Gespräch
Maria Fischer-Siregar
Welcher Hintergrund hat Sie dazu bewogen, als Deutsche am Goethe-Institut Jakarta zu arbeiten und sich in Indonesien niederzulassen?
Ans Goethe-Institut kam ich ganz zufällig - und bin dann mehr als 30 Jahre geblieben. Es hat einfach sehr gut für mich gepasst, ich konnte genau an der Schnittstelle zwischen Deutschland und Indonesien arbeiten, die auch meiner Lebenssituation entsprach, und ich konnte meine Kenntnisse beider Kulturen sinnvoll einbringen.
Aber zurück zum Anfang: Ende 1983 sind wir - mein indonesischer Ehemann, unsere damals 18 Monate alte Tochter und ich - von Deutschland nach Indonesien umgezogen. Meinen Mann zog es zurück in die Heimat, und ich fand es spannend, Indonesien, die Kultur und das so ganz andere Leben aus nächster Nähe kennenzulernen. Ich habe Sozialwissenschaften und Pädagogik studiert, und in Deutschland war ich als Bildungsreferentin in der Jugend- und Erwachsenenbildung tätig gewesen. Natürlich wollte ich auch hier in Indonesien gerne wieder im Bildungsbereich arbeiten, aber ich machte mich nicht sofort auf die Suche nach einer Arbeitsstelle.
Mitte 1984 wurde unsere zweite Tochter geboren, und ich hatte zunächst alle Hände voll damit zu tun, mich um die Kinder zu kümmern und unser neues Leben aufzubauen. Nebenbei schrieb ich Artikel für eine pädagogische Fachzeitschrift in Deutschland. In diesem Zusammenhang führte ich ein Interview mit der indonesischen Frauenrechtlerin Julia Suryakusuma. Das Gespräch fand bei ihr zu Hause statt, und während wir uns unterhielten, streckte ihr Mann, der inzwischen verstorbene Filmregisseur Ami Prijono, ab und zu den Kopf durch die Tür. Als er hörte, dass ich recht gut Indonesisch sprach, bat er mich, mal mitzukommen zum Filmabend bei der Programmleiterin des Goethe-Instituts. Sie bräuchten dringend jemanden, der ihnen die Filme übersetzen und die Hintergründe der Handlung auf Indonesisch erklären könnte. Wegen der damals noch herrschenden Zensur durften viele deutsche Filme nicht öffentlich gezeigt werden, und deshalb gab es diese privaten Vorführungen für eine kleine Gruppe indonesischer Filmschaffender. Als leidenschaftliche Kinoliebhaberin sagte ich da nicht nein, und so kam es, dass ich einige Male bei diesen Veranstaltungen übersetzt habe.
Irgendwann rief mich die Programmleiterin an und meinte, die Sprachabteilung würde dringend Lehrkräfte suchen, ob ich nicht Lust hätte, in Deutschkursen zu unterrichten. Ich schaute mir den Unterricht am Goethe-Institut an und war begeistert. Nach einem Training für den Unterricht Deutsch als Fremdsprache übernahm ich ab 1986 eigene Kurse. Als Muttersprachlerin unterrichtete ich hauptsächlich in Sonderkursen und auf den höheren Stufen. Daneben arbeitete ich auch viel in Fortbildungen für die Deutschlehrkräfte an den Schulen in ganz Indonesien mit. Im Jahr 2002 übernahm ich die Organisation der Sprachkurse und Prüfungen am Goethe-Institut Jakarta, bis 2016. Danach habe ich das Goethe-Institut noch weiter bei der Ausbildung von neuen Lehrkräften unterstützt, ein Bereich, der mir immer sehr am Herzen lag.
Die enge Beziehung zwischen Ihnen und dem Goethe-Institut besteht schon seit vielen Jahren. Können Sie uns etwas von Ihren Erfahrungen in dieser Zeit mitteilen? Sie sind doch sicherlich durch Höhen und Tiefen gegangen?
Ja genau, in dieser langen Zeit gab es natürlich viele Höhen und Tiefen, darüber könnte ich ein ganzes Buch schreiben. Indonesien selbst hat in den letzten 35 Jahren ja wirtschaftlich, politisch und sozial eine enorme Entwicklung gemacht, und über all diese Veränderungen hinweg gab es kontinuierlich ein sehr großes Interesse an den Sprachkursen und Veranstaltungen des Goethe-Instituts.
Eine sehr schwierige Zeit für uns alle am Institut waren die Jahre 1998 und 1999, also die Zeit der politischen Unruhen vor und nach dem Sturz des früheren Präsidenten Soeharto. Das Goethe-Institut befand sich damals noch in Jl. Matraman Raya, und in dieser Gegend gab es viele Demonstrationen, bei denen Steine flogen, Autoreifen brannten und einige Male auch Schüsse fielen. Ich selbst bin auf dem Weg zum Institut mal zwischen die Fronten geraten und habe einen schweren Pflasterstein auf’s Auto bekommen, zum Glück ist mir nichts passiert. Manchmal wussten wir Lehrkräfte nicht, wie wir abends nach den Kursen nach Hause kommen sollten, weil draußen vor dem Haus heftige Auseinandersetzungen tobten. Einmal hörte ich während eines Abendkurses in der Pause im Radio, dass in einem anderen Stadtteil wieder auf Studenten geschossen worden war, ich ging mit Tränen in den Augen in die Klasse zurück und musste mich sehr zusammenreißen, um weiter unterrichten zu können.
Kurz nach dem politischen Neubeginn in Indonesien, ich glaube, es war 2001, konnte das Goethe-Institut in die Jl. Sam Ratulangi umziehen, wo es bis heute zu finden ist. Das war ein riesiger Meilenstein. Endlich hatten wir einen großen, modernen Veranstaltungssaal, eine helle Bibliothek und genug Platz, um alle Sprachkurse an einem Ort unterzubringen, dazu die wunderbaren Innenhöfe, die für viele Menschen zu einem Treffpunkt wurden. Das neue Haus eröffnete viele neue Möglichkeiten, unter anderem auch für große Feste für und mit den Kursteilnehmer*innen. Die gehören zu den absoluten Highlights in meiner Erinnerung. Dafür gab es wochenlange Vorbereitungen in den Kursen, Lehrkräfte und Kursteilnehmende übten mit großer Begeisterung und viel Kreativität Theaterstücke, Lieder und andere musikalische Vorführungen ein. Oft hatten wir auf zwei Bühnen, im Veranstaltungssaal und im Hof, den ganzen Tag über Programm, Schnupperkurse und Informationen zum Studium in Deutschland, und dazu deutschen Kuchen, Würstchen und Kartoffelsalat. Da half natürlich das ganze Institut mit. Zu diesen Festen hatten wir manchmal mehr als 1000 Besucher*innen am Tag.
Unvergessen ist natürlich auch meine interne Abschiedsfeier vor einigen Jahren, da hatte eine Kollegin ein Märchen als Theaterstück eingeübt, bei dem das ganze Institut auf der Bühne stand, vom Institutsleiter bis zum Office Boy, und ich wurde dann als „Dornröschen“ da mit hineingezogen. Für mich war das eine große Überraschung, es war sehr lustig. Toll fand ich auch, dass wirklich alle mitgemacht haben, die ganze große „Goethe-Familie“.
Wenn ich mich nicht irre, haben Sie vor ein paar Jahren eine Auszeichnung des Goethe-Instituts als besonders engagierte Mitarbeiterin erhalten. Welche Auszeichnung war das genau? Können Sie uns mehr darüber erzählen?
Erwähnt wurde in der Begründung für die Preisverleihung auch meine Vermittlerrolle, innerhalb des Instituts und darüber hinaus. Dadurch, dass ich mich sowohl in der indonesischen als auch in der deutschen Kultur bewege, konnte ich oft der einen Seite die andere Seite näher bringen und so Gegensätze überbrücken. Über die Jahre hatte ich auch viele Kontakte zu den indonesischen Behörden und anderen Institutionen in Indonesien aufgebaut, die für die Arbeit des Instituts sehr hilfreich waren.
Für mich war mein Einsatz selbstverständlich, dass das Goethe-Institut ein solches Engagement der Mitarbeiter*innen vor Ort besonders würdigt, empfinde ich aber als eine sehr schöne Geste.
Und nicht zuletzt: Was bedeutet das Goethe-Institut für eine Maria Fischer, in der Vergangenheit, in der Gegenwart oder auch im Hinblick auf die Zukunft?
Das Goethe-Institut ist und bleibt für mich ein Ort des lebenslangen Lernens. Das gilt für die Mitarbeiter*innen genauso wie für die Besucher*innen. Ich habe es immer als eine große Chance gesehen, permanent etwas Neues lernen zu können, in ganz unterschiedlichen Projekten mitzuarbeiten, und mich dabei auch persönlich weiterzuentwickeln. Am Goethe-Institut kann man nicht einfach stehen bleiben, wo man ist, man muss mit den gesellschaftlichen Entwicklungen Schritt halten. Das ist eine permanente Herausforderung, oft anstrengend, aber auch sehr befriedigend.
Und das Lernen findet ja nicht nur im Klassenraum, beiFortbildungen oder in Workshops von Künstler*innen statt, sondern vor allem durch die vielen persönlichen Begegnungen, für die das Goethe-Institut Räume schafft. Diese Begegnungen mit Menschen, nicht nur aus Deutschland und Indonesien, sondern aus der ganzen Welt, haben mir oft die Augen geöffnet für eine andere Perspektive, die ich bis dahin noch nicht so gesehen hatte.
So wünsche ich mir und dem Goethe-Institut, dass es auch in Zukunft möglich sein wird, vielfältige physische und virtuelle Räume zu schaffen, in denen Menschen mit unterschiedlichen Erfahrungen, unterschiedlichen kulturellen und weltanschaulichen Hintergründen zusammenkommen und sich austauschen können. Angesichts der drängenden Fragen unserer Zeit, allen voran die Frage, wie wir in Zukunft auf unserem Planeten Erde leben können und wollen, finde ich solche Begegnungsorte enorm wichtig. Orte, an denen wir Fragen stellen können, auf die es jetzt noch keine Antworten gibt. An denen wir gemeinsam Ideen spinnen und vielleicht Antworten finden können.
- Das Interview wurde von Veriana Devi geführt