Interview mit Hanna Harms
Über das Schicksal der Bienen (und unseres)
Geometrische Motive und stilisierte Formen, die der Natur entnommen sind, die Verwendung von Infografiken, die mit einem minimalen Bildgeschmack überarbeitet wurden, das Einsetzen von Gelb und Schwarz für Naturszenen, die mit den bleiernen Farben der anthropischen Welt kollidieren, ein Text, der in weitläufigen Seiten schwebt, die oft nur mit wenigen Elementen gefüllt sind. In ihrem Debüt „Milch ohne Honig“ (beim Carlsen Verlag erschienen) erzählt Hanna Harms vom Verschwinden der Wildbienen und Bestäuber in einem seltenen Stil, der biologische und ökologische Informationen mit einem poetischen und schwebenden Fluss vermischt, der jedoch das Gefühl einer drohenden Katastrophe für unsere Welt nicht ausschließt und uns mit unserer Verantwortung als Raubtierart par excellence konfrontiert.
Anlässlich der Veröffentlichung des Sachcomics in Italien beim Verlag EDT unter dem Titel „Il mondo senza api“ haben wir die Autorin interviewt.
Von Emilio Cirri
Hallo Hanna und vielen Dank für deine Zeit. Bevor wir über deine Arbeit sprechen, möchte ich dich dem italienischen Publikum vorstellen. Wann hast du beschlossen, dich der Illustration und den Comics zu widmen und was waren deine ersten Schritte?
Als ich klein war, hat mein Vater mir und meiner Schwester oft franko belgische Comics vorgelesen, später habe ich sie dann selbst gelesen. Ich habe schon immer viel gezeichnet und während meines Studiums vor allem illustriert. Trotzdem habe ich seltsamerweise nie daran gedacht, selbst einmal Comics zu zeichnen. Während eines Auslandsemesters in Jerusalem habe ich dann bei der israelischen Comiczeichnerin Rutu Modan meinen ersten Kurzcomic gezeichnet und sofort gemerkt - das möchte ich weiter machen.
Gibt es ein bestimmtes Werk oder einen Künstler*in, der dich dazu gebracht hat, diesen Beruf zu wählen?
Ich glaube, es waren weniger die Arbeiten anderer - obwohl es sehr viele Werke und Künstler*innen gibt, die ich toll finde. Es war eher so, dass ich irgendwann gemerkt habe, dass Illustration für mich ein Weg sein kann, mich mit Themen auseinanderzusetzen, die mich interessieren. Und ich dadurch, dass ich eine Geschichte für mich greifbar mache, versuchen kann, sie auch für andere Personen zugänglich zu machen.
In „Milch ohne Honig“ geht es um ein sehr aktuelles ökologisches Thema, auch wenn es in der Öffentlichkeit nicht immer erforscht und bekannt ist, nämlich das langsame Verschwinden von Wildbienen und anderen Bestäubern. Wie hast du dich diesem Thema genähert und warum hast du dich entschieden, einen Comic darüber zu machen?
Buchcover von Milch ohne Honig von Hanna Harms
| © Carlsen 2022
Vor einigen Jahren habe ich etwas über die enge kulturgeschichtliche Verbindung von Menschen und Bienen gelesen. Gleichzeitig wurden die Nachrichten über das weltweite Insektensterben immer präsenter. Dieses Paradox zwischen einer beinahe göttlichen Erhöhung der Biene und dem gleichzeitigen durch menschliches Handeln ausgelösten Verschwinden von Insekten hat mich nicht mehr so recht losgelassen.
Mich hat die Möglichkeit zur Darstellung komplexer Vorgänge und Zusammenhänge im Comic fasziniert. Das war etwas, das ich unbedingt ausprobieren wollte. Gleichzeitig war es mir wichtig, viele Aspekte einander gegenüberstellen und verbinden zu können – Text und Bild, Gesagtes und Ungesagtes, Poesie und Wissenschaft.
Wie war deine Rechercheprozess? Ich spreche sowohl von der thematischen als auch von der grafischen Ebene.
Da ich mich erst einmal in das Thema einarbeiten musste, habe ich anfangs sehr viel gelesen und von wissenschaftlichen Studien über populärwissenschaftliche Bücher und Dokumentationen bis hin zu Publikationen von Umweltschutzorganisationen so viele unterschiedliche Quellen wie möglich untereinander abgeglichen. Anschließend ist es mir beim Schreiben des Textes etwas schwergefallen, das Thema wieder einzugrenzen und in all den Informationen die Geschichte zu finden, die ich erzählen wollte. Schon während der Recherche habe ich Motive, aber auch Gedanken und Gefühle gesammelt, aus denen ich später die Seiten entwickelt habe. Da das Insektenstreben für mich auch so viel Schwere und Nachdenklichkeit beinhaltet, kam es mir nicht richtig vor, die „klassische Bienenästhetik“ mit sonnengelben Sechsecken und schwarzen Kulleraugen zu bedienen.
Deine Arbeit bewegt sich auf der Grenze zwischen Comic und Bildband: Wie hast du diesen Stil entwickelt?
Da Geschichte so umfangreich ist, habe ich auf der visuellen Ebene vieles abstrahiert. Bei der Darstellung komplexer Zusammenhänge habe ich oft mit Assoziationen und Metaphern gearbeitet. Das entspricht generell etwa der Art, auf die ich meine Gedanken gerne in Bilder übersetze. Die Bilder zeigen, was der Text nicht sagen kann und andersherum. Und dass ich beispielsweise auf Sprechblasen verzichte, ist weniger ein beabsichtigter Bruch mit der konventionellen Comicsprache als eine Schlussfolgerung eines erzählenden Textes ohne Charaktere.
Besonders beeindruckt hat mich die Entscheidung, einen Text zu verwenden, der in den umfangreichen Illustrationen verdünnt erscheint. In vielen Momenten spürt man eine düstere Atmosphäre, fast schon postapokalyptisch, auf jeden Fall post-menschlich (Männer sieht man fast nie, außer in Imkeranzügen). Wolltest du damit ein Gefühl der Gefahr und der drohenden Katastrophe vermitteln?
Das Furchtbare ist, dass das Insektensterben nicht ein dystopisches Szenario der Zukunft ist, sondern bereits stattfindet – seit den 1990er Jahren ist die Gesamtbiomasse der Insekten um 75 Prozent zurückgegangen. Mir war es wichtig zu zeigen, dass diese düstere Zukunft gar nicht so weit entfernt ist, wie sie scheint. Dass ich mich dazu entschieden habe, Menschen nur am Rande darzustellen, hat aber noch einen weiteren Grund. Der Fokus der Erzählung liegt auf den Insekten – aus ihrer Perspektive heraus sind Menschen nur durch ihr Handeln und vor allem die Auswirkungen dieses Handelns von Bedeutung.
Farben sind auch sehr wichtig für dein Werk: ein warmes Gelb, Schwarz und dann matte Grautöne, die auf eine stark erzählerische und symbolische Weise eingesetzt werden. Wie hast du an dieser Farbpalette gearbeitet?
Ich habe versucht herauszufinden, wie viele Farben ich brauche, um alles, was ich möchte, darstellen zu können, ohne die Geschichte noch komplizierter zu machen. Deshalb habe ich die Farbpalette so weit wie möglich eingeschränkt. Ich habe nach einer Farbe gesucht, mit der ich sowohl Bienen als auch Pflanzen und Insektizide darstellen kann und so bin ich bei diesem Gelbgrün gelandet. Damit habe ich alle Farbflächen mit Gouache gemalt. Bleistift für feine Linien und dunkle Flächen. Und noch eine Lachsfarbe für etwas Hoffnung. Am liebsten arbeite ich zumindest teilweise analog, weil mir dabei gestalterische Entscheidungen oft leichter fallen.
Dieser Titel ist dein Debüt in der Comicwelt. Welches Umfeld hast du vorgefunden? Gibt es deutsche Autor*innen, von denen du dich inspirieren lässt oder die dich beeinflusst haben?
Ich habe den Eindruck, dass in der deutschen Comicwelt gerade sehr viel passiert und auch Verlage mutiger werden, unterschiedliche Themen und Perspektiven zu erzählen. Die deutsche Comic-Community ist vergleichsweise eher überschaubar und alle, die ich bisher kennenlernen durfte, sind tolle Menschen, die Freude an schönen Büchern haben.
Beeinflusst hat mich auf die eine oder andere Art vermutlich das meiste, das ich bisher gelesen und gesehen haben. Ich bin aber zum Beispiel Fan von Aisha Franz, Anna Haifisch und Antonia Kühn… Wenn ich an einer eigenen Geschichte arbeite, höre ich aber oft auf, Comics zu lesen. Vielleicht weil ich dann Angst davor habe, zu viele Bilder anderer im Kopf zu haben und die dann unterbewusst nachzuahmen.
Eine letzte Frage, klassisch: Arbeitest du zurzeit an etwas Neuem?
Gerade arbeite ich an einem zweiten Band über die Bedeutung der Wälder und das Waldsterben. Ich bin gespannt, wie lang die Reihe danach noch wird – leider werden mir die Themen zu menschlichen Auswirkungen auf die Umwelt so bald nicht ausgehen…
Vielen Dank für deine Zeit, Hannah!
Das Interview wurde via E-Mail zwischen Oktober/November 2023 geführt.
Hanna Harms
Hanna Harms, geboren 1994, ist Illustratorin und Comicautorin. Sie absolvierte die Münster School of Design mit einem Semester an der Bezalel Academy of Arts and Design Jerusalem. Derzeit studiert sie Illustration im Master. Sie ist Mitherausgeberin und Autorin des Comiczines Sonder. Ihr Projekt Milch ohne Honig wurde 2020 mit dem Ginco Award in der Kategorie Best Non Fiction Comic ausgezeichnet.
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