Jugendliche und Neue Medien
Das Smartphone ist die dritte Hand
Ob zu Hause oder bei Freunden, das Handy ist immer in der Hosentasche. Im Interview sprechen drei Jugendliche selbstkritisch über Smartphones, übermäßige Nutzung – und was sie selbst dagegen tun.
In Berlin fand 2016 zum ersten Mal die TINCON statt, ein Internet-Kongress von Jugendlichen für Jugendlichen. Im Beirat der TINCON sitzen unter anderem Charly (16), Kaan (17) und Ole (16). An der Arbeit für die Convention, erzählen sie Büro der TINCON in Berlin-Kreuzberg, schätzen sie den freundschaftlichen und respektvollen Umgang. Denn den gibt es im Netz nicht immer.
Ole, Charly, Kaan, warum ist der Tonfall im Netz oft so verroht?
Ole: Das hat sich mit der Zeit so entwickelt. Unter Freunden ist klar, dass man sich ein bisschen neckt. Aber unter Klassenkameraden kann das teilweise schon extrem werden. Natürlich gibt es im Netz auch Foren, in denen wir sehr sachlich diskutieren, aber eben auch Foren, in denen beleidigt wird.
Können Erwachsene besser mit Aggressionen im Netz umgehen?
Kaan: Nein. Neulich reagierte mein Vater in einem Forum wütend auf einen Kommentar. Ich habe ihn gefragt, ob er das wirklich absenden will, denn so fängt Streit im Internet an. Man sollte im Internet auf keinen Fall auf Äußerungen eingehen, die nur provozieren wollen. Wenn Leute merken, dass niemand auf ihre Provokationen reagiert, hören sie auf, weil es ihnen keinen Spaß mehr macht.
Was würdet ihr Erwachsenen generell raten?
Charly: Die Kids wachsen mit dem Netz auf und lernen, nicht gleich jeden zu „haten“, der eine andere Meinung hat, sondern nachzufragen, warum er so denkt. Erwachsene begreifen das manchmal nicht und glauben, sie dürften alles schreiben. Meiner Meinung nach müssen viele Erwachsene lernen, eine Grundtoleranz im Netz zu zeigen.
Wie habt ihr euch diese Grundtoleranz angeeignet?
Charly: Wir mussten uns das selbst beibringen und haben einiges dazugelernt. 12-Jährige beleidigen andere einfach so. Aber dann lernen sie, das nicht mehr zu tun – auch weil andere im Netz aufpassen und sagen: Warum machst du das eigentlich? Denk mal darüber nach, was du da schreibst. Es braucht Zeit, aber die Jugendlichen bekommen das ganz gut hin.
Wozu nutzt ihr euer Smartphone?
Charly: Zur Kommunikation.
Kaan: Vor dem Internet war es nicht so einfach Kontakt zu bekommen oder zu halten. Es ist viel leichter, Leute kennenzulernen, ohne einen Fuß vor die Tür zu setzen.
Ole: Es ist nicht nur Kommunikation, sondern alles: Youtube, Lesen oder ein Spiel zu spielen, um die Zeit totzuschlagen. So richtige Langeweile kenne ich nicht mehr. Es gibt genug Serien, Filme und Spiele auf dem Smartphone, das man immer bei sich in der Hosentasche hat.
Wie schwierig ist es, das Smartphone aus der Hand zu legen?
Kaan: Wenn ich morgens aufwache, schaue ich auf mein Handy: Wie spät ist es, wie viele Leute haben mich erreicht, ist etwas Wichtiges passiert? Ich schaue auch immer dann drauf, wenn ich nichts zu tun habe. Habe ich etwas zu tun, lege ich es weg. Wenn ich es jetzt im Gespräch nutzen würde, wäre das komisch. Es wäre mir unangenehm. Aber sobald wir fertig sind, werde ich kurz aufs Handy schauen. Und wieso sollte man das Handy beiseite packen? Es passt perfekt in die Tasche.
Ist das kein Nachteil?
Kaan: Doch. Das Smartphone ist der erste Schritt zum Cyborg. Darauf sind so viele Daten von dir gespeichert, die dich widerspiegeln. Es ist wie eine Prothese für eine dritte Hand. Darum werden manche auch so wütend, wenn man ihnen das Smartphone wegnimmt. Es ist, als würde man ihnen eine Hand wegnehmen. Man ist stärker davon abhängig, als man wahrnimmt.
Charly: Ich kenne diesen Wunsch, es ständig in der Hand zu halten nur, wenn es neu ist. Nach einer bestimmten Zeit ist diese Art „Sucht“ weg. Ich persönlich finde, dass man sein Smartphone auch weglegen kann. Ich kann das gut.
Wird es euch nicht zu viel mit den Medien?
Ole: Mit dem Smartphone nicht, eher mit dem PC, wenn ich zu versteift auf eine Sache bin. Sobald ich etwas programmieren will und es nicht funktioniert, bin ich frustriert. Oder wenn ich in einem Schulprojekt wegen zu vielen Informationen total überfordert bin.
Kaan: Smartphones und Computer sind gut gemacht und ausgeklügelt. Die Toleranzgrenze ist sehr hoch, bevor es dir zu viel wird. Es gibt das sogenannte Phantom Vibration Syndrom. Das bedeutet, dass du dein Smartphone vibrieren fühlst, obwohl es gar nicht vibriert. Das sind die Momente, in denen es zu viel wird.
Charly: Man muss es generell mehr zur Seite legen und einfach seine eigene Grenze herausfinden.
Wie erzieht ihr euch selbst, zur Ruhe zu kommen?
Charly: Man sollte sich zurückhalten und es sich selbst verbieten. Du kannst dir auch einen Wecker stellen, wie lange du am Smartphone sein willst. Oder du machst dir einen Bildschirmhintergrund „Sei nicht so oft am Handy.“
Ole: Wenn du das alleine nicht mehr schaffst, kannst du Freunde und Familie bitten, dich darauf aufmerksam zu machen. Wenn ich am Smartphone bin, dann sage ich mir, dass ich besser rausgehen und etwas mit Freunden unternehmen sollte, anstatt zu Hause rumzuhängen. Weg vom Digitalen zurück ins Analoge.
Im Netz hinterlässt man bekanntlich auch Datenspuren, die sich etwa Unternehmen zu Nutze machen. Wie geht ihr damit um?
Charly: Ich merke das oft. Ich google zum Beispiel eine Spielkonsole. Und wenn ich später auf Ebay gehe, tauchen dort schon Zubehör und Spiele auf. Dann frage ich mich, wie gut kennen die mich eigentlich? Soll ich vorsichtiger im Internet sein? Ich finde das zwar doof, was die von mir wissen, aber es ist mir auch nicht so wichtig.
Aber es führt doch auch zur Manipulation. Ihr bekommt vielleicht nur noch einseitige Informationen.
Charly: Du kannst dir die Freiheit im Internet mit ein paar Klicks wiederholen. Darum ist es nicht so schlimm.
Kaan: Mich persönlich stört es schon sehr. Man wird nicht privat analysiert, sondern als ID oder IP. Aber das ist viel näher an uns, als wir glauben. Ich finde es gruselig, dass die wissen, was ich möchte. Ich fühle mich nicht frei, wenn ich das Gefühl habe, beurteilt zu werden.
Ole: Es wird immer extremer und die Algorithmen werden immer besser, weil wir sie mit Informationen versorgen. Wir Jugendlichen sind uns oft dessen gar nicht bewusst. Es betrifft uns und wir sollten auch etwas dagegen tun.
Wie wollt ihr später eure Kinder im Umgang mit dem Internet erziehen?
Ole: Kleinkinder würde ich nicht damit in Berührung bringen. Später sollten sie Schritt für Schritt, langsam und ohne Verbote herangeführt werden. Trotzdem sollte es Zeiten und Grenzen geben. Ein Kind sollte erst ein Smartphone bekommen, wenn es die Vor- und Nachteile, aber auch den Spaß im echten Leben kennt.
Kaan: Ich würde mich danebensetzen und aufpassen, aber ihm vor allem auch alles erklären. Ich finde es nicht gut, einem Kind ohne Begründung etwas zu verbieten. Es ist wichtig einen Grund zu nennen, sonst nehmen Kinder das nicht ernst. Ich würde dem Kind auch zeigen, was die echte Welt bedeutet. Freunde, rausgehen. Sobald man draußen ist, erlebt man was. Da draußen wartet eine ganze Welt auf dich.