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Vom Acker

Die Landwirtschaft ist in Deutschland für mehr als sieben Prozent der Emissionen verantwortlich. Gleichzeitig leiden Bauern unter den Folgen des Artensterbens und des Klimawandels. Ein Besuch bei Landwirtinnen, die ihr Feld nachhaltig bestellen.

Von Eva Hoffmann

„Das hier ist mein Albtraum“, sagt Sonia und greift mit beiden Händen in die kalte Erde. Sand rieselt durch ihre Finger. Auf der Handfläche bleibt ein knolliges Büschel Gras und ein Haufen Wurzelmasse. „Quecke“, sagt die Landwirtin mit düsterem Blick. Der Acker ist voll davon. Ein unscheinbares Gewächs, das Wurzelteppiche unter der Erde bildet und andere Pflanzen verdrängt. Sonia, 29, abgewetzte Jeans, Lederstiefel und immer einen großen Hund an der Seite, erwartet einen zähen Kampf. Denn im Sommer soll hier Roggen wachsen; anspruchslos, gut für den Boden und stark genug, die Quecke zu verdrängen. Sonia wird immer wieder von Hand die Büschel entfernen müssen, mit Pferden die Erde pflügen und hoffen, dass die Wurzeln über den Winter abfrieren. Sie weiß, dass es auch viel schneller und leichter gehen könnte.

Bio, das bedeutet in dem jungen Betrieb vor allem: mehr Arbeit und viel Geduld


Ein konventioneller Landwirt würde hart durchgreifen. Mit einem Unkrautvernichter, darin häufig Glyphosat, wäre die Quecke in kurzer Zeit vernichtet. Mit einem Traktor würde das Feld gepflügt, und unliebsame Pflanzen würden plattgemacht. Auf dem Landgut Neuendorf im Sande in Brandenburg geht das nicht. Die „Lawine“, ein Kollektiv aus Landwirtinnen, ist Biobetrieb und Naturschutzverein. Keine chemisch-synthetischen Pestizide, neben organischen nur bestimmte für den ökologischen Landbau zugelassene mineralische Düngemittel. „Wenn wir da jetzt mit einem Traktor drüberfahren, wird der Lebensraum der Mikroorganismen und Kleinstlebewesen im Boden zerstört“, erklärt Sonia, „der Boden muss sich aber regenerieren, wenn er in ein bis zwei Jahren wieder ertragreich sein soll. Deshalb behandeln wir ihn durch die Pferde- und Handarbeit so schonend wie möglich.“

Bio, das bedeutet in dem jungen Betrieb vor allem: mehr Arbeit und viel Geduld. Auf einem Teil der 16 Hektar Acker zwischen Wiesen und Wald baut das Kollektiv seit vergangenem Jahr Gemüse an, das in Kisten gepackt wöchentlich mehr als 30 Haushalte in der Region versorgt. Solawi – solidarische Landwirtschaft – bedeutet, dass die Mitglieder einen Betrag zahlen (ca. 80 bis 100 Euro im Monat), unabhängig vom Ergebnis der Ernte. Im Gegensatz zu konventionellen Bauern, die oft auf maximal drei Monokulturen setzen, achten die Landwirtinnen hier auf Vielfalt auf den Feldern. Mehr als 60 Pflanzenarten wachsen auf ihrem Acker. Sie alle haben unterschiedliche Ansprüche an den Boden, das Klima und ihre Umgebung. Das hat den Vorteil, dass bei Dürreperioden, Kartoffelkäferplagen oder Dauerregen nicht gleich die gesamte Ernte verloren ist.
 Hinter Sonia treibt Gabriele, 54, zwei kräftige Kaltblüter über das Feld. Die Pferde sind noch in der Ausbildung. Eingespannt in ein Geschirr ziehen sie einen Pflug, der tiefe Furchen im Boden hinterlässt. Vor dem hohen Himmel wirkt die Szene romantisch. Aber aus jedem ruckartigen Zug der Pferde, aus jedem Schritt der Bäuerinnen über das holprige Gelände spricht die Anstrengung dieser kleinteiligen Arbeit. Ein harter Kontrast zu den direkten Nachbarn. Die bauen vor allem Mais und Getreide an, ihre riesigen Felder liegen wie Teppiche in der flachen Landschaft. „Auf wirtschaftlicher Ebene sind wir ein lächerlich kleiner Betrieb“, sagt Sonia, „aber trotzdem haben wir mit den Großbetrieben einiges gemeinsam. Egal ob bio oder konventionell – wir alle stehen vor den gleichen Herausforderungen: harte Arbeit, wenig Geld und kaum Wertschätzung.“

Die Zahl der Bauernhöfe nimmt ab, die Nachfrage an Lebensmitteln aber nicht


Obwohl in den letzten Monaten vermehrt Bauern mit ihren Traktoren in den Großstädten für bessere Arbeitsbedingungen demonstrierten, ist das Problem nicht neu. Es ist sogar älter als Sonia selbst: Mit der Öffnung der europäischen Agrarmärkte in den 1990er-Jahren verloren lokale Produkte an Wert, der Wettbewerb trieb viele Kleinbauern in den Ruin. 1994 wurden Einfuhrzölle auf Agrarerzeugnisse gesenkt und Ausfuhrbeihilfen reduziert. Man wollte dadurch die Überproduktion etwa von Milch in der Europäischen Gemeinschaft eindämmen und stellte nun die direkte Einkommensstützung der Bauern in den Vordergrund. Wer konnte, stellte auf Monokulturen und ertragreiche Produkte um. Während 1900 noch 62 Prozent der Erwerbstätigen in der Landwirtschaft arbeiteten, sind es heute nur noch 1,3 Prozent. Dafür versorgt ein Betrieb heute mehr als 14-mal so viele Menschen wie damals.

Die Zahl der Bauernhöfe nimmt ab – nicht mal die Hälfte derer aus dem Jahr 1990 hat überlebt –, die Nachfrage an Lebensmitteln aber nicht. Immer weniger Menschen müssen also immer mehr produzieren. Der Konkurrenzdruck untereinander, aber auch der durch importierte Produkte steigt, wobei die deutsche Landwirtschaft auch viel exportiert. Es lohnt sich einfach nicht mehr, eine Vielfalt an Pflanzen anzubauen. Oft müssen sich Betriebe spezialisieren: Mais, Getreide, Rinderzucht und Milch. In vielen Sparten herrscht ein Überangebot, das zum Beispiel Discounter nutzen, um die Preise zu drücken. Und selbst mit Subventionen reicht es oft gerade zum Überleben, und das, obwohl mehr als ein Drittel des EU-Haushalts in die Landwirtschaft fließt. 2019 waren das in Deutschland über sechs Milliarden Euro.
 Unter einseitigen Subventionen und strengen Saatgutregulierungen leiden vor allem die Landwirte und Landwirtinnen, die Artenvielfalt und das Klima. Gut die Hälfte Deutschlands ist heute Agrarfläche. Viele Streuobstwiesen, Knicks und offene Grünflächen wichen und weichen Monokulturen. Dadurch sind Tausende Pflanzen- und Tierarten gefährdet. Der Biodiversitätsverlust zeigt sich vor allem bei Ackerwildkräutern. 31 Prozent der 582 gelisteten Arten sind mittlerweile selten oder bedroht. Der breite Einsatz von Pestiziden hat Schädlinge resistent gemacht. Die Masse der Fluginsekten sank in den letzten 27 Jahren um drei Viertel. Das Ziel der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt, in Deutschland bis 2020 mindestens zwei Prozent der Landfläche der Verwilderung zu überlassen, wurde verfehlt – derzeit liegt der Anteil bei 0,6 Prozent.

Experten und Expertinnen stufen den ökologischen Landbau als vielversprechende Lösung ein, um Artenvielfalt und Biodiversität zu fördern. Das sieht auch die Politik inzwischen so: So wurde vom Bundesumwelt- und Bundeslandwirtschaftsminsterium im Februar ein Insektenschutzgesetz auf den Weg gebracht, durch das Biotope wie Streuobstwiesen und artenreiches Grünland für Insekten als Lebensräume erhalten bleiben sollen.

„Wie sollen wir unseren eigentlichen Job machen, wenn wir damit beschäftigt sind, Anträge zu schreiben?“


Dabei muss nicht unbedingt alles bio sein. Vor allem müssten die Felder schrumpfen und vielfältiger werden. Gibt es zwischen zwei Monokulturen zum Beispiel einen großen Feldweg, können sich die Ökosysteme viel schlechter verbinden und austauschen als durch viele kleine Pfade zwischen vielen verschiedenen Pflanzen.

Beim Mittagessen im Garten diskutieren die Landwirtinnen in Neuendorf, wie es anders gehen könnte. Es gibt Gemüseauflauf, direkt vom Feld. „Das Problem ist schon die Ausbildung“, sagt Susi, 30, die Ökolandbau und Vermarktung in Eberswalde studiert hat. Dort befindet sich eine der zwei Hochschulen in Deutschland, die ökologischen Landbau als eigenen Studiengang mit Bachelorabschluss lehren. „Es gibt wenig Inspiration für alternative Modelle, selbst dort wird die Landwirtschaft immer ganz groß gedacht.“ Da lernte sie vor allem: Ein Großteil der Arbeit findet nicht auf dem Feld, sondern am Computer statt. Subventionen und Prämien beantragen, Abrechnungen, Steuer, Jahresplanung. Über jede Pflanze muss penibel Rechenschaft abgelegt werden, besonders im Biolandbau. „Den Gemüseacker planen wir auf den Quadratmeter genau, sonst kann es Strafen geben“, sagt Judith. Die Bürokratie ist bei Großbetrieben ein eigener Job. Ein kleiner Hof wie der in Neuendorf kann sich keinen Sekretär leisten. Oft verbringen die Landwirtinnen den Abend nach der Arbeit auf dem Feld noch am Schreibtisch. „Wie sollen wir unseren eigentlichen Job machen, wenn wir damit beschäftigt sind, Anträge dafür zu schreiben, ihn ausführen zu können?“, fragt Katharina, 26.
 Mit ihrem solidarischen Modell haben sie sich ein kleines Stück vom Ertragszwang befreit. Trotzdem bleibt der Anbau von den strengen Regeln des Agrarsystems abhängig. Sie müsen sich an das europäische Sortenschutzgesetzhalten, das Eigentumsrechte an Pflanzenzüchtungen regelt, und von vielen Sorten jedes Jahr wieder extern Saatgut kaufen. Ohne staatliche Zuschüsse können sie in den Startjahren noch nicht wirtschaften. Ein Großteil der Subventionen berechnet sich nach Fläche. Großbetriebe haben dadurch finanzielle Vorteile. Das könnte dazu verführen, mehr von einer Pflanzensorte anzubauen, als man tatsächlich loswerden kann. „Das ist ungerecht“, sagt Katharina, „kleine Betriebe haben viel höhere Kosten pro Quadratmeter.“ Sie findet, ökologische Kriterien sollten ebenfalls beachtet werden. Und auch konventionelle Landwirte müssten Anreize finden, umzudenken.

In Ostbrandenburg gelten die alten Bauernregeln nicht mehr


Der Klimawandel, der von der kommerziellen Landwirtschaft mit vorangetrieben wird, trifft die Landwirte am Ende wie ein Bumerang. In Ostbrandenburg gelten die alten Bauernregeln nicht mehr. Der Boden wird immer trockener, dann wieder regnet es stark. Die Landwirtinnen der „Lawine“ versuchen deshalb, selbst ein „Kleinklima“ für ihr Feld zu schaffen. Naturhecken und Blühstreifen säumen die Felder. Hier siedeln sich Insekten, Spinnen und andere Pflanzen an, wodurch auch größere Nager und Fressfeinde angezogen werden, die das Miniökosystem aufrechterhalten. Schädlinge werden in den Grünstreifen abgefangen, von anderen Tieren gefressen und zerstören so weniger Pflanzen, ganz ohne Pestizide. „Als wir im letzten Sommer mit einem Insektenbuch auf dem Feld standen, waren wir überrascht, wie viele unterschiedliche Arten wir bestimmen konnten“, erzählt Judith, 31. Sechs Tage in der Woche arbeiten die Landwirtinnen. Trotzdem konnten sie sich im letzten Jahr keinen Lohn auszahlen. „Das geht natürlich nur in der Gründungsphase“, sagt Katharina. „Langfristig möchten wir für uns stabile ökonomische Grundlagen schaffen, unabhängig von Subventionen.“ Wenn sie inmitten ihrer Gemüsekisten zwischen Feldsalat, verbogenen Karotten und sandigen Lauchstangen stehen, sind sich alle einig, das Richtige zu tun. Und das dauert eben. Auf lange Sicht sollen die Weideflächen für die Pferde, Naturschutzflächen, Blühflächen und Baumpflanzungen weiter ausgebaut werden. Dieses Jahr sollen Ziegen dazukommen. Die Landwirtinnen träumen von einer Region, in der sie mit ihrer Vision nicht allein sind.

Der Bauer nebenan arbeitet bereits seit ein paar Jahren daran, alternative Wirtschaftszweige in seinen Großbetrieb zu integrieren. Ein anderer verzichtet auf Pestizide auf angrenzenden Feldern zum Biobetrieb. Immer mehr Menschen melden sich für die Solawi-Mitgliedschaft an. In Brandenburg, wo es viel Leerstand gibt, sprießen momentan neue kleine Landwirtschaftsbetriebe aus dem Boden. Um zu überleben, müssen sie sein wie ihr Feind auf dem Acker. Die Quecke. Die Bedeutung des Namens passt zur Einstellung der Landwirtinnen: „zäh und unverwüstlich“.

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