Deutsche Muslime
Zwischen Integration und Ausgrenzung
Die meisten Muslime in Deutschland sind gut integriert und fühlen sich dem Land eng verbunden, dennoch werden sie von der Öffentlichkeit teils misstrauisch beäugt. Ein Grund dafür sind auch verarmte Stadtviertel wie Duisburg-Marxloh.
Rund 4,5 Millionen Muslime, darunter seit 2015 auch vermehrt traumatisierte Flüchtlinge aus Kriegsregionen, sind in Deutschland ansässig. Das entspricht etwa 5,7 Prozent der Gesamtbevölkerung Deutschlands. Doch die Ablehnung gegen den Islam wächst, nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa. Seit den wahllos wiederkehrenden Angriffen durch die – zynischerweise – „Islamischer Staat“ genannte Terrororganisation müssen Migranten, darunter viele Muslime, häufig mit schiefen Blicken und einem Generalverdacht leben. Laut einer Bertelsmann-Studie von 2015 stuft jeder zweite Deutsche die Religion als Bedrohung ein. 57 Prozent der nicht-muslimischen Befragten halten den Islam für „sehr bedrohlich“ oder „bedrohlich“. Auch knapp die Hälfte der Hochschulabsolventen teilen diese Ansicht und 61 Prozent der Deutschen finden, die Religion passe nicht in die westliche Welt.
„Der Islam wird dort vielmehr als Ideologie denn als Religion wahrgenommen“, sagt Yasemine El-Menouar von der Bertelsmann-Stiftung. Dabei stufen die Behörden weniger als ein Prozent der hiesigen Muslime, die sich regelmäßig in rund 2.350 Moscheen und alevitischen „Cem“-Gebetshäusern treffen und die demokratische Regierungsform mehrheitlich akzeptieren, als radikal ein. Darunter sind auch viele der ultrakonservativen Salafisten.
Imame vermitteln Hausaufgabenhilfe
Trotz dieser ernüchternden Erkenntnisse zieht die Islamwissenschaftlerin und Soziologin El-Menouar eine positive Bilanz. Die Integration der Muslime, die in den 1960er- und 1970er-Jahren meist im Zuge der Gastarbeiteranwerbung zugewandert sind, mache „deutliche Fortschritte“. Damals zog es vor allem Türken auf Arbeitssuche in die Industrieballungszentren im Westen Deutschlands. „Die große Mehrheit der Migranten aus der Türkei, Nordafrika und anderen Ländern ist längst angekommen; sie haben sich Existenzen aufgebaut, Familien gegründet, Arbeitsplätze geschaffen“, sagt El-Menouar der Wochenzeitung Die Zeit. Viele pflegten „gute Kontakte zu Einheimischen“ und fühlten sich mit Deutschland „eng verbunden“.
Laut einer Studie des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) tragen auch die islamischen Gemeinden dazu bei. Fast alle würden mehr anbieten als nur „religiöse Dienstleistungen“, etwa Beratungshilfen bei Amts- und Behördengängen oder Hausaufgabenhilfen. 95 Prozent der Imame predigen nicht nur, sondern übernehmen auch Aufgaben im sozialen Bereich, vermitteln Kooperationen mit deutschen Lehrern oder Sozialarbeitern. „Islamische Gemeinden sind wichtige Ansprechpartner für die Integration von Muslimen“, heißt es in der Erhebung „Islamisches Gemeindeleben in Deutschland“ von 2012.
Laut El-Menouar gelingt dies auch weitgehend: „Der Trend ist eindeutig: Die Integration der muslimischen Einwanderer schreitet mit jeder Generation voran. Wie schnell dieser Prozess vonstatten geht, hängt neben dem Willen der Eingewanderten aber auch vom Bildungssystem und der Arbeitsmarktpolitik ab.“
Vom Arbeiterviertel zum Armutsviertel
Dennoch gibt es einige Stadtviertel, wo die Integration zu scheitern droht. Etwa in Duisburg-Marxloh, einem ehemaligen Arbeiterviertel, das Medien gerne als „sozialen Brennpunkt“ oder „No-Go-Area“ beschreiben.
Marxloh zählt zu den ärmsten Vierteln Deutschlands. Die Arbeitslosenquote liegt unter den 19.000 Einwohnern bei etwa 16 Prozent, der Ausländeranteil beträgt rund 64 Prozent. Medienberichte häufen sich, dass hier zu viele Menschen auf engem Raum leben, dass sich in Hinterhöfen Müllberge türmen und Haustüren kaputt sind. Viele der Migranten haben keine Krankenversicherung, Kinder müssen ohne Impfungen auskommen und viele Bürger sind auf die kostenlose Gesundheitssprechstunde eines engagierten Paters angewiesen. Polizisten würden beschimpft und manchmal sogar attackiert.
Schriftstellerin Hatice Akyün wurde in Duisburg-Marxloh geboren, ihre Eltern leben dort. „Natürlich gibt es Probleme, wie es sie auch in Berliner, Hamburger oder Frankfurter Stadtteilen gibt“, sagte sie dem Nachrichtenportal Welt Online. „Aber das liegt nicht an den Ausländern... Schuld ist das Scheitern einer Politik, die diese Stadtteile längst aufgegeben hat.“ Das sieht Islam-Expertin Yasemine El-Menouar ähnlich. Auslöser für die Entstehung solcher Problemviertel sei auch die industrielle Krise zwischen 1980 und 1990 gewesen, als viele der ehemaligen Gastarbeiter ihren Arbeitsplatz verloren hätten. „Da haben sich die Arbeiterviertel zu Armutsvierteln entwickelt.“ Die, die es sich leisten konnten, seien weggezogen. „Wenn sich benachteiligte Bevölkerungsgruppen in segregierten Stadtvierteln konzentrieren, ist das immer problematisch.“
Die Konsequenzen, die ein Leben in muslimischen Gemeinden wie etwa auch in Köln-Kalk, Berlin-Neukölln oder Hamburg-Veddel bedeuten kann, beschreibt Erol Yildiz, Professor für Interkulturelle Bildung an der österreichischen Alpen-Adria-Uni in Klagenfurt in einem Artikel für das Online Portal www.islamiq.de: „Die massive Stigmatisierung des Wohnorts erschwert die Arbeitssuche und trägt dazu bei, örtliche Arbeitslosigkeit zu verfestigen, denn die Bewohner solcher Viertel erfahren zusätzliches Misstrauen und Zurückhaltung von Arbeitgebern, sobald sie ihren Wohnort, ihre Straße oder Postleitzahl erwähnen.“
„Migrantische Stadtviertel sind aber nicht immer Armutsviertel“, betont El-Menouar. Oft verfügen sie auch über eine „migrantische Infrastruktur“, die Integration erleichtern kann – vor allem für Neuzuwanderer. Diese könnten Kontakte zu Zuwanderern knüpfen, die schon länger im Land leben. Wenn sich auch die Deutschen Bürger öffnen und ihren Blick auf die Muslime weiten, könnte die Gesellschaft von kultureller und religiöser Vielfalt profitieren. Dann kann Integration – trotz aller Widrigkeiten – gelingen. In Deutschland und in Europa.
Von den Muslimen in Deutschland gehören laut Bertelsmann-Stiftung 74 Prozent der sunnitischen Glaubensrichtung an, die meisten von ihnen haben türkische Wurzeln. 13 Prozent sind ebenfalls aus der Türkei stammende Aleviten und sieben Prozent zählen sich zu den Schiiten.