Atlas of Mediterranean liquidity
Im Center for Digital Art in Holon werden Nadeln in Karten gesteckt.
Ein spannendes neues Projekt des Center for Digital Art (CDA) und des Goethe-Instituts bildet das Mittelmeer neu ab und stellt politische, soziale und ökologische Kontroversen in den Mittelpunkt. In nächster Zeit werden sich weitere Länder mit ihrer jeweils eigenen Perspektive an dem Projekt beteiligen.
Von Dana Gillerman
Die Designbranche hat sich laut Guy Saggee, Gewinner des Edmond de Rothschild Design-Awards 2020, weiterentwickelt. "Viele Jahre lang hatte ich das Gefühl, dass Design sich auf der Oberfläche abspielt", sagt Saggee. "Jetzt vertieft und erweitert es sich. Themen wie Gesellschaft und Politik, Wissenschaft und soziale Verantwortung sind zu Designfragen geworden."
Diese Kombination ist in den Projekten auf der Website des "Studio Shual" reflektiert, das er 2003 zusammen mit Moshon Zer-Aviv gegründet hat, und auch in dem neuen Projekt, an dem sie zusammen mit dem CDA in Holon arbeiten. Das von Udi Edelman, Direktor des Zentrums, geleitete und vom Goethe-Institut Israel in Auftrag gegebene Projekt, thematisiert die Klimakrise und den Anstieg des Meeresspiegels. Mittels interaktiver Karten befasst es sich mit Themen rund um das Wasser im Mittelmeerraum und soll später auch als [physische] Ausstellung umgesetzt werden. Das Projekt - Atlas of Mediterranean Liquidity - ist ein Online-Atlas, der mittels Landkarten ökologische, politische und soziale Aspekte im Mittelmeerraum visualisiert und dabei Fragen zu Territorium, Eigentum und Macht sowie Mobilität und Freiheit nachgeht. So geht es beispielsweise um die Frage der Besitzerrechte am Nil und den andauernden Konflikt zwischen Äthiopien, Ägypten und dem Sudan um den dort gebauten großen Staudamm. Auch die Spannungen zwischen Israel und Syrien im Zusammenhang mit den Quellen des Jordans sollen thematisiert werden.
Wie wandelt man einen Atlas in eine Webseite um?
„Für die Benutzeroberfläche“, antwortet Saggee, „nehmen wir bestehende Plattformen und arbeiten zum Beispiel mit der Mapbox-Software, um unsere Inhalte auf den dort angebotenen Karten anzuordnen. So hatten wir für die Nil-Karte „sprechende Köpfe“ verschiedener Experten, die ihre Position darlegten und kontrovers über die Besitzverhältnisse diskutierten. „Wir fragten uns, wie man über Wasserstreitigkeiten sprechen kann, ohne dass es langweilig wird, und kamen auf die Idee, eine Animation zu erstellen, die die Typographie, über die gesprochen wird, veranschaulicht und zum Leben erweckt.“
Eine schöne Kategorie auf der Website ist die Kartographie von Gewässern mit Hilfe von Sound. Der Klangkünstler Danny Meir hat im Auftrag von Udi Edelman etwa 50 Tonaufnahmen von Gewässern in Israel, beispielsweise am Manta Ray Beach in Tel Aviv, am Hafen von Akko und in Ein Bokek [am Toten Meer] erstellt. Man kann auf der Karte umherwandern, einen bestimmten Punkt anklicken und das Geräusch des Wassers ober- und unterhalb der Wasseroberfläche hören. „In Zukunft wird diese Karte mit über den Mittelmeerraum verstreuten Tonaufnahmen bestückt sein und man wird das Geräusch des Wassers von überall her hören können“, sagt Saggee.
Weitere Kategorien im Atlas werden sich mit Folklore rund um das Wasser beschäftigen. Das können Geschichten aus der Mythologie sein, Überlieferungen von Jesus, wie das Gehen auf dem Wasser, Interviews mit Fischern und auch Themen wie spekulativer Tourismus. Letzteres Projekt wurde von Moshon Zer-Aviv und Shalev Moran initiiert und bewegt sich an der Grenze zwischen Science Fiction, Augmented Reality sowie Geschichte und Zukunft des Tourismus.
Es wird auch das utopische und doch reale historische Projekt „Atlantropa“ vorgestellt, das von einem deutschen Ingenieur namens Hermann Sörgel im frühen 20. Jahrhundert geplant wurde. Es basierte auf der Idee, einen 20 Meilen breiten Damm zwischen Marokko und Spanien zu errichten, der die Straße von Gibraltar blockieren und das Mittelmeer vom Atlantischen Ozean trennen sollte. Durch diesen Damm hoffte Sörgel, den Meeresspiegel um 200 Meter absenken zu können und etwa 600.000 Quadratkilometer Land freizulegen, die in den Besitz Europas übergehen und für Landwirtschaft, Industrie und Wohnungsbau genutzt werden sollten.
In den nächsten drei Jahren wollen das Goethe-Institut und das CDA eine regionale Wissensplattform aufbauen, eine Alternative zu herkömmlichen Karten, die meist die Weltsicht der Mächtigen bedienen. Hier geht es darum, möglichst viele Stimmen, Perspektiven und Narrative von Menschen rund um das Mittelmeer zu präsentieren. So soll zum Beispiel dem israelischen Narrativ vom Jordan auch das syrische Narrativ gegenüber gestellt werden.
Das Goethe-Institut arbeitet derzeit daran, Kunst- und Kulturinstitutionen in den Mittelmeerländern zu finden, die sich dem Projekt anschließen und die, ungeachtet der Sensibilität einer Zusammenarbeit mit einem israelischen Kulturpartner, ihre eigenen Karten, Orte und Sounddateien [entwickeln und] hochladen werden. Das Goethe-Institut teilte Udi Edelman mit, dass dank der Friedensabkommen mit einigen arabischen Ländern im vergangenen Jahr eine veränderte Haltung spürbar ist.