Kafka & Graphic Novels

Professorin Sunghwa Kim beleuchtet die negative gesellschaftliche Wahrnehmung von Comics und die Vorurteile zwischen Hoch- und Subkultur. Entdecken Sie mit ihr die enge Verbindung von Literatur und Comics anhand von Nicolas Mahlers Werk „Kafkas nonstop Lachmaschine“.

Professorin Sunghwa Kim © Goethe-Institut Korea

Bitte stellen Sie sich kurz vor.

Hallo! Ich bin Sunghwa Kim. Schön, alle, die sich für Kafka und Graphic Novels interessieren, kennenzulernen. Ich forsche und unterrichte über deutsche Literatur, Literatur im allgemeinen und Medien sowie Graphic Novels. In Deutschland führe ich ein Forschungsprojekt zu Nicolas Mahlers Graphic Novels durch. Im Alltag interessiere ich mich für die verschiedenen Beziehungen zwischen Literatur und Malerei. Außerdem forsche ich über Graphic Novels, Comics, Illustrationen und Literatur.
 
 

Kafkas Romane werden oft als Graphic Novels veröffentlicht. Was denken Sie ist der Grund dafür?

Tatsächlich erfreuen sich Kafkas Werke auch heute noch großer Beliebtheit in Form von Graphic Novels, Comics, Filmen, Theaterstücken und Musicals. Doch Graphic Novels, die Kafkas Werke beinhalten, gibt es nicht nur im deutschsprachigen Raum. Sie leben auch in den Werken von Cartoonisten aus verschiedenen Ländern wie dem Amerikaner Peter Cooper sowie dem Franzosen Eric Corbeyran weiter. Kafka ist wohl der Autor, dessen Werk am häufigsten illustriert wird, darunter auch „Die Verwandlung“, obwohl Kafka selbst einmal gegenüber einem Illustrator darauf bestand, dass die Käfer in „Die Verwandlung“ niemals gezeichnet werden sollten.

Ich denke, der Grund, warum Kafkas Werke von so vielen verschiedenen Kunstformen, einschließlich der Graphic Novels, aufgegriffen werden kann, liegt in den Räumen von Kafkas Texten. Ich denke, der Grund, warum ich den Ausdruck „Räume“ verwende, liegt darin, dass Kafkas Schriften eher metaphorisch als logisch, eher intuitiv als analytisch sind und als Bilder in den Vordergrund gerückt werden. Die Unverständlichkeit der Welt in Kafkas Werken ist etwas, das weder erläutert noch logisch erklärt werden kann. Deshalb bleibt ein Raum in Kafkas Texten, und ich denke, das ist das, was viele Illustrator*innen von Graphic Novels inspiriert.

Die zahlreichen Interpretationsmöglichkeiten, die Kafkas Texte bieten, laden die Graphic Novel-Künstler*innen dazu ein, ihre Interpretationen in Bildern auszudrücken. So wie Kafkas Werke in schriftlicher Form interpretiert wurden, sei es in Form von Buchbesprechungen oder akademischen Abhandlungen, glauben die Künstler*innen der Graphic Novel, dass sie als Leser*innen von Kafkas Werken ihre eigenen Interpretationen durch das Medium der visuellen Bilder schaffen.

Warum haben Sie sich unter den vielen Graphic Novels mit Kafka-Bezug auf das Studium der Comics von Nicolas Mahler konzentriert?

Ja, zunächst einmal freue ich mich sehr, dass Sie sich für Nicolas Mahler interessieren. Mein Forschungsprojekt beschäftigt sich auch mit deutschsprachigen Graphic Novels. Unter anderem konzentriere ich mich auf die Forschung der literarischen Adaptionen des österreichischen Karikaturisten Nicolas Mahler. Das erste Werk, das ich in Korea vorstellte, war das Buch „Franz Kafkas nonstop Lachmaschine“, ein sehr witziger Kommentar zu den negativen gesellschaftlichen Wahrnehmungen und Vorurteilen gegenüber Comics, in dem der Cartoonist seine eigenen autobiographischen Erfahrungen als Episoden verarbeitet.

Wenn Sie sich fragen, warum Kafkas Name in der Pointe des Buches vorkommt, dann hat das mit der lächerlichen Verwechslung von Kafka und dem Cartoonisten „Kauka“ in einer der Episoden zu tun. Die Kunst des Cartoons und die gesellschaftlichen Wahrnehmungen und Vorurteile der Hoch- und Subkultur sind ein wichtiges Thema in der Serie, und ich würde sagen, es ist eine witzige Auseinandersetzung mit den Vorurteilen und der gesellschaftlichen Stigmatisierung von Cartoons, die Mahler selbst immer wieder begegnet.

Moment Mal!
Sind Comics von niederer Kultur?
Können Comics nicht als Literatur eingestuft werden?

Wie viele Berührungspunkte gibt es zwischen Kafka, einem der prominentesten Vertreter der Hochkultur, und Kauka, einem Karikaturisten, der einen ähnlichen Namen wie er trägt, aber als Subkultur gilt?

Kafka und Kauka,
In diesem Comic, der mit der Verwechslung der Namen der beiden Männer beginnt, bringt Nicolas Mahler auf witzige Weise die gesellschaftlichen Vorurteile gegen Comics und das Leben eines Cartoonisten in Episodenform zum Ausdruck. Besonders interessant fand ich, dass er die Vorurteile gegen Comics in Form eines Comics zum Ausdruck bringt.

Ich war fasziniert von Mahlers Perspektive auf die Kunst des Comics, auf das Spannungsfeld von Literatur und Comics, auf Hoch- und Subkultur. Ich würde sagen, dass eine der Perspektiven meiner Forschung darin besteht, aus einer kulturgeschichtlichen Sicht zu untersuchen, was die gesellschaftliche Wahrnehmung, Cartoons seien schlecht für die Bildung und eine minderwertige, vulgäre und nur zu alltägliche Form der Unterhaltung, verursacht hat. Dabei beschäftige ich mich mit der Gegenwart des Comics, wobei die Hauptthemen das gesellschaftliche Bewusstsein und die zukünftige Ausrichtung des Comics sind.

Kafka träumte davon, Maler zu werden, bevor er Schriftsteller wurde. Empfehlen Sie uns bitte ein Buch, in dem wir Kafkas Gemälde bewundern können.

Ja, Kafka hat in der Tat eine ganze Reihe von Zeichnungen hinterlassen, und seine Gemälde sind durch seinen Freund Max Brod bekannt geworden, der auch Kafkas posthume Werke veröffentlichte. Er ist als Freund Kafkas bekannt, der sich nach dessen Tod nicht an sein Testament hielt, dass ihm befohlen hatte, alle seine Manuskripte zu verbrennen. Nur dadurch, dass Max Brod sich nicht an Kafkas Wunsch hielt, können wir heute noch Kafkas Werke bestaunen. Max Brod hinterließ verschiedene Aufzeichnungen über Kafkas tiefes Interesse an Kunst und Kunstgeschichte während der Kindheit sowie über die Zeichnungen, die Kafka anfertigte. Im Jahr 2021 ist die vollständige Sammlung von Kafkas Zeichnungen im Münchner C. H. Beck-Verlag erschienen. Diese Sammlung ist eine wichtige Quelle, die nicht nur Kafkas Interesse an Kunst widerspiegelt, sondern auch einen Großteil der Zeichnungen umfasst, die Kafka hinterlassen hat. Daher möchte ich diese Sammlung jedem empfehlen, der sich für Kafka-Zeichnungen interessiert.

Was ist ihr Lieblingsspruch von Kafka? Möchten Sie auch ein Wort an zukünftige Leser*innen richten, die Kafka noch nicht kennengelernt haben?

Ein Spruch lautet: „Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns.“ Dieser Satz wurde in einem Brief erwähnt, den Kafka 1904 an Oskar Pollak schrieb, und ich werde einen Teil des Briefes zitieren: „Ich glaube, man sollte überhaupt nur solche Bücher lesen, die einen beißen und stechen. Wenn das Buch, das wir lesen, uns nicht mit einem Faustschlag auf den Schädel weckt, wozu lesen wir dann das Buch? Damit es uns glücklich macht, wie Du schreibst? Mein Gott, glücklich wären wir eben auch, wenn wir keine Bücher hätten, und solche Bücher, die uns glücklich machen, könnten wir zur Not selber schreiben. Wir brauchen aber die Bücher, die auf uns wirken wie ein Unglück, das uns sehr schmerzt, wie der Tod eines, den wir lieber hatten als uns, wie wenn wir in Wälder vorstoßen würden, von allen Menschen weg, wie ein Selbstmord, ein Buch muß die Axt sein für das gefrorene Meer in uns.”

Natürlich können wir uns der Literatur zum Vergnügen nähern, aber ich denke, dass die Literatur als Axt, also so etwas wie eine Axt, uns dazu bringt, uns unserem Leben zu stellen. Es bringt uns dazu, uns selbst zu betrachten, unsere verhärteten Ansichten über das Leben zu überdenken und unser Leben zu verändern. Ich denke, darin liegt noch immer die Relevanz von Kafkas Werken. In diesem Jahr, dem 100. Todestag von Kafka, möchte ich Ihnen die Lektüre von Kafkas Werken wärmstens empfehlen.
 

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