Franziska Nast
Never Say Ever
Am 18. Juli 2012 präsentierte Franziska Nast ihre Arbeiten im Rahmen des Thomas-Mann-Festivals. Sie spürte in ihrer Arbeit - Auszüge eines Archivs vor Ort entstandener Plakate - für die Orangerie der katholischen Kirche in Nida eigenen Stationen ihres zweimonatigen Aufenthalts in der Kolonie nach.
„Ich möchte: hier sein, entdecken, erleben, genießen, (…), zur Ruhe kommen, arbeiten, nicht arbeiten, (…), Worte wählen, Tagebuch führen, (…), tätowieren, (…), Haare schneiden, (…), Kontakte knüpfen, lernen, vergessen, sammeln, etwas fotografieren, (…), ein Archiv anlegen, den Sinn und die Form fürs Archiv finden, aufgeschobene Briefe schreiben, sich von peinlichen Arbeiten nicht drücken, (…), über sich erzählen, Geschichten sammeln, Geschichten verarbeiten, in der Sonne bräunen, (…), aus dem Alten etwas Neues machen, Neues machen und Altes vergessen (…)“ – schrieb Franziska Nast in ihren Notizen am 12 Juni 2012, aus Hamburg nach Nida angekommen. Diese Ausstellung ist das Ergebnis ihres Aufenthalts und ihrer Arbeit in der Kunstkolonie Nida der Kunsthochschule Vilnius. Franziska ist die erste Künstlerin, die ein Residenz-Stipendium des Goethe-Instituts in Vilnius erhalten und zwei Monate lang auf der Nehrung gearbeitet hat. Ihre Künstlerresidenz und diese Ausstellung sind ein Teil des 16. Thomas-Mann-Festivals.
Franziskas Plakate berichten von ihrem Leben in Nida im Juni und Juli 2012, dabei verwandeln sie den Alltag ins Ereignisse: am 1. Juni schnitt sie ihrem Freund die Haare– so entstand der baltische Schnitt; am 4. Juni tätowierte sie sich eine Palme auf das Bein, am 6. Juni kaufte und probierte sie Feinkost-Wachteleier. Die Plakate entstanden wie von selbst, bei täglichen Notizen, bei Treffen mit Menschen, beim Musikhören, beim Einkaufen. Das sind Open-Source-Plakate-Tagebücher, die sich von all und jedem beeinflussen lassen konnten. Darin stimmen auf eine seltsame Weise intime und öffentliche Mitteilungen überein. Ein kleines privates Ereignis wird zum nie gegebenen Riesenevent gemacht, den ein großes Plakat ankündigt. Nur zwei unter 24 Plakaten sind „echt“: das Plakat zur Vorlesung „Glaube, Liebe, Hoffnung“ und das Plakat dieser Ausstellung; die anderen sind erfunden, aufgeblasen, fabriziert. Üblicherweise wird es auf Plakaten eine ernste Information ganz klar mitgeteilt: ein unklares Plakat = schlechtes Plakat. Die Mitteilung von Franziska ist schwer zu lesen. Deswegen irritieren ihre Plakate, und sie findet das toll. Wieso sollte ein Künstler im Ferienparadies tadellose Werke schaffen? Wieso kann man nicht einfach schaffen?
Übrigens gibt es auch zwischen dem Intimen und dem Öffentlichen, zwischen dem deutschen, englischen und litauischen Text genug Raum für Zufälle und Fehler. Einer der möglichen Titel für diese Ausstellung war „Lost in Translation“ (nach dem Film von Sofia Coppola). Diese Spalte zwischen Ernst und Unernst, zwischen Richtig und Falsch, Echt und Erfunden ist das, was für Franziska spannend ist. Texte vieler Plakate sind unübersetzbar. Inwiefern ist der „deutsche“ Gedanke der Autorin einem „litauischen“ Leser verständlich? Was bedeutet eine persönliche Mitteilung von Franziska für einen „normalen“ Ausstellungsbesucher? (Und was bedeuten die Mitteilungen von Thomas Mann für Nida?) Franziska schlägt vor, sich darüber keine Gedanken zu machen. Hört dem Klang zu, schaut das Bild an. Wie auch immer sich die Mitteilung auf dem Weg von Franziska zu euch verwandeln mag, sie wird schon richtig sein – Hauptsache, ihr erhaltet diese Mitteilung.
Die handgemachten Plakate im A0 Format sind aus sechzehn Reispapierbögen vom Format A4 zusammengeklebt (diese hat Franziska von zu Hause mitgebracht, denn im lokalen Discounter wird man so was nicht finden). Gedruckt wurde mit einem handelsüblichen Farbprinter. Die beim Zusammenkleben entstandenen Unebenheiten machen aus dem Neuen das Alte. Diese simulierte Vergangenheit verleiht den Plakaten Echtheit, macht ein unechtes Ereignis etwas „echter“. Es scheint, als ob diese Plakate von der Straße, von einer Litfasssäule als ein nettes Bildchen oder eine wichtige Erinnerung wieder zu jemandem heimgefunden hätten: in ein Wohnheimzimmer, in das vorläufige Studio in der Kunstkolonie oder in die Orangerie der katholischen Kirche in Nida – in einen Raum, der niemandem gehört. Üblicherweise helfen uns Plakate günstig und effizient, fremde Räumlichkeiten zu domestizieren – mit einem großen Plakat meines Lieblingsfilms auf der Wand sage ich, dass das mein Zimmer ist, und erzähle von mir. Franziska versucht, den Raum zwischen der Kunst (der Savickis-Bildergalerie), dem Tod (der Bestattungskapelle) und der Ewigkeit (oben in der Kirche) zu domestizieren.
Zimmerpflanzen, und ganz besonders Palmen, die in für sie zu kalten Ländern in Töpfen gezogen werden, berichten von der Sehsucht und von Träumen: viele von uns versuchen den langen Winter durch exotische Pflanzen zu mildern, um die Entfernung vor hier bis zum Paradies überwinden zu können. Der Palmsonntag eine Woche vor Ostern weckt die Vorahnung des Wunders von der Auferstehung und auch die Hoffnung. In diese Orangerie bringen die Niddener ihre zu üppig geratenen Träume – Pflanzen, die nicht mehr auf ein Fensterbrett, oder auf den Boden passen. Für Franziska passten sie bestens. Träume, auf die man aus irgendwelchen Gründen verzichten musste, und Plakate, auf denen kleine Alltagsdinge, wenigstens auf dem Papier, zu Träumen werden, sind eine gute Ergänzung füreinander. Das Traumheim wird bis zum Ende des Sommers Traumfabrik sein.