Andrianus Oetjoe im Gespräch
Der Grenzgänger: „Das Kommen und Gehen"
Andrianus „Oetjoe“ Merdhi gehört zu der Gruppe von fünf Cineasten aus Indonesien, die sich für rund drei Wochen in den deutschen Alltag gestürzt und filmisch gearbeitet haben. Ohne die Unterstützung einer Filmcrew machte Andrianus in dieser Zeit seine Beobachtungen und produzierte einen Film in der Ortschaft Sumte in Niedersachsen. Ein Student der Hochschule für Bildende Künste Hamburg, HFBK, begleitete ihn während des gesamten Prozesses als sein Partner, sämtliche Entscheidungen bezüglich Thema, Geschichte, Blickwinkel sowie Gestaltung und Produktionsplan traf er jedoch selbständig am Drehort.
Sie haben früher in Deutschland studiert, sind anschließend als Ingenieur nach Indonesien zurückgekehrt und haben in Papua als Lehrkraft gearbeitet. Was hat Sie dazu geführt, heute als Kunstschaffender im Bereich Dokumentarfilm zu arbeiten?
Das ging während der Oberstufe los, da interessierte ich mich schon für Fotojournalismus. Ich denke, da gibt es Ähnlichkeiten zu den Vorgehensweisen beim Dokumentarfilm. Später haben mich andere Dinge motiviert, mich für eine technische Ausbildung zu entscheiden: Der ehemalige Präsident Indonesiens und Alumnus der Technischen Hochschule Aachen Bacharuddin Jusuf Habibie, die Flugzeugentwicklung und der Gedanke, dass Deutschland als Land des technischen Fortschritts gilt. Allerdings ist mir auf dem Weg klar geworden, dass mich die Technik nicht glücklich macht. Daher habe ich mich entschlossen, das Studium einfach nur abzuschließen. Zurück in Indonesien habe ich mich dann aktiv um die Teilnahme an einem Programm im Bildungsbereich bemüht, das von Deutschland gefördert wurde.
Noch während meines Studiums hatte ich über das FORUM KOPI, ein Forum von und mit Studierenden aus Indonesien in Deutschland, begonnen, mich mit Papua zu beschäftigen. Nach meiner Rückkehr bin ich dann in eine abgelegene, nach wie vor isolierte Region in Papua gezogen, um dort als Lehrkraft zu arbeiten. Und dort habe ich mich dann wieder intensiver mit Fotojournalismus auseinandergesetzt, bis ich mich schließlich an die Produktion eines Dokumentarfilms gemacht habe. Mich interessiert am Dokumentarfilm auch, dass er uns antreibt zu lernen und unseren Horizont zu erweitern, andere Kulturen kennenzulernen, wir werden gefordert, auch außerhalb unseres sozialen Umfelds zu kommunizieren und natürlich anderen etwas zurückzugeben und mitzuteilen, um es nachempfinden oder es sich ebenfalls vorstellen zu können.
Welche Faktoren gaben den Ausschlag und haben Sie motiviert, am Projekt 5 Inseln / 5 Dörfer teilzunehmen?
Pepe Danquart und seine Arbeiten gaben den entscheidenden Anstoß. Ein weiterer Faktor war die Aussicht, im Produktionsprozess eines Films involviert zu sein. Und meine persönlichen Erfahrungen haben mich inspiriert. Einige Male bin ich mit Problemen im Zusammenhang mit Flüchtlingen in Berührung gekommen, und natürlich ist es eine Chance, einen Film von mir auf einem Festival zu zeigen. Als dann das HFBK und das Goethe-Institut diesen Workshop anboten, dachte ich, dass das die Gelegenheit ist, die ich nutzen muss und die mir hilft, meine Arbeit zu verbessern.
Davon abgesehen spielte das Goethe-Institut bereits eine wichtige Rolle im Bereich Film für mich, unter anderem durch sein Filmangebot, die Filmvorführungen und sein Publikum. All dies floss in meine Überlegungen ein, mich für die Teilnahme am Projekt anzumelden.
Was genau haben Sie während der Vorbereitung zur Filmproduktion getan und wie sind Sie vorgegangen?
Die Recherche ist ein grundlegendes Element bei der Produktion eines Dokumentarfilms. Ohne Recherche verlieren wir die Orientierung. Von den Aufzeichnungen wusste ich, dass der Drehort, die Stadt Sumte ein sehr ruhiger, abgeschiedener Ort ist. Ohne die vorangegangene Recherche hätte ich mir nicht vorstellen können, was man an einem solchen Ort machen könnte.
Ich hatte insgesamt drei Wochen zur Verfügung: Eine Woche verbrachte ich in Hamburg und zwei Wochen am Drehort Sumte. Während des Produktionsprozesses wurde ich unterstützt von einem Studenten der Filmwissenschaft der HFBK. Eine Sinopsis für den Film gehörte ebenfalls zu meinen Aufgaben.
Wer hat den Drehort bestimmt? Wie ging der Prozess der Ideenentwicklung für den Film vonstatten?
Gegen Ende des Workshops stellte Pepe Danqart die Frage, was ich filmen würde, angenommen ich käme zurück nach Deutschland. Meine Antwort war eher persönlicher Natur; ich würde etwas wählen, das auf meinen persönlichen zwischenmenschlichen Erfahrungen beruhte. Im Zeitraum zwischen 2015-2016 trat in Deutschland eine Flüchtlingskrise ein. Ich dachte daran, einen Film über die Sichtweise der Deutschen gegenüber den Flüchtlingen zu machen. Bei der Ideenentwicklung unterstützte mich ein Freund, der sich bereits stark in der Flüchtlingsarbeit engagierte. Wahrscheinlich gibt es schon etliche Filme, die sich mit Flüchtlingen beschäftigen, aber mir schien die Perspektive der Deutschen gegenüber der Situation der Flüchtlinge interessant. Dann bekam ich Sumte als Drehort.
Die Tage in Hamburg wurden für Diskussionen genutzt, für Brainstorming und Input sowie für die notwendigen Vorbereitungen. Sich mit der Flüchtlingsproblematik auseinanderzusetzen, bedarf der Gewissenhaftigkeit und Vorsicht, da es sich um ein sehr sensibles Thema handelt. Außerdem widmeten wir uns anderen nicht-technischen Aufgaben und bereiteten uns taktisch auf bestimmte Eventualitäten vor, wie etwa auf die Möglichkeit, dass die Personen im Film sich einem Interview verweigern. Im Grunde genommen haben die Betreuer von der HFBK lediglich ihr Feedback gegeben, aber keine Ideen beigesteuert. Uns wurde die Freiheit und der Spielraum gelassen, selbst Ideen für die Filmproduktion zu entwickeln.
Es gab auch Herausforderungen, mit denen ich konfrontiert war, darunter zählt auch die Betreuung durch die Studenten der Filmwissenschaft während der Arbeit. Einerseits konnten wir natürlich eingehend diskutieren und uns besprechen, aber andererseits bestand Möglichkeit, dass dies die Filmarbeiten beeinflusste. Eine andere Herausforderung betraf den alles andere als unbedeutenden Bereich der Kommunikation mit den Darstellern. Erst nach vier Tagen konnten wir entscheiden, den nächsten Schritt zu gehen und die für den Film geeigneten Darsteller zu bestimmen. Obwohl ich mich auf Deutsch unterhalten kann, waren die Protagonisten eher geneigt, mit vertrauteren Personen zu kommunizieren. Zu Beginn der Filmarbeiten war dies stark zu spüren, aber später haben wir das überwinden können. Außerdem war die Internetverbindung in Sumte nicht besonders gut, mit der Folge, dass wir nur schwer ins Internet kamen. Das führte dazu, dass die Kommunikation mit den Tutoren in Hamburg beeinträchtigt war.
Die Ortschaft Sumte ist ziemlich ruhig und liegt abgeschieden an der früheren Grenze wischen Ost- und Westdeutschland. Auch hier ist die Flüchtlingsproblematik zu spüren. Wie ist Ihre Meinung diesbezüglich?
Im Film spielen die Flüchtlinge eigentlich eine untergeordnete Rolle, ihre Präsenz ist eher gering. Während des Schneidens ist mir bewusst geworden, dass es sich bei Sumte um einen Ort handelt, an dem Menschen kommen und gehen. Gastarbeiter aus Rumänien, Frauen, die in Büros gehen, sie kommen und gehen wieder. Ich habe mich darum bemüht, keine Schlussfolgerungen anzubieten, es sollte genügen, die Perspektive eines Zeitzeugen einzunehmen. Ich finde es viel besser, Fragen aufzuwerfen. Ich wollte das Thema der Abgeschiedenheit und eines ruhigen Ortes visuell vermitteln. Man muss nicht selbst nach Sumte, um das nachempfinden zu können. Der Fokus des Filmes liegt also mehr auf der Atmosphäre, der Stimmung.
Möchten Sie mit diesem Film eine bestimmte Botschaft vermitteln?
Ich versuche, über den Film mit den Zuschauern zu kommunizieren. Es ist für mich eine besondere Herausforderung, etwas indonesischen Zuschauern zu vermitteln, die wahrscheinlich noch nie in Deutschland – und schon gar nicht in Sumte waren.
Es könnte einen Mehrwert darstellen, wenn das indonesische Publikum nach dem Film mehr über den Ort weiß und Dinge nachempfinden kann: Wie ist es an diesem Ort, die umgebende Natur, wie unterscheidet sie sich von dem, was wir in Indonesien kennen? Anders ist es mit dem Publikum in Deutschland. Da wäre ich zufrieden, wenn die Zuschauer des Films etwas erfahren, erleben und erkennen, was ein Teil des Geschehens in Deutschland darstellt.
Wie sehen Ihre weiteren Pläne für den Film aus, wenn die Endbearbeitung abgeschlossen ist? Was sind Ihre persönlichen Erwartungen?
Ich werde versuchen, den Film bei Filmfestivals unterzubringen, die etwa Themen um Migranten und Flüchtlinge aufgreifen. Vielleicht wird es auch eine Filmvorführung in Hamburg geben.
Ich hoffe, dieser Film lässt sich auf andere Situationen, in andere Kulturen übertragen, wie etwa auf die Situation in Jakarta. Im Film geht es um das Menschliche: die Figur Rainy engagiert sich für den Ort, an dem sie lebt, und für seine Bewohnern, sie widmet sich aufmerksam dem Zustand der Umwelt, um sie herum sowie den spürbaren Ängsten der Menschen. Aus meiner Warte als Filmemacher versuche ich ebenfalls dieses Wesentliche wiederzugeben, ohne dabei die Herkunft oder die Nationalität zu sehen – vielleicht kann man dies als Botschaft auffassen. Ich meine, zu den Zielen eines Dokumentarfilmemachers gehört die Frage, wie man selbst Klischees aufbricht.
Mich spricht Adornos Theorie an: “Kunst muss frei sein von Ideologie, es reicht, Zeitzeuge zu sein. Er muss wahrhaftig sein.”