Künstlerkolonie Nidden
Traditionsreiche Inspirationsquelle

Die Künstlerkolonie Nidden ist die älteste Künstlerkolonie der Ostseeküste. Den abgelegenen Fischerort Nidden entdeckten Literaten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts für sich. Bald gesellten sich auch andere Künstler zu ihnen.

Ende des 19. Jahrhunderts begannen Professoren und Studenten der Königsberger Kunstakademie, die Sommerwochen in Nidden zu verbringen. Lovis Corinth (1858–1925) besuchte die Kurische Nehrung bereits während seiner Studienzeit an der Akademie (1876–1879) und kehrte nach 1880 wieder dorthin zurück. Um 1888 lud der aus Gumbinnen stammende Maler und Dichter Heinrich Krüger (1863–1901) den Absolventen der Königsberger Kunstakademie Ernst Bischoff-Culm (1870-1917) nach Nidden ein. Er war es, der die Bildung der Künstlerkolonie am stärksten beeinflusste. Die Künstler wohnten in dem Gasthaus, das Hermann Blode 1867 in Skruzdyne eröffnete und das sich mit der Zeit zum Zentrum der Kolonie entwickelte.

Neben Ernst Bischoff-Culm gehörten der aus Königsberg stammende Maler Hans Beppo-Borschke (1888-1914) und der Dichter Walther Heymann zum frühen Kern der Künstlerkolonie. 1905 besuchte Hans Kallmeyer (1882-1961), damals noch Jurastudent, Nidden zum ersten Mal. Nach seinem Studium verbrachte er jeden Sommer von 1911-1944 mit Malen auf der Kurischen Nehrung. Ebenso wie Edith Wirth-Sukkau (1881–1941) und ihr Ehemann Herman Wirth (1877–1956). 1914-1918 besuchte auch Pranas Domšaitis (Franz Domscheit) (1880–1965) Nidden.

  • Vytautas Čiučelis (Litauen), „Nachts an der Ostsee“, Öl auf Leinwand © Sammlung Bernd Schimpke

    Vytautas Čiučelis (Litauen), „Nachts an der Ostsee“, Öl auf Leinwand

  • Lovis Corinth (Deutschland, 1858-1925), „Walter Leistikov“, Lithographie © Sammlung Bernd Schimpke

    Lovis Corinth (Deutschland, 1858-1925), „Walter Leistikov“, Lithographie

  • Pranas Domšaitis (Deutschland, 1881-1965), „Blumen vor Lila“, ca. 1935, Öl auf Leinwand © Sammlung Bernd Schimpke

    Pranas Domšaitis (Deutschland, 1881-1965), „Blumen vor Lila“, ca. 1935, Öl auf Leinwand

  • Ilja Dresmanis (Lettland), „Fischerboote am Ostseestrand“, Öl auf Leinwand © Sammlung Bernd Schimpke

    Ilja Dresmanis (Lettland), „Fischerboote am Ostseestrand“, Öl auf Leinwand

  • Karl Eulenstein (Deutschland, 1892-1981), „Morgenstimmung“, 1952, Tempera auf Karton © Sammlung Bernd Schimpke

    Karl Eulenstein (Deutschland, 1892-1981), „Morgenstimmung“, 1952, Tempera auf Karton

  • Karl Eulenstein (Deutschland, 1892-1981), „Ausfahrt“, Tempera auf Karton © Sammlung Bernd Schimpke

    Karl Eulenstein (Deutschland, 1892-1981), „Ausfahrt“, Tempera auf Karton

  • Fritz Kempe (Deutschland, 1898-1971), „Boote in den Dünen“, Graphitlitho © Sammlung Bernd Schimpke

    Fritz Kempe (Deutschland, 1898-1971), „Boote in den Dünen“, Graphitlitho

  • Carl Knauf (Deutschland, 1893-1944), „Kurenkähne im Morgenlicht“, Öl auf Leinwand © Sammlung Bernd Schimpke

    Carl Knauf (Deutschland, 1893-1944), „Kurenkähne im Morgenlicht“, Öl auf Leinwand

  • Carl Knauf (Deutschland, 1893-1944), „Morgen bei Purwin“, Öl auf Leinwand © Sammlung Bernd Schimpke

    Carl Knauf (Deutschland, 1893-1944), „Morgen bei Purwin“, Öl auf Leinwand

  • Max Pechstein (Deutschland, 1881-1955), „Der Weg zum Haff“, Tusche auf Seidenpapier © Sammlung Bernd Schimpke

    Max Pechstein (Deutschland, 1881-1955), „Der Weg zum Haff“, Tusche auf Seidenpapier

  • Max Pechstein (Deutschland, 1881-1955),„Badende“, 1917, Lithographie © Sammlung Bernd Schimpke

    Max Pechstein (Deutschland, 1881-1955),„Badende“, 1917, Lithographie

  • Paula Staschus-Floess (Deutschland, 1879-), „Fischerdorf – Purwin“, ca. 1920, Öl auf Leinwand © Sammlung Bernd Schimpke

    Paula Staschus-Floess (Deutschland, 1879-), „Fischerdorf – Purwin“, ca. 1920, Öl auf Leinwand

  • Margarete Wedel (Deutschland, 1863-1936), „Wachtbudenberg“, Öl auf Leinwand © Sammlung Bernd Schimpke

    Margarete Wedel (Deutschland, 1863-1936), „Wachtbudenberg“, Öl auf Leinwand

  • Sergej Lobanoff (Russland, 1887-1943), „Wanderdüne – Nidden“, Öl auf Holz © Sammlung Bernd Schimpke

    Sergej Lobanoff (Russland, 1887-1943), „Wanderdüne – Nidden“, Öl auf Holz

  • Marie Seeck (Deutschland, 1861-1935), „Ostpreussische Landschaft“, Öl auf Pappe © Sammlung Bernd Schimpke

    Marie Seeck (Deutschland, 1861-1935), „Ostpreussische Landschaft“, Öl auf Pappe


Anfang des 20. Jahrhunderts wurde Nidden zum beliebten Ferien- und Schaffensort für deutsche Künstler und Intellektuelle: Maler, Fotografen, Schriftsteller, Schauspieler und Komponisten fanden auf der Kurischen Nehrung eine Insel der Ruhe und eine Quelle der Inspiration. Auf der „Künstlerveranda“ des Gasthauses, das dem Künstlerfreund Hermann Blode gehörte, wurden beim Schein kleiner Petroleumlämpchen bis in die tiefste Nacht aktuelle Kunstprobleme diskutiert, Musik und Dichtung gehört.

Den Expressionisten Max Pechstein (1881–1955) lockten die in einer Ausstellung in Berlin 1909 gesehenen Landschaftsbilder von Bischoff-Culm nach Nidden. Er verbrachte später, bis 1939, noch fünf Sommer in Nidden, wo viele seiner expressionistischen Bilder entstanden. Der Künstlerkolonie Nidden gehörten Vertreter verschiedenster Stilrichtungen an – von Impressionisten über Realisten und Symbolisten bis zu Naturalisten. Die Aufenthalte von Pechstein und Karl Schmidt-Rottluff (1884-1976, besuchte Nidden 1913) sorgten in der Kolonie für Aufregung und ließen Diskussionen zwischen den Impressionisten und den Expressionisten folgen. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde die expressionistische Tendenz bestimmend. Auch Ernst Mollenhauer (1892–1963), der nach der Krankheit seines Schwiegervaters Hermann Blode das Hotel übernommen hatte, setzte sich für den Expressionismus ein. Dank seiner Bemühungen erlebte die Kolonie in den 1920er und 30er Jahren wieder ihre Blütezeit.

Nachdem 1923 das Memelgebiet an Litauen angeschlossen worden war, suchten auch die litauischen Künstler nach Inspiration auf der Kurischen Nehrung, die aber weiterhin Anziehungspunkt für deutsche Künstler blieb. Der Geist der „Freien Kunst“ war lebendig in Nidden, im Gegensatz zu Deutschland, wo sich ab 1933 eine Kampagne der Nationalsozialisten gegen die moderne Kunst richtete, die sie als „entartete Kunst“ bezeichneten.

In der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen besuchten Alfred Partikel (1888–1945), Eduard Bischoff (1890–1974), Karl Eulenstein (1892–1981), Fritz Burmann (1892–1945), Werner Riemann (1893–1936), Karl Buch (1901–1988), Gertrud Lerbs (1902–1968) und viele andere Künstler die Kurische Nehrung. In den 1930er Jahren bauten sich Carl Knauf (1867–1944) und Richard Birnstengel (1887–1968) in Nidden Häuser und Ateliers im einheimischen Stil. Auch Thomas Mann, der berühmteste literarische Gast der Kolonie, ließ sich dort 1929–1930 ein Sommerhaus bauen.

Nidden, im 19. Jahrhundert als „preußische Sahara“ bezeichnet, wurde im 20. Jahrhundert auch „Malerparadies“ und das „Land der Wunder“ genannt. Ernst Mollenhauer, der nach dem Krieg in Deutschland lebte, schrieb über Nidden: „Es war eine Malerlandschaft mit Licht und Raum und Wasser und Sonne. [...] Nidden war der Treffpunkt für Künstler und alle, die nach dem Erleben der unberührten Natur suchten und jede Art von Trubel verachteten.“

Bis 1945 arbeiteten über 200 Künstler in Nidden, die Hälfte von ihnen kam aus Ostpreußen. Die Künstler waren von der Natur und der Architektur auf der Kurischen Nehrung, dem Handwerk, der Lebensweise und dem Lebensrhythmus der Fischer fasziniert. Mit dem Zweiten Weltkrieg brach jedoch die Geschichte der Niddener Künstlerkolonie ab. Die eindrucksvolle Gemäldesammlung des Hauses Blode wurde Anfang 1945 vernichtet, ebenso wie die Werke andererer Künstler, die in Nidden lebten und arbeiteten. Die Sehnsucht nach der Natur der Kurischen Nehrung und Nidden, das für sie nach dem Zweiten Weltkrieg unerreichbar geworden war, drückten die Künstler der Kolonie in so genannten Erinnerungsbildern aus. [...]

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