Berlinale Blogger*innen 2024
Eine Palliativkrankenschwester und ihr respektvoller Blick auf ihre Patient*innen

Ivo
Ivo (Minna Wündrich) fährt mit dem Auto zu den Wohnungen ihrer Patient*innen. | © Adrian Campean

Wie geht man mit der Tatsache um, mit einer unheilbaren Krankheit leben zu müssen, oder mit der Erkenntnis, dass man für den Rest seines Lebens im Alltag auf andere angewiesen ist?

Der Film Ivo unter der Regie von Eva Trobisch richtet diese und ähnliche Fragen an den Zuschauer, indem er den beruflichen Alltag einer medizinischen Fachkraft begleitet. Ivo (Minna Wündrich) ist auf die Behandlung von Patient*innen spezialisiert, die eine palliativmedizinische Behandlung benötigen.

Krankenpflege bedeutet respektvolle Behandlung der Patient*innen

Wenn Ivo von einem Haus zum nächsten fährt, um ihre Patient*innen zu behandeln, stellt dies für sie auch immer ein energetisches Wechselbad dar. Nicht selten gerät die Krankenschwester ungewollt in häusliche Auseinandersetzen, die zwischen einem Patienten und seinen mit ihm lebenden Familienangehörigen entstehen. Und manches mal muss Ivo mehr als einen Todesfall innerhalb kurzer Zeit verkraften.

Das Interessante an dem Film ist unter anderem, dass er nicht das Mitgefühl für die Patient*innen mit ihren speziellen Anforderungen in den Mittelpunkt stellt. Der Film erzählt aus der Perspektive der Krankenschwester Ivo, die weder krank ist noch eine Behinderung hat. Ihre Position als medizinische Fachkraft lässt sie nicht auf ihre Patient*innen herabschauen oder der Ansicht sein, deren Bedürfnisse besser zu kennen als diese selbst.

Ivo zeigt, dass sie die Entscheidungsfreiheit ihrer Patient*innen respektiert – sie ermöglicht ihnen, auf ihre individuelle Art und Weise unabhängig zu sein. So sieht man etwa, wie sie einem Patienten aufmerksam zuhört, wie sie auf auf seine Bedürfnisse eingeht oder ihm mit Hilfsmitteln das selbstständige Gehen ermöglicht. Darüber hinaus respektiert sie den Wunsch ihrer Freundin Solveigh (Pia Hierzegger), die ebenfalls ihre Patientin ist, einen assistierten Suizid durchzuführen.

Krankenschwester nicht Lebensretterin

Ivo war Teil des Programms Encounters der 74. Berlinale. Der Film kommt ohne jegliche Dramatisierung von Situationen der Patient*innen aus. So verzichtet Ivo etwa völlig auf den Einsatz von Musik, mit der sich eine dramatische Wirkung erzielen ließe. Ivo wirft einen Blick auf das Leben seiner Figuren, so wie es ist.

In mehreren Szenen zeigt der Film Ausschnitte aus Ivos Privatleben – ihre Treffen mit ihrer Freundin, das Miteinander mit ihrer Tochter. Ivos Privatleben wird den Begegnungen mit den Patient*innen gegenübergestellt, und in diesem Nebeneinander wird sichtbar, dass kein Leben besser ist als ein anderes Leben. Leben ist Leben.

Durch die Art und Weise, wie der Film die Figur Ivo und ihre Patient*innen porträtiert, kann der Zuschauer die Situation von Menschen, die eine Palliativversorgung benötigen, aus einem neutralen Blickwinkel betrachten. Dem Zuschauer wird die Rolle einer medizinischen Fachkraft vor Augen geführt: Sie besteht nicht darin, Leben zu retten, sondern präsent zu sein, um die Bedürfnisse eines Patienten zu unterstützen.
 

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