Mai Endo
I am not a feminist!
Japan ist ein Land, in dem es für Verheiratete schwierig ist, feministisch zu sein. Eine standesamtliche Eheschließung ist mit verschiedenen Ungleichheiten verbunden: Die Ehepartner müssen etwa den gleichen Familiennamen annehmen, haben eine gegenseitige Verpflichtung zu ehelicher Treue, ein Verbot sich wieder zu verheiraten. Die Gründe für eine Heirat sind sehr individuell, doch das neblige Feld zwischen einer Ehe und den damit verbundenen Ungleichheiten stellt für viele Menschen eine Belastung dar.
Hallo, ich bin Mai Endo. Ich arbeite als Schauspielerin und Künstlerin. Ich bin eine von denjenigen, die sich für die Ehe entschieden hat. Als ironischen Kommentar an mich selbst haben wir unsere Trauung im Goethe-Institut Tokyo mit dem Titel „I am not a Feminist“ vollzogen. Sie war auch Teil des Programms des Festivals/Tokyo 17. Die Zeremonie fand vor Verwandten, Freunden und der allgemeinen Öffentlichkeit statt. Vor diesen Menschen haben wir einen selbstgeschriebenen Ehevertrag geschlossen.
Im Bürgerlichen Gesetzbuch Japans ist verankert, dass ein Ehepaar den gleichen Familiennamen tragen muss (mit Ausnahme von internationalen Ehen, bei denen auch Doppelnamen erlaubt sind, Artikel 750 des Bürgerlichen Gesetzbuches). Dabei ändern mehr als 90 Prozent der Frauen ihren Nachnamen. Zudem ist das Ehepaar verpflichtet zusammenzuleben (Artikel 752 des Bürgerlichen Gesetzbuches) und der Vermerk von „Treuebruch als Scheidungsgrund“ (Artikel 770), lässt auf die gegenseitige Treuepflicht eines Ehepaars schließen. Außerdem haben Frauen nach einer Scheidung eine Sperrfrist von 100 Tagen bevor sie eine neue Ehe schließen dürfen (um eine vorherige Schwangerschaft/Vaterschaft auszuschließen, Artikel 733 des Bürgerlichen Gesetzbuches).
Diese Reglementierungen gehen noch auf Überreste des konfuzianistischen Familiensystems, das sogenannte „IE-System“ zurück, welches im 5. Jahrhundert nach und nach die ehemals matriarchale Gesellschaftsstruktur in Japan ablöste und immer weiter institutionalisiert wurde. Bis heute werden regelmäßig neue patriarchale Konzepte ersonnen um plausible Gründe für dieses längst überkommene System zu finden.
Die Wachtel, ein Japanisches Haustier
Übrigens habe ich eine Wachtel. Die Wachtel soll das einzige in Japan erfolgreich domestizierte Tier sein. Sie wird sowohl als Nutz-, als auch als Haustier gehalten und ist ein häufiges Motiv in alten japanischen Gemälden. Auch ich habe sie bereits als Motiv verwendet und ein Musikvideo mit dem Titel „Wachtel-Rap“ gemacht:Als Folge der Geflügelzucht hat sich die Anzahl der Legeeier von Wachteln massiv erhöht und ihr Instinkt, die Eier auszubrüten, ist verschwunden. Ohne menschliche Hilfe ist eine Zucht also nicht möglich.Angenommen wir entlassen die Wachteln aus der menschlichen Obhut, gäbe es einen Ort, an dem sie sie selbst sein könnten? Nun, wenn wir beispielsweise unsere Wachtel aus dem Haus würfen und sich selbst überließen, würde sie höchstwahrscheinlich sofort Beute für Katzen werden. Es ist besorgniserregend zu beobachten, dass diese Tiere, mit Ausnahme von natürlich wilden Wachteln, nicht alleine überleben können.
Die Wachtel, die nicht sein kann, wie sie ist
Der Gedanke „sich zu befreien, so zu sein, wie man ist" ist rein menschlich. Der Ausdruck impliziert die Befreiung aus einer beengenden Situation. Menschen können es herausbrüllen, dem System mit eisernem Willen die Stirn bieten, eine DIY-Burg bauen und ihre Stellung behaupten.Für eine Wachtel, bedeutet die Wahl der Freiheit dagegen den sicheren Tod. Der Wachtel fehlen die Mittel das System abzulehnen. Von der Wellpappe bis hinein ins Haus war ist Schicksal stets auf dem Teller zu enden und heute ist ihr Leben meiner Laune unterworfen. Ganz gleich, ob sie ihre Umwelt annimmt oder ablehnt, lebt sie von einem Tag zum anderen. Ich wäre gerne wie diese Wachtel, die ihr Schicksal so gelassen annimmt.
Zwischen unbegrenzten Möglichkeiten und realen Einschränkungen
Ich möchte wie eine Wachtel leben! ... doch ich habe im Leben die Wahl. Obwohl die Wachtel gleich neben mir sitzt, lebe ich in einer vollkommen anderen Welt als sie. Mir steht es frei, was ich mag und die Umgebung, in der ich lebe, selbst auszuwählen. Allerdings ist meine Wahl ist durch gesellschaftliche Normen begrenzt. Was ich wählen kann und nicht wählen kann, sind im Grunde zwei Seiten derselben Medaille. Das heißt, die Möglichkeiten der unbegrenzten Wahl sind durch realistische Einschränkungen begrenzt. Bei jeder Wahl, verlangt die Gesellschaft Eigenverantwortung. Je ungewöhnlicher bzw. kleiner die Minderheit ist, auf die meine Wahl fällt, desto größeres Gewicht erhält dabei die Eigenverantwortung.
Alternativen zum Ehevertrag
In „I am not a Feminist“ haben wir versucht in Form eines Ehevertrags, alternative Wege der Ehe aufzuzeigen, die nicht in die Kategorien „unverheiratet, verheiratet und eingetragene Lebenspartnerschaft“ passen. Da es viele Kategorien gibt, die von der jeweiligen Position des Feminismus abhängen, sollte es sinnvollerweise auch verschiedene Arten der Ehe geben. Dennoch treten auch hier Probleme auf. Artikel 754 des Bürgerlichen Gesetzbuches sieht vor, dass eheliche Verträge jederzeit durch einen der beiden Partner aufgehoben werden können. Um einen rechtsicheren Vertrag zwischen zwei Personen zu schließen, dürfen sie, wenn sie den Vertrag schließen, deshalb nicht miteinander verheiratet sein. Damit der neue Ehevertrag auch rechtlich wirksam ist, war es deshalb notwendig unsere bestehende Ehe einmal aufzulösen.Darum haben wir uns vor unserer Hochzeit im Goethe-Institut Tokyo scheiden lassen um einen alternativen rechtssicheren Ehevertrag schließen zu können. Die neue Vertragslaufzeit beträgt drei Jahre. Dieser Zeitraum verlängert sich nach jeder Erneuerung um ein Jahr. Vor jeder Erneuerung werden wir uns einmal scheiden und unsere Ehegemeinschaft neu eintragen lassen.
Darüber hinaus haben wir beschlossen, nach jedem Vertragsschluss unseren Nachnamen zu ändern, wenn wir einen Heiratsbescheid ausstellen. Da wir bisher den Nachnamen meines Mannes geführt haben, werden wir im neuen Vertrag für die nächsten drei zu meinen Familiennamen, Endo, wechseln.
In Bezug auf die eheliche Treuepflicht sind wir übereingekommen, dass wir, soweit unsere Beziehung nicht der öffentlichen Ordnung und Moral widerspricht, die Unannehmlichkeiten der Ehe beseitigen und uns für Untreue nicht strafen wollen. Oder ganz konkret, dass ein Partner, nach einem erwiesenen Ehebruch etwa von der Zahlung von Schmerzensgeld befreit wird. Darüber hinaus haben wir im Vertrag festgelegt, dass unser gemeinsamer Besitz, die Kunstwerke, die wir produzieren, der Allgemeinheit zu Gute kommen soll. Damit möchten wir die eheliche Gemeinschaft zur Gesellschaft hin öffnen.
Über die Spielregeln nachdenken
Welchen Familienamen ein Ehepaar wählt, ob es zusammenleben möchte und wie es mit einem Ehebruch umgeht – die verschiedenen Fragestellungen, die eine Eheschließung mit sich bringt, sollten nicht nach überkommenen Gesetzen, sondern nach den autonomen ethischen Normen des Paares entschieden werden.Als Mann und Frau haben wir einen spielerischen Umgang mit dem Ehesystem gewählt. Einen „Rollentausch“ durch den Wechsel des Familiennamens, einen „Lüftungsschacht“ in der Monogamie, die Verteilung unseres gemeinsamen Besitzes – wir haben die Regeln einfach von unseren moralischen Überzeugungen abgeleitet und versucht unser zukünftiges Eheleben in einen Spielplatz zu verwandeln. Das ist ein anderer Weg, das existierende System zu verbessern, indem wir Rechte erweitern und Ungleichheiten ausgleichen. Wir haben das System zum Thema unseres Spiels gemacht, nicht um uns „auszuleben“, sondern um andere Lebensarten aufzuzeigen, weil wir anders als die Wachtel, unsere Umstände ändern können.