Bislang hat der zurückhaltende Italiener noch kein Wort darüber verloren, was er ab 2020 für das Festival plant.
Denn noch ist es Kosslicks Veranstaltung: 17 Filme konkurrieren im Februar 2019 um den Goldenen und die Silbernen Bären. Mit einer Mischung aus Genre-, Arthouse- und experimentierfreudigem Erzählkino lotet das Programm die Grenzen zwischen Privatheit, Selbstbestimmung, Familie und Gesellschaft aus.
Gewinner: Wo Gold von gestern blinkt
Hollywood-Starglanz auf dem roten Teppich wird in diesem Jahr mangels US-Produktionen nur sporadisch aufleuchten. Doch es wurden zahlreiche Stammregisseure eingeladen, darunter auch einstige Goldene-Bären-Gewinner. Zhang Yimou gewann 1981 mit Rotes Kornfeld (Hóng Gāoliang) als erster chinesischer Regisseur überhaupt den Festival-Hauptpreis – und sorgte damit in seiner Heimat für Debatten. Sein aktuelles Drama Yi miao zhong erzählt von der Begegnung zwischen einem Filmfan und einer Vagabundin. Wang Quan’an wiederum, der 2007 mit Túyǎ de hūnshì (Tuyas Hochzeit) Berlinale-Sieger war, setzt auch mit seinem neuen Film Öndog auf eine mongolische Liebesgeschichte. Auch ein deutscher Beitrag stammt von einem ehemaligen Gold-Gewinner: 15 Jahre nach seinem Überraschungserfolg Gegen die Wand zeigt Fatih Akin seinen düsteren Horrorthriller Der goldene Handschuh über den berüchtigten Hamburger Serienmörder Fritz Honka.
Familie: was sie eigentlich ausmacht
Was bedeutet Familie für jeden Einzelnen und für die Gesellschaft? Diese Frage beleuchtet der Wettbewerb auf unterschiedlichste Weise. In Angela Schanelecs deutschem Beitrag Ich war zu Hause, aber verschwindet ein 13-Jähriger eine Woche lang spurlos aus seinem Elternhaus. Der türkische Regisseur Emin Alper wiederum erzählt in Kız Kardeşler von drei Schwestern aus Zentralanatolien, die in der Hoffnung auf ein besseres Leben zu Pflegefamilien geschickt werden. Im dänischen Eröffnungsfilm The Kindness of Strangers von Lone Scherfig finden New Yorker Obdachlose Geborgenheit in einer Art Ersatzfamilie. Und für die neapolitanischen Jugendlichen in La paranza dei bambini von Claudio Giovannesi wird ihre Gang zum Familienersatz. Basierend auf einem Bestseller von Roberto Saviano folgt der Film von einer Gruppe von Teenagern, die im Auftrag ihres Bosses Angst und Schrecken verbreiten. Saviano, der seit dem Erscheinen seines Mafia-Tatsachenromans Gomorrha unter Polizeischutz steht, wird übrigens beim Festival zu Gast sein – freilich unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen.
Rebellion: Weshalb #Metoo ein dauerthema bleibt
Dass kreative Schlüsselpositionen im Film meist männlich besetzt sind, spiegelt sich auch in der Berlinale-Bilanz wider: In 68 Festivaljahrgängen gingen nur sechs Goldene Bären an Frauen, zuletzt 2018 an die Rumänin Adina Pintilie für Touch me Not. Und auch 2019 haben Regisseurinnen weniger als ein Drittel aller Filme eingereicht. Die Programmauswahl des Kuratoriums konnte die Statistik allerdings deutlich verbessern: Sieben der insgesamt 17 Wettbewerbsbeiträge haben Frauen realisiert. Übrigens: Der deutsche Wettbewerbsbeitrag Systemsprenger, das Debüt Nora Fingscheidts über ein unangepasstes Kind, wurde möglich durch ein Regieförderprogramm des Fernsehsenders ZDF zur Gleichstellung von Frauen im Spielfilm. Na also, geht doch.
Perspektiven: Wie ein Festival zeichen setzt
Quasi als programmatische Antwort auf die Gleichstellungsforderung lässt sich die diesjährige Retrospektive lesen: Unter dem Motto Selbstbestimmt. Perspektiven von Filmemacherinnen nimmt die Sektion das Schaffen deutscher Regisseurinnen von 1968 bis 1999 in den Blick. Thematisch gemeinsam ist so unterschiedlichen Werken von Jutta Brückner oder Ula Stöckl die „Suche nach eigenen Lebensräumen und einer eigenen filmischen Sprache”. Auch die diesjährige Hommage und der Goldene Ehrenbär sind einer Frau gewidmet – der vielfach ausgezeichneten Kult-Schauspielerin Charlotte Rampling. Die 69. Berlinale eröffnet ein Film von Lone Scherfig und eine weibliche Jurypräsidentin – Juliette Binoche – wird die Entscheidung über die Goldenen und Silbernen Bären mittragen. Natürlich kann ein Festival Sexismus und Ungleichbehandlung nicht verschwinden lassen. Aber es kann Zeichen setzen. Kosslicks letzte Berlinale tut das gerade.
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