Bericht - Künstlerresidenz an der Villa Kamogawa
Frauke Aulbert
13.1.-28.3.2020 (ursprünglich 7.4.2020)
Mein Aufenthalt an der Villa Kamogawa im Frühjahr 2020 hätte interessanter und ereignisreicher nicht sein können, und zwar in Bezug auf jeden der Umstände: kulturell, musikalisch-künstlerisch, privat und (quasi) weltpolitisch.
Die Anreise erfolgte etwas nach dem eigentlichen Beginn der Residenz (9.1.2020), auf Grund eines Solokonzerts in Budapest erst am 14.1., ein Umweg, welcher sich sehr gelohnt hat. Allein die Organisation der Anreise war eine erste Vorbereitung auf die kulturellen Unterschiede, gab es doch zu jedem Detail z.B. der Zugbuchung für den Airporttransfer oder auch für eine Handy-SIM-Karte seitenweise Informationen und Erläuterungen, um ja nichts ungeklärt zu lassen. Und dies gilt für jene Homepages, auf denen man in den Genuss englischsprachiger Informationen kam.
Mein Residenzprojekt, Geisha-Musik und -Kunst zu lernen, stellte die Ansprechpartner des Goethe Instituts wie erwartet vor große Herausforderungen. Die „Geisha-Szene“ in Japan ist eine eigene Welt im Land, in die man nur über Einladung Zutritt erhält und die damit den allermeisten Menschen verschlossen bleibt. Über das große Engagement meiner Projektbetreuerin konnte ich Unterricht in Kouta erhalten, wörtlich das ‚Kleine Lied‘, welches ein lokales Genre ist und eines der Liedformen, die von Geishas (bzw. Geikos, wie man sie in Kyoto nennt) in den Privatveranstaltungen dargebracht werden. Kouta behandelt lokale Themen und wird zur Shamisen gesungen. Der Unterricht fand zu meinem großen Glück in einem echten Teehaus (jap. Ochaya) statt.
Harukodayu-sensei (Meister Harukodayu) saß mir gegenüber an einem niedrigen Tisch, unter dem sich eine Vertiefung (mit Fußbodenheizung!) befand, in der sich die an das lange Knien nicht gewöhnten westlichen Beine (also: meine) ab und zu ausstrecken konnten. Die Kommunikation fand über eineN DolmenscherIn statt. Die Stücke durften ausschließlich von ihm gelehrt werden. Ich erhielt also Text erst in bzw. am Ende der jeweiligen Stunde. Es fand, wenn Zeit war, eine (sehr) kurze Übersetzung des Inhalts statt, der im Übrigen auch von den offiziellen Interpreten teilweise nicht verstanden wurde, da es sich oft um ältere und vor allem lokale Ausdrucksformen und Verkürzungen handelt. Hier half der Lehrer dann nach. Dann sang er das Stück ein oder mehrmals vor, und ich konnte es anhand der Audiomitschnitte der Stunden zu Hause einstudieren. In der nächsten Stunde erfolgte die Korrektur. Nur einmal bekam ich das gleiche Stück zweimal auf, ansonsten war mein Fortschritt so gut, dass ich ein jeder Stunde ein neues Lied erlernen durfte. Generell lobte er meine Stimme und deren Qualität für dieses Genre, die Beweglichkeit, Aussprache und die sehr rasche Auffassungsgabe.
Noch am Ende der ersten Woche meines Aufenthalts bot sich die Möglichkeit, eine Noh-Aufführung anzuschauen. Eine fünfstündige Musiktheater-Veranstaltung am Sonntagnachmittag, die ich zusammen mit einer Mitstipendiatin besuchte. Eine Besonderheit, die für mich im Weiteren sehr wichtig werden sollte, war die Begegnung mit einer Noh-Meisterin, die gebürtige Amerikanerin ist und seit 40 Jahren in Japan lebt. Tatsushige Udaka, der Sohn ihres sehr weltoffenen Lehrers Udaka-sensei, ist ein fantastischer Sänger, und wurde seit der auf die Aufführung folgenden Woche mein Noh-Lehrer.
In der Villa Kamogawa stand mir zu bestimmten Uhrzeiten der sehr schöne Saal als Proberaum zur Verfügung, der auch genügend Raum für das Bewegungstraining bot, welches für den Noh-Tanz und den auch bald folgenden Unterricht in Kamigata-mai (Tanz aus der Kansai-Gegend, also Kyoto/Osaka) notwendig war. Zunächst musste ich aber ein wenig grundlegende Fitness vorarbeiten, da der vorangehende Winter der erste KiTa-Winter meiner Tochter gewesen war, und monatelange Krankheit mit Brochitissen (!) und Lungenentzündung sämtliche körperliche Ertüchtigung unmöglich gemacht hatten. Das Flussufer des Kamo (Kamogawa – wörtl. der Enten-Fluss) eignet sich übrigens hervorragend zum Joggen.
Unsere Groß-WG war eine sehr schöne Gemeinschaft. Drei der vier Ateliers waren mit KünstlerInnen belegt, die auch Eltern bzw. Familien waren, und diese auch (ganz oder teilweise) in der Villa dabeihatten. Dies versetzte uns gegenseitig in die sehr besondere Lage, zu erleben, wie andere KünstlerInnen ihr Künstlerdasein mit dem Familienalltag vereinbaren. Meine Tochter kam nach ca. der Hälfte meines Aufenthaltes dazu. Unsere Themen waren also eher nicht das Kyotoer Nachtleben, sondern welche Tempel denn mit Kinderwagen gut befahrbar wären. Dies hielt mich nicht davon ab, mit der Praktikantin des Goethe-Instituts durch die Karaokebars zu streifen, eins der liebsten Hobbies der Japaner.
Meine Butoh-Lehrerin Ima Tenko lernte ich auch bei einem Auftritt kennen. Sie performte in einem von ihr mitgeleiteten, winzigen, aber sehr urigen und in Szene gesetzten kleinen Haus, in den nur acht Zuschauer passen. Diese sitzen dicht gedrängt auf dem Boden, wohlgemerkt. Die Live-Shamisen-Musik kommt aus dem erste Stock; man kann die Musikerinnen durch die Bretter erahnen, und die Performerin kommt in ihren luftigen Butoh-Kostümen in Zeitlupe die Treppe heruntergerollt.
Der Unterricht mit Ima-sensei fand in dem gleichen Studio statt, in dem sie mit ihrem Lehrer und seiner Kompanie schon Ende der 70er Jahre lebte. Das Haus hat seit dem keine Änderung erfahren (auch, wenn es die durchaus nötig hätte). Es ist ein krasser Gegensatz zu den Umständen, wie Harokudayu oder Tatsushige (oder auch meine Kamaigata-mai-Lehrerin) lehren und arbeiten. Butoh gibt es ‚erst‘ seit den 50er Jahren, und ist zudem auch im Ausland bekannter und weiterentwickelter als in Japan. Es wird im Ausland auch öfter aufgeführt. Nichtsdestotrotz entfaltet Butoh seine Magie wohl auf Grund der Verbindung zur alten Japanischen Kultur. Ein bisschen vielleicht wie die Commedia dell’Arte, nur fast nackt, erdig, und die verschiedenen Charaktere können allesamt auch in einer Person auftreten. Was mich am meisten fasziniert ist, das Schöne UND das Hässliche auf die Bühne zu bringen, als gleichwertig. Das urtümliche, authentische, und nicht nur das überformte, ausgewählte.
Ich sehe hier den gleichen Ansatz wie den, den ich mit der Stimme verfolge, auch im Körperlichen. Und weiter sehe ich, nach vielen Jahren der Bewegungsarbeit im Bereich Akrobatik und klassisch indischer Tanz, im Butoh für mich die Möglichkeit zur VERBINDUNG von Stimme und Bewegung.
Das, was ich in Kyoto gelernt habe, soll Anwendung finden in einer Kollaboration mit der in Berlin lebenden Shamisen-Spielerin Su Bunjamin, mit der ich die Kouta-Stücke im Original singen werde. Als Teil dieser ‚Kammerpeformance‘ werde ich auch zu einem von mir aufgenommenen Tape, den Kamigata-mai-Tanz Ochaondo (der Weg des Tees) tanzen. Als Einzelperformance entwickele ich für einen Soloabend (Premiere im Oktober in Gießen) eine Butohperformance, in der ich selber tanzen und zu der ich die elektronische Musik gestalten werden.
Im Februar nahm ich Kontakt zu Iori Kolar auf, deren Homepage ich noch von Hamburg aus aufgetan hatte, da sie, als eine der wenigen, auch auf Englisch online ist. Ich bin mir bis heute nicht sicher, ob sie eine Ausbildung zu Geisha durchlaufen hat, bevor sie zum Studium in die USA zog. In jedem Fall hat sie alle Umgangsformen, die hierzu nötig sind. Es war immer sehr formell. Der Unterricht fand in einem mit wertvollen Tatamimatten ausgekleideten Raum statt; sie war in einen edlen Kimono gekleidet. Nach dem ersten Kennenlernen wurde auch ich in einen gehüllt, und hatte ab sofort zu den nächsten Stunden immer einen selbst anzuziehen. Hierzu waren einige Übung und verschiedene YouTube-Tutorials nötig. Zu Beginn jeder Stunde knieten wir auf dem Boden und es gab Tee und eine Mini-Süßigkeit. Dabei sprachen wir nicht viel. Danach beschritt ich formell jene Tatamimatten, auf denen ich dann tanzen würde, inklusive des Grüßens des Raumes bzw. der Götter und der Lehrerin. Nach 1,5 Stunden Unterricht nahmen wir ein Video der gerade durchgenommenen Choreographie auf, während mir der untere Unterkimono bereits auf der Haut festklebte. Die Musik kam von einer Kassette, die schon seit mehreren Jahrzehnten in Gebrauch schien, oder mindestens einige Male dupliziert geworden war. Meine Lehrerin ist wohlgemerkt kaum älter als ich, und der online-Unterricht nach meiner Rückkehr nach Hamburg funktionierte perfekt. Das Festhalten an alten Traditionen wie der Kassette lag jedenfalls nicht an dem Nichtbeherrschen moderner Technik.
Mein Aufenthalt in der Villa Kamogawa wurde seit Anfang Februar durch den Ausbruch des Corona-Virus beeinflusst. Kyoto hat im Gegensatz zu anderen asiatischen Zentren eine fast dörfliche Atmosphäre, was durch das Fehlen der (asiatischen) Touristen im Februar und März sicher noch gesteigert wurde. Wegen Corona wurde auch mein Rückflug abgesagt, und ich verbrachte einige Tage meines Lebens in Warteschleifen von Fluggesellschaften. Der Druck vom Deutschen Konsulat, Japan zu verlassen, erreichte auch uns Stipendiaten, und jedeR von uns kämpfte einige Wochen darum, sein/ihr jeweiliges Projekt doch noch abschließen zu können, bevor er bzw. sie Japan in mitten in der Kirschblüte vorzeitig verlassen musste.
Für den 28.3. hatte Iori-san ein Tanz-Opfer an dem Schrein in ihrem Stadtteil Iwakura organisiert, an dem ich auch teilnehmen durfte. Pay to play, aber trotzdem war es eine sehr sehr große Ehre. Schon alleine, dass sie mir das nach nur zwei Unterrichtsstunden zutraute! Außerdem fragte sie mich noch, ob ich auch etwas singen würde, und ich entschied mich für zwei lokale Stücke aus meinem Kouta-Repertoire. Es war für mich eine Art persönliche kleine Abschlussprüfung auch für zukünftige Projekte mit diesem Repertoire, ob ich in Japan japanische traditionelle Kunst aufführen könnte und damit ernst genommen würde. Und ja, es war ein Erfolg!
Drei Stunden nach dem Auftritt befand ich mich auf dem Weg zu Flughafen, um zwei Wochen vor meinem geplanten Rückflugdatum zurück nach Deutschland zu fliegen.
Ich habe mich in Japan ab dem Moment zu Hause gefühlt, ab dem ich anfing, dort Gesang und Tanz zu lernen, wenige Noten intensiv zu studieren, statt viele nach kurzer Zeit schnell auf die Bühne zu bringen. Diese Art der intensiven, suchenden Auseinandersetzung vermisse ich im aktuellen Neue-Musik-Business, und es ist etwas, was ich unbedingt in meine Arbeit einbringen möchte.
Ich danke sehr herzlich dem Goethe Institut Kyoto und Frau Brigitte Feldtmann für die großzügige Unterstützung dieses Projekts, und meinen Lehrern Tenko-sensei, Harukodyu-sensei, Kolar-Yoshimura-sensei und Udaka-sensei sowie den Vermittlerinnen Frau Shigemori, Prof. Takeuchi und Frau Teele-Ogamo für die fortwährende Unterstützung und Inspiration!