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Über Stille – Andreas Dresen im Interview

Andreas Dresen
Andreas Dresen | Foto (Ausschnitt): © Berlinale

Im Sommer 2014 hatte ich die Gelegenheit, per Skype ein Interview mit Andreas Dresen zu führen, der zugegebenermaßen zu meinen Lieblingsautorenfilmern gehört. Sein neuester Film „Als wir träumten“, der in der DDR zu Zeiten der Wende spielt, läuft nun im Wettbewerb der Berlinale.

Wir sprachen über seinen Spielfilm Stilles Land von 1992, den er vor kurzem in der 35mm-Version einem durchweg erstaunten Publikum in Toronto präsentierte. In dem Film geht es um den jungen, naiven und enthusiastischen Theaterdirektor Kai, der in einer trostlosen Stadt in der ostdeutschen Provinz Becketts Warten auf Godot inszenieren will. Obwohl das lustlose Ensemble kein Interesse an dem Stück zeigt, bleibt er doch mit Elan bei der Sache. Dann kommt der Herbst 1989. Die Welt ist im Umbruch, und weit weg in der Hauptstadt findet gar eine Revolution statt. Auch in der Provinz keimt auf einmal große Hoffnung auf, und zu der aus dem Ruder laufenden Inszenierung gesellen sich auf einmal diverse unerwartete Ereignisse. Parallelen zu Dresens eigener Geschichte sind unübersehbar.

Herr Dresen, Ihr erster großer Spielfilm aus dem Jahr 1991 um die letzten Tage der DDR heißt „Stilles Land”. Inwieweit haben Sie Deutschland 1989 als „still“ erlebt?

Ein Land kann „still” sein, wenn es gelähmt ist und es so scheint, als ob dort nichts mehr passiert, weder vorwärts noch rückwärts: Absoluter Stillstand eben. „Still“ hat jedoch auch eine poetische Komponente, in der sich viele Menschen wiedererkennen. Der Titel ist also doppeldeutig. Ausschlaggebend für diesen Titel war ein Gedicht von Wolf Biermann namens Das Land ist still. Der Film hat mit Sicherheit auch eine böse Facette. Schließlich reagiert hier niemand in irgendeiner Form auf die Ereignisse außerhalb des Theaters, nämlich die Flucht vieler DDR-Bürger über Ungarn. Es gab eben im September 1989 auch Stille.
 
Der Dichter Wolf Biermann, der in die DDR übersiedelte und dann aus der BRD nicht mehr einreisen durfte, war zu der Zeit schon lange im Exil. War Biermann trotzdem damals noch ein wichtiger Einfluss auf die Intellektuellen- und Künstlerszene der DDR?

Ich bin mit Biermann aufgewachsen. Mein Vater, der 1977 in die BRD auswanderte, war mit ihm befreundet und hat auch eine Petition gegen seine Ausbürgerung unterschrieben. Wir hatten zu Hause eine Schallplatte namens Chausseestraße 131. Das war die erste, die Biermann veröffentlicht hat – damals natürlich nur im Westen. Seine Ausbürgerung hat ja im Osten massive Proteste hervorgerufen, darum war Biermann immer eine wichtige Figur. Seine literarischen Werke waren allerdings nur teilweise erhältlich. Ein Zitat von Biermann zu bringen galt schon als Provokation.
 
Wie haben Sie es damals geschafft, „Stilles Land” zu produzieren und zu drehen, während die Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf mitten im Umbruch von einer DDR-Hochschule zu einer gesamtdeutschen Universität steckte?

Die Dreharbeiten waren während des Jahreswechsels 1991/1992, die Premiere war im Herbst 1992. Es war meine Abschlussarbeit an der Filmhochschule. Es war schon ein wenig seltsam in diesen Zeiten des Wandels. Es wurde am Schluss eine Koproduktion mit dem West-Berliner Produzenten Wolfgang Pfeiffer von MAX Film, den ich bei der Berlinale 1990 kennengelernt habe. Das Ganze war also eine Independent-Produktion zu einer Zeit, in der es kein Westdeutschland und kein Ostdeutschland mehr gab. Wir waren ja inzwischen wiedervereint!
 

Trailer Stilles Land
 
War dieser Systemwechsel schwierig für Sie? Es gab ja zwei Seiten: Viele Menschen trauerten dem verlorenen System im Osten nach, auf der anderen Seite freuten sich aber auch viele über die neuen Möglichkeiten, die sich ihnen nun eröffneten. War die Wende für Sie eher eine Chance oder ein Verlust?

Das ist schwer zu sagen. Es war ja alles im Wandel, alles im Aufbruch. Wenn man in diesem Durcheinander drinsteckt, ist man quasi ein Gefangener eines gesunden Pragmatismus. Zunächst mal muss man ja seine eigene Haltung finden. Ich war arbeitslos, das Versicherungssystem wurde komplett geändert und ich bekam komische Schreiben vom westdeutschen Finanzamt, die ich nicht verstand. Die Bürokratie im Osten war da weitaus simpler. Einige Dinge waren mir anfangs überhaupt nicht klar, zum Beispiel das absurde System der Filmförderung: Es gibt tausende kleine Förderungen, also schickte man den einen Antrag hierhin, den nächsten dorthin. Und es gab auf einmal so viele Fernsehsender! Da habe ich mich heute noch nicht so richtig dran gewöhnt.
 
Wenn ich es heute so betrachte, muss ich sagen, dass man die Chance vertan hat, die beiden doch sehr verschiedenen Teile Deutschlands zu einem großen Ganzen zu vereinen. Zunächst war ich eher unpolitisch. Ich habe einige Jahre gebraucht, um die westdeutsche Gesellschaft bewusst wahrzunehmen. Wie man auch in Stilles Land sehen kann, war ich sehr enttäuscht. Ich hätte es besser gefunden, wenn dieser monumentale Wandel von 1989 kein Schritt in Richtung Wiedervereinigung gewesen wäre, sondern der Osten vielmehr liberalisiert und demokratisiert worden wäre. Wir wollten ja die DDR gar nicht loswerden, wir wollten nur eine andere.

Inzwischen bin ich überzeugt, dass dieser ganze Prozess viel zu schnell von Statten gegangen ist. Aber das sagt sich natürlich leicht, denn die Menschen gingen ja auf die Straße und es herrschte enormer Druck. Ich habe das im Herbst 1989 in Leipzig erlebt. Erst riefen die Leute „Wir sind das Volk“. Einen Monat später hieß es „Wir sind ein Volk”. Und genau diese Leute waren ein Jahr später arbeitslos und wählten die PDS. Sie hatten praktisch gegen das System rebelliert, das sie ernährt hat.
 

Andreas Dresen wurde 1963 in Gera geboren. In den 1980er Jahren arbeitete er am Theater und drehte verschiedene Kurzfilme. Er studierte Regie an der Filmuniversität Konrad Wolf in Potsdam-Babelsberg. Seit 1992 ist er auch als Autor und Regisseur für Film, Fernsehen und Theater tätig. Zu seinen preisgekrönten Filmen zählen Nachtgestalten (1998), Halbe Treppe (2001), Willenbrock (2004), Sommer vorm Balkon (2005), Wolke 9 (2008) und Halt auf freier Strecke (2011).

In Kürze folgt der zweite Teil des Interviews: Andreas Dresen über eine Paris-Reise im Mai 1989 und über seinen neuen Film Als wir träumten.
 

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