Uwe Krüger im Gespräch
Die gefährliche Nähe von Journalisten zur Macht

Der Leipziger Kommunikationswissenschaftler Uwe Krüger
Der Leipziger Kommunikationswissenschaftler Uwe Krüger | Foto (Ausschnitt): © Uwe Krüger

Wie unabhängig und objektiv sind deutsche Journalisten? Der Leipziger Kommunikationswissenschaftler Uwe Krüger hat die Vernetzung führender Redakteure mit Eliten aus Politik und Wirtschaft untersucht – und eine beunruhigende Nähe festgestellt.

Herr Krüger, wir wünschen uns Journalisten als neutrale und objektive Berichterstatter. Wie nah sind wir in Deutschland diesem Ideal?

Es ist sehr schwierig, das pauschal zu beantworten. Die Anforderungen an den Journalismus sind extrem hoch und viele deutsche Journalisten bemühen sich wirklich redlich, eine oft sehr unübersichtliche Nachrichtenlage so sorgfältig und objektiv wie möglich abzubilden. Trotzdem haben wir ein Problem.

Welches?

Viele der deutschen Leitmedien sind so eng mit Eliten aus Politik und Wirtschaft vernetzt, dass sie die Problemdefinitionen und die grundlegenden Begriffe, die in diesen Kreisen etabliert sind, nicht ausreichend hinterfragen – und auch nicht die Interessen, die dahinterstehen. Man kann als Medium im Kleinen objektiv und neutral sein und dennoch in der Gesamtausrichtung näher am Diskurs einer Elite statt an dem der Bevölkerung sein.

Welche Belege haben Sie für diese These?

Ich habe über Jahre personenbezogene Verbindungsdaten aller führenden Redakteure deutscher Leitmedien untersucht: Wer hat in welcher Organisation mit wem Kontakt – als Mitglied, aber auch als Vorstand, Beiratsmitglied, Präsidiumsmitglied? Wie sich herausstellte, war zum einen jeder Dritte Mitglied in mindestens einer Organisation mit Elitenbezug. Und zum anderen, und das war für mich besonders befremdlich, waren tonangebende Journalisten im Bereich Außenpolitik stark in Organisationen involviert, die die Interessen von NATO, Europäischer Union und Bundesregierung vertreten.

Welche Organisationen meinen Sie konkret?

Zum Beispiel die Deutsche Atlantische Gesellschaft, eine erklärte Lobby-Organisation für die NATO. Oder die Trilaterale Kommission, ein vertrauliches Forum von Eliten aus Politik, Wirtschaft und anderen Sektoren aus Nordamerika, Westeuropa und dem asiatisch-pazifischen Raum. Abseits der Öffentlichkeit werden hier Interessen ausgehandelt zwischen Wirtschaft und Politik in der westlichen Welt. Die anwesenden Journalisten verpflichten sich, darüber zu schweigen, obwohl sie doch eigentlich Anwalt der Öffentlichkeit sein sollten.

Ist das überhaupt zulässig?

In Deutschland hat sich tatsächlich noch keine Norm etabliert, die es Journalisten verbieten würde, Mitglied in solchen Kuratorien oder Kommissionen zu werden. Anders als zum Beispiel in Amerika. So hat die New York Times einen Ethik-Kodex, nach dem sich Journalisten nur in solchen Organisationen engagieren dürfen, in denen es um journalistische Aus- und Weiterbildung, nicht aber um Politik und Wirtschaft geht.

Viele verlassen sich auf die sogenannten Leitmedien

Was bedeutet die Elitennähe für die journalistische Objektivität?

Sie leidet darunter. Nehmen Sie die Ukraine-Berichterstattung. Wenn man ehrlich ist, dann haben wir es bei vielen großen Medien mit einer Schlagseite in Richtung Bündnispolitik, EU und NATO zu tun. Im geopolitischen Gerangel um die Ukraine wird Russland sehr kritisch betrachtet und der Westen sehr unkritisch. Das ergibt ein sehr von Werten aufgeladenes Bild „Gut gegen Böse“, obwohl ein nüchterneres Bild „Interessen gegen Interessen“ der Wahrheit näherkommen würde.

Aber es gibt ja auch andere Medien, die diese Perspektive einnehmen. Man kann sich doch als Bürger durchaus umfassend informieren, oder?

Ja, man kann argumentieren, tendenziöse Berichte würden durch Vielfalt von Nachrichten-Anbietern abgefedert. Die Frage ist nur, welchen Nutzen hat das für den einzelnen Bürger? Wer hat schon die Zeit und Medienkompetenz, jeden Tag das gesamte Meinungsspektrum zu überblicken? Viele verlassen sich nun mal auf die sogenannten Leitmedien und gehen davon aus, dass diese sie möglichst objektiv informieren. Deshalb ist auch Pluralität innerhalb eines Mediums wichtig.

Man könnte nun argumentieren, dass es für die journalistische Berichterstattung eben notwendig ist, sich Zugang zu Eliten zu verschaffen. Ist eine gewisse Nähe zu Eliten also der Preis, den man für exklusive Hintergrundinformationen zahlen muss?

Ich gebe zu, das ist ein Dilemma. Wer den Elitendiskurs abbilden will, braucht Zugang und damit auch eine gewisse geistige Nähe zur Macht. Aber viel interessanter ist doch die Frage: Wie sehr brauche ich Informationen aus den Chefetagen wirklich? Brauche ich nicht eher Quellen im Mittelbau von Behörden und anderen Organisationen, etwa Referenten, die weniger interessengeleitet sind, aber dafür sachkundiger als ihre obersten Chefs? Amerikanische Journalisten haben den schönen Merksatz „The higher you go, the less you know“, je höher man geht, desto weniger weiß man. Noch viel wichtiger, als den Elitendiskurs so detailliert wie möglich abzubilden, ist es doch, diesen auch konstruktiv zu hinterfragen.

Geben Sie uns ein Beispiel?

In vielen Kommentaren und Leitartikeln großer Zeitungen habe ich Thesen gefunden, dass die Finanzkrise, Migrationsbewegungen oder Pandemien relevant für die Sicherheitspolitik seien. Das ist im Grunde Lobbyarbeit für einen erweiterten Sicherheitsbegriff, wie er zum Konsens unserer Eliten und zur Agenda von Bundesregierung, EU und NATO gehört. Der impliziert auch, militärische Logik auf nicht-militärische Themen anzuwenden. Nun bestünde meiner Meinung nach der journalistische Mehrwert darin, diese Idee nicht nur darzustellen oder sogar dafür zu werben, sondern auch kritisch zu hinterfragen.

Gefühl eines Gleichklangs zwischen Politik und Medien

Wie beurteilen Sie die aktuelle Medienkritik demokratiekritischer Gruppierungen wie Pegida?

Wir haben es hier mit einem Vertrauensverlust zu tun, den die etablierten Medien durchaus ernst nehmen sollten. Auch wenn Parolen wie „Lügenpresse“ heillos überspitzt sind: Es gibt ein weitverbreitetes Gefühl eines Gleichklangs zwischen Politik und Medien, und das kommt nicht von ungefähr. Die Arbeits- und Auswahlroutinen vieler Redaktionen sind darauf geeicht, wie ein Schatten dem Elitendiskurs zu folgen. Eigentlich bräuchte man mehr Mittel und Freiheit, ergebnisoffen zu suchen, nicht sklavisch den Agenden der Machtzentren zu folgen, sondern stärker eigene Haltungen zu zeigen.

Mehr Binnenpluralität, wäre das die Lösung?

Das wäre ein wichtiger Schritt, ja. Ich finde, man kann als Leser nur davon profitieren, wenn ungewöhnliche Gastautoren öfter mal abweichende Meinungen und kritische Sichtweisen äußern dürfen. Oder wenn ein Ressortleiter, der seit Jahren die Münchner Sicherheitskonferenz besucht, auch einmal bei der Münchner Friedenskonferenz vorbeischaut – oder zusätzlich zum Weltwirtschaftsforum in Davos auch am Weltsozialforum teilnimmt.
 

Uwe Krüger: Der Einfluss von Elite auf Leitmedien und Alpha-Journalisten – eine kritische Netzwerkanalyse (Herbert von Halem-Verlag)