Interview mit Vanessa Peñuela und Cesar Vargas
Kämpfe in der Vergangenheit machen aktuelle Kämpfe möglich
Wie haben Sie von der Bewegung, die Sie in ihrem Comic vorstellen, erfahren?
Unser Interesse für die Geschichte der anarchistischen Bewegung in Lateinamerika führte uns zum Buch Los Artesanos Libertarios y la Ética del Trabajo (1986) der Autorinnen Silvia Rivera Cusicanqui und Zulema Lehm. Darin stießen wir auf die Geschichte der anarchistischen Cholas von La Paz. Das Buch enthält Interviews mit Frauen und Männern, die Teil der Bewegung waren, und vermittelt anhand dieser umfangreiches, authentisches Wissen über den bolivianischen Anarchosyndikalismus in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Warum sollte die Welt mehr über diese Bewegung erfahren?
Wir glauben, dass Kämpfe in der Vergangenheit, die gegenwärtige Kämpfe ermöglichen, nicht berücksichtigt werden, und das macht es schwierig, soziale Bewegungen zu organisieren, da sie scheinbar immer bei null beginnen. Unseres Erachtens ist die Geschichte der anarchistischen Cholas relevant, weil sie uns eine einzigartige Dimension der politischen Bewegung lateinamerikanischer Frauen zeigt, die im Vergleich zur Geschichte des feministischen Kampfes in Europa und Nordamerika wenig bekannt ist. Darüber hinaus zeigt sie uns den Kampf von Frauen indigener Abstammung, die fremde Ideen auf ihre eigene Weise assimilierten, etwa die des Anarchismus, eine politische und soziale Bewegung, die ebenso wenig sichtbar war. In der Geschichte der anarchistischen Cholas sehen wir einen antirassistischen, proletarischen und antipatriarchalen Kampf – mit großer Relevanz in unserem gegenwärtigen Kontext.
Was war die überraschendste Entdeckung während Ihrer Recherchen?
Auf die Geschichte der anarchistischen Cholas in Bolivien zu stoßen, war eine Entdeckung für sich. Deren besondere Form der horizontalen Organisation auf der Basis gegenseitiger Hilfe und des Familiengefühls, das Bestreben, die Vereinigung zu einer Art Schule zu machen, in der proletarische Frauen lesen und schreiben lernen, ihre Autonomie und ihre organisatorische Stärke durch direktes Handeln usw. haben uns überrascht. All dies taten die Frauen, ohne sich selbst als Feministinnen zu bezeichnen, aber heute beobachten wir genau solches Handeln in aktuellen feministischen Bewegungen.