Lang Lee:

Eine Stimme gegen Diskriminierung

Bei den 31. Seoul Music Awards 2022 ließ die Musikerin Lang Lee „Antidiskriminierungsgesetz jetzt“ in Gebärdensprache kommunizieren. Bei der Seoul Queer Parade 2024 forderte sie lautstark ein Diskriminierungsverbot. Ob wohl irgendwann der Tag kommt, an dem Lang Lee nicht mehr gegen Diskriminierung ansingen muss?
 

Lang Lee © privat

Stellen Sie sich bitte kurz vor.

Guten Tag. Ich heiße Lang Lee, wurde 1986 geboren und lebe und arbeite als Künstlerin in Seoul, Südkorea. Ich bin nicht auf einen bestimmten Bereich festgelegt, sondern arbeite in meinem Schaffensprozess mit verschiedenen Medien wie Liedern, Texten, Film und Malerei. Durch das Medium der Kunst möchte ich mich der Armut und den Qualen, dem Tod und der Trauer, der Angst und der Einsamkeit um uns herum stellen und mit einer größeren Vielfalt von Menschen in Verbindung treten.

Ich war unter dem Eindruck, dass Sie nicht zu einer sexuellen Minderheit gehören. Doch Sie sind eine der lautesten Stimmen im Kampf für die Rechte queerer Menschen und treten häufig für die Positionen von Menschen ein, die diskriminiert werden, nicht nur aufgrund ihrer sexuellen Orientierung. Was ist ihre Motivation?

Ich habe mich nie öffentlich dazu geäußert, ob ich zu einer sexuellen Minderheit gehöre oder nicht. Aber ich denke, dass jeder Mensch, und sei es nur ein kleiner Teil von ihm, „queer“ ist.
 
Der Grund, warum ich mich für die Geschichten von verschiedenen Minderheiten interessiere, einschließlich queerer Menschen, ist, „weil sie existieren“. Sie existieren, aber ihre Geschichten sind kaum zu sehen und zu hören. Ich habe das Gefühl, dass in unserer Gesellschaft oft nur die Geschichten von jungen, gesunden, extrovertierten oder wohlhabenden Menschen erzählt werden. Ich denke, es müssen noch mehr ungehörte Geschichten noch öfter und noch lauter erzählt werden.

Und ich sehe Künstler*innen in der Verantwortung dafür, sich diesen Geschichten als Erste zu nähern. Existierende Dinge neu und aus anderen Blickwinkeln zu betrachten und darüber hinaus neue Blickweisen und Gedanken einzubringen, ist schließlich die Aufgabe von Künstler*innen.

Lang Lee 1 © privat

Der Anblick, wie Sie bei der Seoul Queer Parade 2024 ein Konzert auf dem Laster unter dem Motto “Ehe für  – Just Marriage“ gaben, hat mich sehr beeindruckt. Wie ist es dazu gekommen? Und davon ausgehend: Denken Sie, dass die gleichgeschlechtliche Ehe in Korea legalisiert wird, und welche Aktivitäten und Bemühungen entfalten Sie dafür?

Ich unterstütze das patriarchalisch und konfuzianisch geprägte System der Ehe eigentlich nicht, da es die vielfältigen Bedürfnisse der Menschen in der heutigen Zeit nicht widerspiegelt. Aber die Ungleichheit, dass gleichgeschlechtliche Paare der Zugang zu diesem System verwehrt bleibt, ganz gleich, wie fehlerbehaftet es ist, darf es aus meiner Sicht nicht geben. Jeder muss das Recht haben, sein Leben mit dem Menschen zu leben, den er liebt, und rechtlichen Schutz für diese Beziehung und dieses Leben erfahren. Deswegen möchte ich den Kampf für die Legalisierung unterstützen. Und ich erwarte, dass die gleichgeschlechtliche Ehe eingeführt wird. Denn das Recht und die Gesellschaft müssen gemäß der vielfältigen Bedürfnisse der Menschen, die in der jeweiligen Zeit leben, geändert und gestaltet werden. Bei der Seoul Queer Parade liefen 150.000 Menschen mit. Allein diese Zahl lässt erahnen, dass wir nicht von einer fernen Zukunft reden.

Ihr Album “There is a Wolf (늑대가 나타났다)” gewann 2022 bei den Korean Music Awards sowohl “Album des Jahres” als auch “Bestes Folkalbum”. In dem Album ist auch eine Neuaufnahme der Single „The Generation of Tribulation“ („Die Generation des Leidens“, Originaltitel „환란의 세대”) enthalten, bei der sie mit dem Unnie Choir (아는언니들) kooperieren – einem Chor aus Frauen, die die Ehe ablehnen oder sich selbst als queer oder feministisch sehen. Diese Version weckte noch einmal ganz andere Gefühle als das Original. Was bewegte Sie zu dieser Kooperation, und wie haben Sie sie erlebt?

In unserer heutigen Gesellschaft werden Minderheiten offensichtlich diskriminiert. Ich weiß, dass es da großen Mut erfordert, offen zu sagen, dass man als Chor über „die Ablehnung der Ehe, das Queersein und Feminismus“ singt. Deswegen wollte ich mit diesem mutigen Chor zusammenarbeiten. Viele Mitglieder des Chores veröffentlichen ihren Namen und ihr Gesicht nicht. Sie leben in ihrem Alltag in sehr unterschiedlichen Umständen, und das könnte dort zu Bedrohungen oder Nachteilen führen. Ich denke, dass das auch der Grund ist, warum es in der koreanischen Gesellschaft kaum Schauspieler*innen, Prominente oder berühmte Persönlichkeiten gibt, die sich öffentlich als queer geoutet haben.

Wenn man sich in der queeren Community bewegt, nimmt man traurigerweise häufig an Beerdigungen teil. Wenn man nur ein wenig Interesse zeigt, kann man sofort erkennen, wie häufig Selbstmord und Selbstmordgedanken unter queeren Jugendlichen und jungen Menschen vorkommen. Ein einzigartiges und wertvolles Leben nach dem anderen wird ausgelöscht, und ich finde das äußerst traurig und bedauerlich. Ich will mich von niemandem mehr verabschieden müssen. Deswegen habe ich das Lied „The Generation of Tribulation“ aufgenommen. Ich hoffe sehr, die mutigen Stimmen des Unnie Choirs, die in dem Lied verewigt sind, werden gehört und erreichen jemanden, der irgendwo im Geheimen einen einsamen Kampf führt.

Lang Lee II © privat

Als Sie zu den Seoul Music Awards eingeladen wurden, einer Preisverleihung der K-Pop-Branche, kommunizierten sie während ihres Auftritts in Gebärdensprache die Botschaft „Antidiskriminierungsgesetz jetzt“. Manche wenden ein, dass die Verabschiedung eines Antidiskriminierungsgesetzes zu beträchtlichen Einschränkungen der Meinungsfreiheit führen könnte. Wie sehen Sie diese Einwände?

Die „Freiheit“, von der wir so oft sprechen, bedeutet nicht, dass jeder so leben kann, wie er will. Wir sind nicht allein, sondern leben in einer Gemeinschaft, deswegen muss man seine „Freiheit“ mit großem Verantwortungsgefühl ausüben. Aber ist eine Freiheit, die Minderheiten ausschließt, wahre Freiheit? In unserer heutigen Gesellschaft ist die Freiheit schon ungleich verteilt. Wir müssen mit allen, die in der heutigen Zeit leben, neu aushandeln, was wahre Freiheit und Gleichberechtigung bedeutet. Und der erste Schritt dazu ist aus meiner Sicht ein Antidiskriminierungsgesetz.

Lang Lee III © privat

Als Ihre drei Jahre ältere Schwester verstarb, haben Sie bei der Beerdigung eine Performance gegen Geschlechterdiskriminierung abgehalten. Können Sie das für alle, die bisher nicht davon gehört haben, noch einmal erzählen?

Es handelte sich nicht um eine „Beerdigungsperformance“, um etwas zu kritisieren. Ich habe mich nur darum bemüht, angesichts eines plötzlichen Todes und im Rahmen eines Bestattungsprozesses, den wir nicht hatten vorbereiten können, eine Beerdigung durchzuführen, die den Wünschen meiner verstorbenen Schwester, unserer Familie und mir entsprach.
 
Doch im Laufe dessen erfuhr ich nach und nach am eigenen Leib, wie patriarchalisch und geschlechterdiskriminierend die derzeitige Beerdigungskultur ist. Gleich zu Beginn hörte ich, dass eine Frau nicht als Vertreterin der Angehörigen dienen und die entsprechende Armbinde tragen kann. Meine Familie und ich hielten es für angemessen, dass ich die Familie vertrete – und das sollte nicht gehen, nur weil ich eine Frau bin? Ich traute meinen Ohren nicht.

Mir blieb nichts anderes übrig, als dem Mitarbeiter des Beerdigungshauses, der mir die Armbinde nicht geben wollte, zu sagen, dass ich keine Frau bin. Nachdem ich so also die Position des Familienvertreters eingenommen hatte, stellte ich ein Bild auf, in dem meine Schwester mit ihrem Hund auf dem Rücken fröhlich lachte, und schmückte den Altar mit Dingen, die sie zu Lebzeiten mochte: ihre Ohrringe, ein Diadem und einen Zauberstab sowie ein prächtiges Tanzkostüm mit goldenen Fransen.

Meine Schwester war von Beruf Sonderschullehrerin, hatte aber fast 20 Jahre als Hobby lateinamerikanische Tänze getanzt. Zum Abschluss der Beerdigung führte die Tanzgruppe, zu der meine Schwester gehört hatte, daher wie geplant einen Tanz zur Musik einer ihrer Aufführungen auf. Aus meiner Sicht muss eine Beerdigung nicht unbedingt in einer stillen und ernsten Atmosphäre abgehalten werden, sondern so wie die Menschen, die Zeit mit dem oder der Verstorbenen verbracht haben, es sich wünschen. Ich war sehr froh, dass ich die Beerdigung meiner Schwester mit diesen Menschen gestalten und mit ihnen gemeinsam weinen, lachen und Zeit verbringen konnte.

Lee Lang IV © privat

Sie erschaffen Geschichten, sei es in Form von Liedtexten oder Manhwa-Dialogen, und kommunizieren dadurch Botschaften an die Öffentlichkeit. Welche Botschaft möchten Sie heute, im Jahr 2024, kommunizieren?

Seltsamerweise sieht man mit jedem Tag weniger Menschen, die sagen, dass sie ein angenehmes Leben führen. Ich habe das Gefühl, dass jeder an seinem Platz Tag für Tag kleine und größere Schlachten ausfechten muss. Wir leben in einer so hoch entwickelten, zivilisierten Gesellschaft und Stadt, und doch gibt es immer mehr Menschen, die einsam sind, leiden, Angst haben und zugrunde gehen. Warum? Liegt es an der Leistungsgesellschaft, in der jeder, der nicht reich, stark und schlau ist, als „nutzlos“ abgetan wird? Um den Grund dafür zu erfahren, schaue ich Nachrichten, lese Bücher, besuche verschiedene Orte und versuche vor allem, möglichst viele verschiedene Menschen zu treffen.

Ich mag Menschen, die ihre Schwächen kennen, sich immer wieder hinterfragen und sich darum bemühen, auch die Schwächen anderer zu verstehen. Ich mag das Bemühen solcher Menschen, den Kontakt zu anderen zu suchen, und dass sie teilen möchten. Diese Wärme und Flexibilität macht für mich die Schönheit der Gattung Mensch aus. Und man spürt, dass ein flexibler Zustand der stärkste Zustand ist.

Ich bin überzeugt: Alle haben das Vermögen, das Leben von denen, die anders als sie selbst sind, anzunehmen, nicht darüber zu urteilen und gemeinsam mit ihnen zu leben. Mit allem Unbekanntem, mit allem Fremden. Wir alle haben es in der heutigen Welt ohnehin schon schwer genug. Ich möchte, dass wir uns alleine dafür, dass wir unser Leben bewähltigen, schon gegenseitig loben und unterstützen. Und zum Schluss möchte ich noch eines sagen: Das Leben eines jeden Menschen ist unvergleichlich und einzigartig und deswegen wertvoll und schützenswert.

Lang Lee V © privat

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