Ein Buchladen für Kafka

Autor Seong-hun Kang, Besitzer des einzigartigen Kafka-Buchladens in Jeonju, teilt mit uns seine Leidenschaft für klassische Literatur. Erfahren Sie mehr über die Aktivitäten seines Buchclubs und seine Neu-Interpretation des Endes von „Die Verwandlung“.

Kafka Buchladen © Seong-hun Kang

Bitte stellen Sie sich kurz vor.

Hallo, ich bin Seong-hun Kang, Inhaber der Buchhandlung BooKafka. Anstatt über mich persönlich zu sprechen, wäre es meiner Meinung nach besser, mich in meiner Arbeit als Buchhandlungsleiter und meine Buchhandlung selbst etwas genauer vorzustellen. 
 

Kafka Buchhandlung Jeonju © Seong-hun Kang



Ich habe die Buchhandlung im Jahr 2013 eröffnet und führe sie seitdem. BooKafka möchte eine auf Literatur spezialisierte Buchhandlung und ein kreativer Ort sein. Wir träumten von einem Platz, an dem wir gemeinsam lesen und schreiben können. Wir veranstalten verschiedene Buchklubs, einer der ältesten ist der Kafka-Lesekreis, den es seit etwa sechs Jahren gibt. Angefangen hat es mit einer kleinen Gruppe, in der wir alle Bücher von Kafka lasen. Danach haben wir uns die gesamten Werke mehrerer Schriftsteller, darunter Borges, angesehen. Mittlerweile lesen wir verschiedenste literarische Werke und Philosophiebücher. Wir lesen meist Bücher, die allein schwer zu lesen sind, oder organisieren Treffen, bei denen wir die Werke der Anderen lesen und diskutieren. Das ist Teil meiner Arbeit als Buchhändler, aber auch, weil ich ein großes persönliches Interesse daran habe.
 

Buchclub Buchhandlung Kafka © Seong-hun Kang

Warum gaben Sie Ihrem Buchladen den Namen Kafka?

Kafka ist einer meiner persönlichen Lieblingsautoren. Als ich mit der Planung des Raums begann, wollte ich ihn nach einem meiner Lieblingsautoren benennen, und ich wählte Kafka aus einer langen Liste von möglichen Autor*innen aus. Es ist mir eine Ehre, den von mir geleiteten Raum Kafka nennen zu dürfen, und ich hoffe, dass es ein Raum ist, der ihm würdig ist. Es ist nicht einfach, aber ich versuche, einen Raum zu bieten, der zutiefst literarisch und lebendig ist. 

Wenn ich diese Buchhandlung nicht eröffnet hätte, würde ich meiner Meinung nach auf jeden Fall nach eine besuchen, die den Namen Kafka trägt. Ich finde es sehr passend, dass sein Name hinter der Buchhandlung steht.
 

Buchhandlung Kafka Bücher © Seong-hun Kang

Franz Kafkas Roman „Die Verwandlung“ ist einer der beliebtesten Romane in Korea. Was ist Ihrer Meinung nach der Grund dafür?

Jeder träumt von einer Verwandlung. Aber oft ist es eine Verwandlung, um mit dem Status quo zu brechen oder um ein neues Leben zu beginnen. Wir hoffen also auf etwas Besseres als das, was wir im Jetzt haben. Kafkas Verwandlung ist genau das Gegenteil davon. Dennoch liegt der Grund, warum es in Korea so beliebt ist, wahrscheinlich darin, dass wir wissen, dass in der Transformation eine große Energie steckt, die den derzeitigen Status quo ablehnt. Kafkas Verwandlung hat eine revolutionäre Kraft. Wenn der Protagonist Gregor Samsa ein nützlicher Gestaltwandler geworden wäre, hätte er entweder die Arbeit gemacht, die er bisher erledigt hat. Oder er hätte wahrscheinlich zumindest etwas für seine Familie getan. Wäre er ein Hund geworden, hätte man ihm die Aufgabe übertragen, das Haus zu bewachen. Oder man hätte durch seinen Verkauf Geld verdient. Ein unnützes Insekt zu werden bedeutet jedoch, völlig außerhalb der bestehenden Ordnung zu stehen. Es macht uns bewusst, dass die Grenze zwischen nützlich und unbrauchbar überall in unserer Gesellschaft existiert. Was für eine Art von Existenz bin ich? Habe ich nur einen Wert, wenn ich für jemanden oder für die Gesellschaft nützlich bin? Kann das Lebewesen Käfer nicht an sich schon einen Wert haben? Solche Fragen werden aufgeworfen. Die koreanische Gesellschaft ist eine grenzenlose Wettbewerbsgesellschaft, in der Menschen nur dann überleben können, wenn sie ihren Wert damit begründen, von Nutzen zu sein. Deshalb denke ich, dass „Die Verwandlung“ hier so beliebt ist.
 

Was ist Ihr Lieblingsspruch von Kafka? Und warum?

Ich liebe den ersten Satz eines jeden Kafka-Romans. Wenn ich Kafkas ersten Satz lese, habe ich das Gefühl, ein Labyrinth zu betreten. Dieses Labyrinth hat jedes Mal einen anderen Ausgang, so dass der erste Satz jedes Mal, wenn ich ihn erneut lese, eine andere Bedeutung bekommt.

Kafkas Roman „Das Schloss“ beginnt mit: „Es war spät abends, als K. ankam.“ In dem Moment, in dem Sie diesen Satz lesen, betrete ich zusammen mit K. das Schloss. Ich folge dem Weg, den Kafka anführt, aber die Landschaft, die ich vorfinde, verändert sich jedes Mal. Vielleicht liegt es daran, dass ich älter werde und mein Leben und meine Erfahrungen sich verändert haben, aber ich denke, es sind nicht nur meine persönlichen Erlebnisse, die eine Rolle spielen. Kafka ist ein Schriftsteller, der seine Leser*innen in verschiedene Landschaften und auf unterschiedlichstee Wege führt. Deshalb halte ich den ersten Satz eines jeden Kafka-Romans für den besten Satz.

Sie sind nicht nur als Buchhändler, sondern auch als Romanautor bekannt. Wenn Sie das Ende von „Die Verwandlung“ neu schreiben würden, wie würde die Geschichte enden?

Ich habe nie darüber nachgedacht, einen Roman wie „Die Verwandlung“, der ein perfektes Ende hat, anders zu schreiben. Das ist das erste Mal, dass ich über diese Frage nachdenke...

Mir kommt der Gedanke, dass am Ende die jüngere Schwester den Platz ihres älteren Bruders einnehmen sollte. Es wird angedeutet, dass jetzt die jüngere Schwester diejenige sein wird, die die Familie ernährt, und dass sie möglicherweise genauso wie ihr älterer Bruder zu einem Insekt wird. Auch denke ich, dass es gut wäre, wenn die jüngere Schwester selbst erkennt, dass sie sich in der Position ihres älteren Bruders befindet. Deshalb hoffe ich, dass sie vor ihrem Vater und ihrer Mutter davonlaufen oder unabhängig werden könnte. Ich denke, dass vielleicht die Situation selbst eine Metamorphose darstellt. Das Ende von „Die Verwandlung“, wäre der Durchlauf einer Transformation der jüngeren Schwester, die sich von ihrer Familie loslöst, um eine neue Version von sich selbst zu finden. Ich hoffe, dass ihre Verwandlung eine wäre, die sie nicht von der Familie abhängig macht, auch wenn sie auch zu einem nutzlosen Insekt werden würde.

Was ist neben „Die Verwandlung“ Ihr Lieblingsroman von Franz Kafka? Oder wenn Sie einen weniger bekannten Roman von Franz Kafka empfehlen würden, welcher wäre das?

Ich mag den Roman „Ein Hungerkünstler“. Wie die meisten Romane Kafkas definiert er das Leben nicht auf eine bestimmte Weise. Die Kunst des Fastens wird von vielen zelebriert, doch mit der Zeit verblasst sie. Doch der Künstler hört nicht auf zu hungern. Der Grund dafür ist, dass er kein Essen finden konnte, das seinem Geschmack entspricht. Wir Menschen essen, weil es uns schmeckt, wir essen auch, wenn es uns nicht schmeckt, wir essen, und wir machen weiter mit unserem Leben. Der Hungerkünstler jedoch kann das nicht. Es ist unwahrscheinlich, dass der Hungerkünstler aus reiner Sturheit fastet, denn wenn er nichts isst, wird er sterben. Der Hungerkünstler will zum Fastenbrechen eine Speise suchen und finden, die seinem Geschmack entspricht. So wie wir bis zu unserem Tod einen Sinn im Leben suchen und hoffen diesen zu finden. Essen, das dem eigenen Geschmack entspricht, kann die ultimative Wahrheit sein, nach der ein Hungerkünstler sucht. Ebenso wie der Hungerkünstler es bis zu seinem Tod nicht finden konnte, hat auch Kafka es nicht gefunden. Wichtiger als die Wahrheit, die er nicht finden konnte, ist jedoch die verzweifelte Suche des einzelnen Künstlers, der dem Sterben immer wieder entgehen will. Ich denke, dass die Suche nach einer Speise, die dem eigenen Geschmack entspricht, eine Suche nach der Wahrheit ist. Ich denke, dass Kafka und der Hungerkünstler ähnlich sind, und vielleicht hat auch mein Leben zeitweise Parallelen zu dieser geschichte aufgewiesen.
 

Buchhandlung Kafka Bücher © Seong-hun Kang

Haben Sie eine Botschaft für die Leser*innen, die noch immer klassische Literatur lieben?

Die klassische Literatur ähnelt dem Menschen. Wenn man einfach den Trends der Zeit gefolgt wäre, wäre es heute schwierig gewesen, sie zu lesen. Ich denke, der Grund dafür, dass es jenseits der Trends oder des Zeitgeists gelesen wird, liegt darin, dass es, wie ich bereits sagte, der menschlichen Natur ähnelt. Ich denke, das Gleiche gilt auch für Kafkas „Die Verwandlung“. Dinge, die sich im Laufe der Zeit ändern, und Dinge, die gleich bleiben, werden miteinander vermischt. Die Literatur erzählt viele Geschichten über sich verändernde Leben auf der Grundlage einer unveränderlichen menschlichen Natur. Auf diese Weise bringt uns die klassische Literatur dazu, über die Grundlagen des Lebens nachzudenken, die uns so vertraut sind, dass wir sie oft vergessen. Gute Literatur fragt uns immer wieder, wo diese Grundlagen sind, durch die verschiedenen Leben der Zeiten, und hilft uns, sie für uns selbst zu finden, weil wir sie manchmal vergessen. Ich möchte Sie ermutigen, hin und wieder oder oft klassische Literatur zu lesen und sich in den Fragen, die sie stellt, nicht zu verlieren.


 

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